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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Kaiser, nun späte Rache zu nehmen an den blutsverwandten Bewohnern der
reichen Länder, die uns der Friede schenkt. Wir wissen, daß das Bewahren
schwerer ist, als das Erwerben, aber wir gehen mit Freude und Liebe an die
große, edle Aufgabe, die langentfremdeten Brüder wieder an unserm Herde
heimisch zu machen. Ihnen soll selbst ein guter Theil des Geldes zu Gute
kommen, das ihre bisherigen Landsleute uns auch für die von ihnen uns ver¬
nichteten Güter und Werthe zu zahlen haben. Wir erlösen sie von dem Drucke
der gewaltigen französischen Staatsschuld, wir befreien sie von dem Bann der
französischen Sprache, der das deutsche Kind von der ersten Schulstunde an in
die Formen und Gedanken welschen Geistes zwang, die protestantischen Kinder
an die verflachende katholisirende Lehrweise der Schulschwestern und Schulbrüder
gewöhnte. Die Freiheit des Handels und Verkehrs, in der Frankreich uns so
lange Lehrmeister war, finden sie auch bei uns. Vielleicht bietet uns die er¬
worbene Kriegsbuße sogar Gelegenheit in einem noch weit höherem Sinne, als
das Geldsystem Frankreichs jemals vermochte, unsern neuen Reichsgenossen in
deutschen Goldmünzen zugleich die Welthandelsmünze zu bieten.

Auch wir für uns selbst sind, meinen wir, vor der Gefahr bewahrt, von
diesem stolzesten Tage Deutschlands an das bescheidene Maß außer Augen
zu setzen, und in eitlem Ruhmestaumel den Weg zu sicherem Niedergang zu
beschreiten. Wir sind uns bewußt, daß nicht uns Lebenden allein, nicht jenen
Hunderttausenden nur, welche im Juli gen Frankreich zogen, und von denen
nun so viele nicht heimkehren, nicht nur den Feldherren und Führern,
nicht den Kriegern allein oder allein dem deutschen Kanzler der hohe Preis
dieses Friedens zu danken ist. Sondern drei Geschlechter deutscher Männer
haben mit Hingebung gearbeitet, gerungen und gelitten, um dieses Ziel zu
erreichen. Wir vermögen nun zu erkennen, warum Gott unserm Volke die
schwere Prüfung sandte unter dem ersten Frankenkaiser. Von dieser Zeit an
schreibt sich die Arbeit an unserer nationalen Wehrkraft, die sich in diesem Kriege
so unwiderstehlich erwiesen. Wir vermögen jetzt zu ermessen, daß auch die Fesseln
dumpfer Kleinstaaterei, in welche Deutschland fünfzig Jahre geschlagen war,
um so nachhaltiger das große Werk unseres deutschen Staatsmannes förder¬
ten, das er seit zwanzig Jahren unermüdlich verfolgte: die Vollendung des
nationalen Staates. Die freudige Stunde ist nicht zu Streit und Vorwür¬
fen da -- so wenig, wie unsere heimkehrenden Sieger begreifen werden, daß
daheim der alte Parteihader über alte und neue Streitpunkte noch fortbesteht
-- aber was wäre aus uns geworden, wenn diejenigen Recht behalten hätten,
die dem Bunde die Mittel verweigern wollten. die sich mit ihren überlebten
Vorurtheilen und mit der weinerlichen Klage über die Vergeudung der Volks¬
kraft für das Heer .an jeden Fortschritt unserer Staatsmacht, unsres Kanzlers
hemmend und niederziehend hefteten. Möge man nimmer vergessen, daß das


Kaiser, nun späte Rache zu nehmen an den blutsverwandten Bewohnern der
reichen Länder, die uns der Friede schenkt. Wir wissen, daß das Bewahren
schwerer ist, als das Erwerben, aber wir gehen mit Freude und Liebe an die
große, edle Aufgabe, die langentfremdeten Brüder wieder an unserm Herde
heimisch zu machen. Ihnen soll selbst ein guter Theil des Geldes zu Gute
kommen, das ihre bisherigen Landsleute uns auch für die von ihnen uns ver¬
nichteten Güter und Werthe zu zahlen haben. Wir erlösen sie von dem Drucke
der gewaltigen französischen Staatsschuld, wir befreien sie von dem Bann der
französischen Sprache, der das deutsche Kind von der ersten Schulstunde an in
die Formen und Gedanken welschen Geistes zwang, die protestantischen Kinder
an die verflachende katholisirende Lehrweise der Schulschwestern und Schulbrüder
gewöhnte. Die Freiheit des Handels und Verkehrs, in der Frankreich uns so
lange Lehrmeister war, finden sie auch bei uns. Vielleicht bietet uns die er¬
worbene Kriegsbuße sogar Gelegenheit in einem noch weit höherem Sinne, als
das Geldsystem Frankreichs jemals vermochte, unsern neuen Reichsgenossen in
deutschen Goldmünzen zugleich die Welthandelsmünze zu bieten.

