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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Einsichtiger, erfindungsreicher Rath, wie ihn Odysseus gibt, Erfahrung
und milde Weisheit, wie sie Nestor vertritt, auch in taktischen Anweisungen,
macht sich neben tapfrem Sinn und heldenhafter Kraft geltend. Es herrscht
ein fröhliches buntes Lagerleben, wenn die Schlacht nicht eben tobt. Hat
doch die Länge der Zeit genöthigt, sich behaglich in geräumigen, hausähn¬
lichen Zelten einzurichten. Die Myrmidonen, während Achill sich zürnend
vom Kampf zurückhält, üben sich am Ufer mit Discus, Speer und Bogen.
Er selbst ergötzt sein Gemüth im Zelte, zur Phorminx Ruhmeslieder der Ahnen
singend, und Patroklos sitzt ihm gegenüber, ihn abzulösen, wenn er aufhört.
Auch Paris spielt die Kithara. Im nächtlichen Bivouak der Troer hört man
lustige Musik von Pfeifen und Syringen. Der entscheidende Sieg, Hektors
Fall, wird durch einen Päan gefeiert, den die Achäer singen, aus der
Schlacht zu den Schiffen zurückkehrend.

Auf beiden Seiten ist die Verpflegung reichlich. Trotz zehnjähriger
Belagerung, obwohl viele Orte an der Küste und im Binnenlande zerstört,
zahlreiche Herden vom Jda weggetrieben sind, und die Belagerten ihre Aus¬
fälle nicht weit hin mehr auszudehnen vermögen, fehlt es den Troern an
Nichts. Die Griechen sind von Lemnos aus durch den König Euenos mit
Wein auf zahlreichen Schiffen versehen. Zur gründlichen Vorbereitung, wie
zur Stärkung während des Kampfes und zur Erholung nach demselben, auch
zur Feier der Todten, wird innerhalb und außerhalb der Mauern reichlich,
häufig und gut gegessen und getrunken, sowohl in allgemeinen Mahlzeiten,
als auch in engerem Kreise befreundeter Gefährten. Besonders Odysseus er¬
mahnt gern, die Leute mit Brod und Wein zu speisen, denn das sei Kraft
und Muth des Mannes. Nicht den ganzen Tag ja bis Sonnenuntergang
kann man nüchtern kämpfen. Wenn Einer auch kriegerisch gesonnen ist, so
werden ihm doch unvermerkt die Glieder schwer, die Kniee wanken beim Gehen,
wenn ihn Hunger und Durst faßt. Wer aber satt gegessen und getrunken
hat, der behält Muth, wenn er auch den ganzen Tag kämpft, und die Glieder
werden ihm nicht schwach. So ist er auch nicht dafür, die Gefallenen mit dem
Bauche zu betrauern, wie er sagt. Als Achill das Ansinnen stellt, vor voll¬
zogener Rache für Patroklos zu fasten, stellt er ihm deutlich vor, wie der¬
gleichen nicht durchführbar sei. Gar zu viele fallen alle Tage: wann soll
man ausathmen? Dafür wird denn aber auch darauf gehalten, daß Jeder
in der Schlacht seine Schuldigkeit thue, und nicht selten wird auch der Heer¬
führer daran erinnert, daß die Zahl der von ihm geleerten Becher und ihre
Freude am Braten zu besseren Hoffnungen berechtigte.

Ist die Begierde nach Speise und Trank gestillt, sind die Pferde gefüt¬
tert, die Wagen gemustert, die Waffen bereitet, ist Opfer und Gebet durch
den Priester vollzogen, so treten die Heerschaaren an, von ihren Führern


Einsichtiger, erfindungsreicher Rath, wie ihn Odysseus gibt, Erfahrung
und milde Weisheit, wie sie Nestor vertritt, auch in taktischen Anweisungen,
macht sich neben tapfrem Sinn und heldenhafter Kraft geltend. Es herrscht
ein fröhliches buntes Lagerleben, wenn die Schlacht nicht eben tobt. Hat
doch die Länge der Zeit genöthigt, sich behaglich in geräumigen, hausähn¬
lichen Zelten einzurichten. Die Myrmidonen, während Achill sich zürnend
vom Kampf zurückhält, üben sich am Ufer mit Discus, Speer und Bogen.
Er selbst ergötzt sein Gemüth im Zelte, zur Phorminx Ruhmeslieder der Ahnen
singend, und Patroklos sitzt ihm gegenüber, ihn abzulösen, wenn er aufhört.
Auch Paris spielt die Kithara. Im nächtlichen Bivouak der Troer hört man
lustige Musik von Pfeifen und Syringen. Der entscheidende Sieg, Hektors
Fall, wird durch einen Päan gefeiert, den die Achäer singen, aus der
Schlacht zu den Schiffen zurückkehrend.

