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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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geordnet und ermahnt, und der König hält Musterung über alle. Dann
der Angriff: die Reiter und Wagen voran, eng zusammenhaltend, und
hinter ihnen das Fußvolk, die Schwachen und Feigen in der Mitte, So
wenigstens will es Nestor nach der Sitte der Väter. Aber der Sänger, ohne
den Ueberblick zu verlieren und dem Gesammteindruck sich zu entziehen, ist
allgegenwärtig, im dichten Handgemenge und auf den entferntesten Plätzen
des Schlachtfeldes: er sieht den Pfeil des verachteten Schützen so gut aus der
Ferne heranfliegen wie Schilde und Speere der Nahekämpfer auf einander
schlagen. An den strahlenden Rüstungen und der stattlich blühenden
Heldengestalt hat er seine herzliche Freude, und versagt sich nicht, wenn
er einen der Hervorragendsten in seiner vollen Glorie, sei es zum einmaligen
Zweikampfe, sei es zu einer umfassenden Waffen that in den Vordergrund stellen
will, unmittelbar vor seinem Auftreten die prächtige Wehr, die Beinschienen,
Panzer, Schwert, Schild und den Helm mit dem wallenden Busch, Alles
kunstvoll, zum Theil in edlen Metallen gearbeitet, mit sinnigen Bildwerken
verziert, ihm Stück für Stück anzulegen, bis der Göttersohn dasteht, ein
Wunder zu schauen. Aber der blutigen Arbeit zuschauend verfolgt er die
Wege der Speere und Pfeile, Steinwürfe und Schwerthiebe mit wachsamster
Genauigkeit. Dem Kriegsmann, der so oft die Launen und Zufälle der
Todesgeschosse jeder Art, die Windungen gleichsam des Arestanzes erprobt
und mit Gefährten plaudernd ausgetauscht hat, macht es ein eignes Behagen,
frei von Sentimentalität und zärtlicher Scheu mit sachverständlicher Gründlich¬
keit die Mannigfaltigkeit der Wunden zu verfolgen, mit der augenblick¬
lichen Bewegung und Stellung des Kämpfenden kunstvoll zu combiniren,
Gefahr und glückliches Entkommen zu vertheilen. Bei kräftiger Revanche
empfindet er eine gesunde Genugthuung; und manchem seiner Zuhörer wird zu
Muthe gewesen sein, wie jenem bei Shakespeare:


Wenn auf drcibein'gen Stuhl ich sitz', erzählend

Von Kriegcrthat, durch mich vollbracht, fliegt seine

Begeistrung in mein Reden; sprech ich:

So fiel mein Feind, so setzt' ich meinen Fuß

Auf seinen Nacken! alsbald steiget dann

Sein Fürstenblut ihm in die Wang', er schwitzt,

Und spannt die jungen Muskeln in der Stellung,


Die meine Schildrung malt.

Für ärztliche Pflege ist gesorgt, selbst die Olympier haben einen
Arzt, Paieon. Die beiden hervorragendsten Aerzte der Griechen, Podaleirios
und Machaon, sind Söhne des berühmten Heilkünstlers Asklepios. Mit 30
Schiffen sind sie von Oechalia gekommen und kämpfen selbst mit. Auch Achill
hat von seinem Erzieher, dem kräuterkundigen Kentauren Cheiron etwas Chi-


geordnet und ermahnt, und der König hält Musterung über alle. Dann
der Angriff: die Reiter und Wagen voran, eng zusammenhaltend, und
hinter ihnen das Fußvolk, die Schwachen und Feigen in der Mitte, So
wenigstens will es Nestor nach der Sitte der Väter. Aber der Sänger, ohne
den Ueberblick zu verlieren und dem Gesammteindruck sich zu entziehen, ist
allgegenwärtig, im dichten Handgemenge und auf den entferntesten Plätzen
des Schlachtfeldes: er sieht den Pfeil des verachteten Schützen so gut aus der
Ferne heranfliegen wie Schilde und Speere der Nahekämpfer auf einander
schlagen. An den strahlenden Rüstungen und der stattlich blühenden
Heldengestalt hat er seine herzliche Freude, und versagt sich nicht, wenn
er einen der Hervorragendsten in seiner vollen Glorie, sei es zum einmaligen
Zweikampfe, sei es zu einer umfassenden Waffen that in den Vordergrund stellen
will, unmittelbar vor seinem Auftreten die prächtige Wehr, die Beinschienen,
Panzer, Schwert, Schild und den Helm mit dem wallenden Busch, Alles
kunstvoll, zum Theil in edlen Metallen gearbeitet, mit sinnigen Bildwerken
verziert, ihm Stück für Stück anzulegen, bis der Göttersohn dasteht, ein
Wunder zu schauen. Aber der blutigen Arbeit zuschauend verfolgt er die
Wege der Speere und Pfeile, Steinwürfe und Schwerthiebe mit wachsamster
Genauigkeit. Dem Kriegsmann, der so oft die Launen und Zufälle der
Todesgeschosse jeder Art, die Windungen gleichsam des Arestanzes erprobt
und mit Gefährten plaudernd ausgetauscht hat, macht es ein eignes Behagen,
frei von Sentimentalität und zärtlicher Scheu mit sachverständlicher Gründlich¬
keit die Mannigfaltigkeit der Wunden zu verfolgen, mit der augenblick¬
lichen Bewegung und Stellung des Kämpfenden kunstvoll zu combiniren,
Gefahr und glückliches Entkommen zu vertheilen. Bei kräftiger Revanche
empfindet er eine gesunde Genugthuung; und manchem seiner Zuhörer wird zu
Muthe gewesen sein, wie jenem bei Shakespeare:


Wenn auf drcibein'gen Stuhl ich sitz', erzählend

Von Kriegcrthat, durch mich vollbracht, fliegt seine

Begeistrung in mein Reden; sprech ich:

So fiel mein Feind, so setzt' ich meinen Fuß

Auf seinen Nacken! alsbald steiget dann

Sein Fürstenblut ihm in die Wang', er schwitzt,

Und spannt die jungen Muskeln in der Stellung,


Die meine Schildrung malt.

Für ärztliche Pflege ist gesorgt, selbst die Olympier haben einen
Arzt, Paieon. Die beiden hervorragendsten Aerzte der Griechen, Podaleirios
und Machaon, sind Söhne des berühmten Heilkünstlers Asklepios. Mit 30
Schiffen sind sie von Oechalia gekommen und kämpfen selbst mit. Auch Achill
hat von seinem Erzieher, dem kräuterkundigen Kentauren Cheiron etwas Chi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/383>, abgerufen am 26.06.2024.