Auch wir für uns selbst sind, meinen wir, vor der Gefahr bewahrt, von
diesem stolzesten Tage Deutschlands an das bescheidene Maß außer Augen
zu setzen, und in eitlem Ruhmestaumel den Weg zu sicherem Niedergang zu
beschreiten. Wir sind uns bewußt, daß nicht uns Lebenden allein, nicht jenen
Hunderttausenden nur, welche im Juli gen Frankreich zogen, und von denen
nun so viele nicht heimkehren, nicht nur den Feldherren und Führern,
nicht den Kriegern allein oder allein dem deutschen Kanzler der hohe Preis
dieses Friedens zu danken ist. Sondern drei Geschlechter deutscher Männer
haben mit Hingebung gearbeitet, gerungen und gelitten, um dieses Ziel zu
erreichen. Wir vermögen nun zu erkennen, warum Gott unserm Volke die
schwere Prüfung sandte unter dem ersten Frankenkaiser. Von dieser Zeit an
schreibt sich die Arbeit an unserer nationalen Wehrkraft, die sich in diesem Kriege
so unwiderstehlich erwiesen. Wir vermögen jetzt zu ermessen, daß auch die Fesseln
dumpfer Kleinstaaterei, in welche Deutschland fünfzig Jahre geschlagen war,
um so nachhaltiger das große Werk unseres deutschen Staatsmannes förder¬
ten, das er seit zwanzig Jahren unermüdlich verfolgte: die Vollendung des
nationalen Staates. Die freudige Stunde ist nicht zu Streit und Vorwür¬
fen da — so wenig, wie unsere heimkehrenden Sieger begreifen werden, daß
daheim der alte Parteihader über alte und neue Streitpunkte noch fortbesteht
— aber was wäre aus uns geworden, wenn diejenigen Recht behalten hätten,
die dem Bunde die Mittel verweigern wollten. die sich mit ihren überlebten
Vorurtheilen und mit der weinerlichen Klage über die Vergeudung der Volks¬
kraft für das Heer .an jeden Fortschritt unserer Staatsmacht, unsres Kanzlers
hemmend und niederziehend hefteten. Möge man nimmer vergessen, daß das


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[0376] Kaiser, nun späte Rache zu nehmen an den blutsverwandten Bewohnern der reichen Länder, die uns der Friede schenkt. Wir wissen, daß das Bewahren schwerer ist, als das Erwerben, aber wir gehen mit Freude und Liebe an die große, edle Aufgabe, die langentfremdeten Brüder wieder an unserm Herde heimisch zu machen. Ihnen soll selbst ein guter Theil des Geldes zu Gute kommen, das ihre bisherigen Landsleute uns auch für die von ihnen uns ver¬ nichteten Güter und Werthe zu zahlen haben. Wir erlösen sie von dem Drucke der gewaltigen französischen Staatsschuld, wir befreien sie von dem Bann der französischen Sprache, der das deutsche Kind von der ersten Schulstunde an in die Formen und Gedanken welschen Geistes zwang, die protestantischen Kinder an die verflachende katholisirende Lehrweise der Schulschwestern und Schulbrüder gewöhnte. Die Freiheit des Handels und Verkehrs, in der Frankreich uns so lange Lehrmeister war, finden sie auch bei uns. Vielleicht bietet uns die er¬ worbene Kriegsbuße sogar Gelegenheit in einem noch weit höherem Sinne, als das Geldsystem Frankreichs jemals vermochte, unsern neuen Reichsgenossen in deutschen Goldmünzen zugleich die Welthandelsmünze zu bieten. Auch wir für uns selbst sind, meinen wir, vor der Gefahr bewahrt, von diesem stolzesten Tage Deutschlands an das bescheidene Maß außer Augen zu setzen, und in eitlem Ruhmestaumel den Weg zu sicherem Niedergang zu beschreiten. Wir sind uns bewußt, daß nicht uns Lebenden allein, nicht jenen Hunderttausenden nur, welche im Juli gen Frankreich zogen, und von denen nun so viele nicht heimkehren, nicht nur den Feldherren und Führern, nicht den Kriegern allein oder allein dem deutschen Kanzler der hohe Preis dieses Friedens zu danken ist. Sondern drei Geschlechter deutscher Männer haben mit Hingebung gearbeitet, gerungen und gelitten, um dieses Ziel zu erreichen. Wir vermögen nun zu erkennen, warum Gott unserm Volke die schwere Prüfung sandte unter dem ersten Frankenkaiser. Von dieser Zeit an schreibt sich die Arbeit an unserer nationalen Wehrkraft, die sich in diesem Kriege so unwiderstehlich erwiesen. Wir vermögen jetzt zu ermessen, daß auch die Fesseln dumpfer Kleinstaaterei, in welche Deutschland fünfzig Jahre geschlagen war, um so nachhaltiger das große Werk unseres deutschen Staatsmannes förder¬ ten, das er seit zwanzig Jahren unermüdlich verfolgte: die Vollendung des nationalen Staates. Die freudige Stunde ist nicht zu Streit und Vorwür¬ fen da — so wenig, wie unsere heimkehrenden Sieger begreifen werden, daß daheim der alte Parteihader über alte und neue Streitpunkte noch fortbesteht — aber was wäre aus uns geworden, wenn diejenigen Recht behalten hätten, die dem Bunde die Mittel verweigern wollten. die sich mit ihren überlebten Vorurtheilen und mit der weinerlichen Klage über die Vergeudung der Volks¬ kraft für das Heer .an jeden Fortschritt unserer Staatsmacht, unsres Kanzlers hemmend und niederziehend hefteten. Möge man nimmer vergessen, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/376>, abgerufen am 26.06.2024.