Auf beiden Seiten ist die Verpflegung reichlich. Trotz zehnjähriger
Belagerung, obwohl viele Orte an der Küste und im Binnenlande zerstört,
zahlreiche Herden vom Jda weggetrieben sind, und die Belagerten ihre Aus¬
fälle nicht weit hin mehr auszudehnen vermögen, fehlt es den Troern an
Nichts. Die Griechen sind von Lemnos aus durch den König Euenos mit
Wein auf zahlreichen Schiffen versehen. Zur gründlichen Vorbereitung, wie
zur Stärkung während des Kampfes und zur Erholung nach demselben, auch
zur Feier der Todten, wird innerhalb und außerhalb der Mauern reichlich,
häufig und gut gegessen und getrunken, sowohl in allgemeinen Mahlzeiten,
als auch in engerem Kreise befreundeter Gefährten. Besonders Odysseus er¬
mahnt gern, die Leute mit Brod und Wein zu speisen, denn das sei Kraft
und Muth des Mannes. Nicht den ganzen Tag ja bis Sonnenuntergang
kann man nüchtern kämpfen. Wenn Einer auch kriegerisch gesonnen ist, so
werden ihm doch unvermerkt die Glieder schwer, die Kniee wanken beim Gehen,
wenn ihn Hunger und Durst faßt. Wer aber satt gegessen und getrunken
hat, der behält Muth, wenn er auch den ganzen Tag kämpft, und die Glieder
werden ihm nicht schwach. So ist er auch nicht dafür, die Gefallenen mit dem
Bauche zu betrauern, wie er sagt. Als Achill das Ansinnen stellt, vor voll¬
zogener Rache für Patroklos zu fasten, stellt er ihm deutlich vor, wie der¬
gleichen nicht durchführbar sei. Gar zu viele fallen alle Tage: wann soll
man ausathmen? Dafür wird denn aber auch darauf gehalten, daß Jeder
in der Schlacht seine Schuldigkeit thue, und nicht selten wird auch der Heer¬
führer daran erinnert, daß die Zahl der von ihm geleerten Becher und ihre
Freude am Braten zu besseren Hoffnungen berechtigte.

Ist die Begierde nach Speise und Trank gestillt, sind die Pferde gefüt¬
tert, die Wagen gemustert, die Waffen bereitet, ist Opfer und Gebet durch
den Priester vollzogen, so treten die Heerschaaren an, von ihren Führern


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[0382] Einsichtiger, erfindungsreicher Rath, wie ihn Odysseus gibt, Erfahrung und milde Weisheit, wie sie Nestor vertritt, auch in taktischen Anweisungen, macht sich neben tapfrem Sinn und heldenhafter Kraft geltend. Es herrscht ein fröhliches buntes Lagerleben, wenn die Schlacht nicht eben tobt. Hat doch die Länge der Zeit genöthigt, sich behaglich in geräumigen, hausähn¬ lichen Zelten einzurichten. Die Myrmidonen, während Achill sich zürnend vom Kampf zurückhält, üben sich am Ufer mit Discus, Speer und Bogen. Er selbst ergötzt sein Gemüth im Zelte, zur Phorminx Ruhmeslieder der Ahnen singend, und Patroklos sitzt ihm gegenüber, ihn abzulösen, wenn er aufhört. Auch Paris spielt die Kithara. Im nächtlichen Bivouak der Troer hört man lustige Musik von Pfeifen und Syringen. Der entscheidende Sieg, Hektors Fall, wird durch einen Päan gefeiert, den die Achäer singen, aus der Schlacht zu den Schiffen zurückkehrend. Auf beiden Seiten ist die Verpflegung reichlich. Trotz zehnjähriger Belagerung, obwohl viele Orte an der Küste und im Binnenlande zerstört, zahlreiche Herden vom Jda weggetrieben sind, und die Belagerten ihre Aus¬ fälle nicht weit hin mehr auszudehnen vermögen, fehlt es den Troern an Nichts. Die Griechen sind von Lemnos aus durch den König Euenos mit Wein auf zahlreichen Schiffen versehen. Zur gründlichen Vorbereitung, wie zur Stärkung während des Kampfes und zur Erholung nach demselben, auch zur Feier der Todten, wird innerhalb und außerhalb der Mauern reichlich, häufig und gut gegessen und getrunken, sowohl in allgemeinen Mahlzeiten, als auch in engerem Kreise befreundeter Gefährten. Besonders Odysseus er¬ mahnt gern, die Leute mit Brod und Wein zu speisen, denn das sei Kraft und Muth des Mannes. Nicht den ganzen Tag ja bis Sonnenuntergang kann man nüchtern kämpfen. Wenn Einer auch kriegerisch gesonnen ist, so werden ihm doch unvermerkt die Glieder schwer, die Kniee wanken beim Gehen, wenn ihn Hunger und Durst faßt. Wer aber satt gegessen und getrunken hat, der behält Muth, wenn er auch den ganzen Tag kämpft, und die Glieder werden ihm nicht schwach. So ist er auch nicht dafür, die Gefallenen mit dem Bauche zu betrauern, wie er sagt. Als Achill das Ansinnen stellt, vor voll¬ zogener Rache für Patroklos zu fasten, stellt er ihm deutlich vor, wie der¬ gleichen nicht durchführbar sei. Gar zu viele fallen alle Tage: wann soll man ausathmen? Dafür wird denn aber auch darauf gehalten, daß Jeder in der Schlacht seine Schuldigkeit thue, und nicht selten wird auch der Heer¬ führer daran erinnert, daß die Zahl der von ihm geleerten Becher und ihre Freude am Braten zu besseren Hoffnungen berechtigte. Ist die Begierde nach Speise und Trank gestillt, sind die Pferde gefüt¬ tert, die Wagen gemustert, die Waffen bereitet, ist Opfer und Gebet durch den Priester vollzogen, so treten die Heerschaaren an, von ihren Führern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/382>, abgerufen am 26.06.2024.