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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Am nächsten Tage erschien in der Gazzetta uffiziale ti Roma, welche das
päpstliche Wappen weggelassen hatte, das sie bisher führte, folgendes Mani¬
fest Cadorna's: "Römer! Das gute Recht und die Tapferkeit des Heeres
haben mich in wenigen Stunden zu Euch gebracht, die Ihr die Freiheit zu¬
rück verlangtet. Eure Zukunft, wie jene der Nation, liegt fortan in Euren
Händen. Gekräftigt durch Eure freien Stimmen, wird Italien den Ruhm
haben, endlich das große Problem zu lösen, das so lange die moderne Ge¬
sellschaft schmerzlich berührt hatte. Ich danke Euch im Namen des Heeres
für den uns bereiteten festlichen Empfang. Die Ordnung ist bisher bewun¬
derungswürdig aufrecht erhalten worden, fahrt fort, sie zu hüten, denn ohne
Ordnung gibt es keine Freiheit. Römer! Der Morgen des 20. September
1870 bezeichnet einen der denkwürdigsten Tage in der Geschichte. Rom ist
noch einmal und für immer die große Hauptstadt einer großen Nation ge¬
worden." Diesem Manifeste folgte dann noch eine Kundmachung in Betreff
der Feststellung einiger Einrichtungen und Anordnungen über den Sicherheit^-,
Telegraphen- und Postdienst, über Rechtsprechung im Namen des Königs,
über EinHebung der Steuern und über die Münzen und Geldsorten.

(Schluß folgt.)




An der Börse der Stadt stehen in Marmorschrift die Worte, welche einst
Napoleon III. als frischer Kaiser auf seiner Rundreise durch Frankreich ge¬
sprochen hat, und die berufener wurden, als vielleicht jede andere Phrase des
zweiten Kaiserreiches: "I/<zmxir6 o'est 1a Mx."

Das Kaiserreich ist leider nicht der Friede geworden und niemand hat das tie¬
fer beseufzt, als die biedern Rheder und Weinhändler von Bordeaux, die von jeher
nicht sehr kriegslustig gewesen sind, im Unterschied zu dem zahlreichen Pöbel der
Stadt; die Geldaristokratie war hier auch nie sehr bonapartistisch gesinnt. Hatte
doch Bordeaux, als die erste Stadt, sich schon am 12. März 1814 für die
Bourbons erklärt, weil Napoleon I. mit seiner Continentalsperre die Interessen
der reichen Stadt tief geschädigt hatte. Seitdem hatte die herrschende Dynastie
dem nie gebrochenen Municipalgeist der großen Seehandelsstadt geschmeichelt
durch den Titel "Herzog von Bordeaux", der dem Sohn des Herzogs von Berry,
dem Grafen von Chambord beigelegt wurde. Der städtische Stolz, der Glanz,
die Macht des hiesigen Handels, die Einwohnerzahl, hat sich im letzten
Menschenalter wenigstens verdoppelt. Aber sehr bald wurde man dem Kaiser¬
reich gram. Man wählte oppositionell. Man hatte seine Gründe dazu.


Am nächsten Tage erschien in der Gazzetta uffiziale ti Roma, welche das
päpstliche Wappen weggelassen hatte, das sie bisher führte, folgendes Mani¬
fest Cadorna's: „Römer! Das gute Recht und die Tapferkeit des Heeres
haben mich in wenigen Stunden zu Euch gebracht, die Ihr die Freiheit zu¬
rück verlangtet. Eure Zukunft, wie jene der Nation, liegt fortan in Euren
Händen. Gekräftigt durch Eure freien Stimmen, wird Italien den Ruhm
haben, endlich das große Problem zu lösen, das so lange die moderne Ge¬
sellschaft schmerzlich berührt hatte. Ich danke Euch im Namen des Heeres
für den uns bereiteten festlichen Empfang. Die Ordnung ist bisher bewun¬
derungswürdig aufrecht erhalten worden, fahrt fort, sie zu hüten, denn ohne
Ordnung gibt es keine Freiheit. Römer! Der Morgen des 20. September
1870 bezeichnet einen der denkwürdigsten Tage in der Geschichte. Rom ist
noch einmal und für immer die große Hauptstadt einer großen Nation ge¬
worden." Diesem Manifeste folgte dann noch eine Kundmachung in Betreff
der Feststellung einiger Einrichtungen und Anordnungen über den Sicherheit^-,
Telegraphen- und Postdienst, über Rechtsprechung im Namen des Königs,
über EinHebung der Steuern und über die Münzen und Geldsorten.

(Schluß folgt.)




An der Börse der Stadt stehen in Marmorschrift die Worte, welche einst
Napoleon III. als frischer Kaiser auf seiner Rundreise durch Frankreich ge¬
sprochen hat, und die berufener wurden, als vielleicht jede andere Phrase des
zweiten Kaiserreiches: „I/<zmxir6 o'est 1a Mx."

Das Kaiserreich ist leider nicht der Friede geworden und niemand hat das tie¬
fer beseufzt, als die biedern Rheder und Weinhändler von Bordeaux, die von jeher
nicht sehr kriegslustig gewesen sind, im Unterschied zu dem zahlreichen Pöbel der
Stadt; die Geldaristokratie war hier auch nie sehr bonapartistisch gesinnt. Hatte
doch Bordeaux, als die erste Stadt, sich schon am 12. März 1814 für die
Bourbons erklärt, weil Napoleon I. mit seiner Continentalsperre die Interessen
der reichen Stadt tief geschädigt hatte. Seitdem hatte die herrschende Dynastie
dem nie gebrochenen Municipalgeist der großen Seehandelsstadt geschmeichelt
durch den Titel „Herzog von Bordeaux", der dem Sohn des Herzogs von Berry,
dem Grafen von Chambord beigelegt wurde. Der städtische Stolz, der Glanz,
die Macht des hiesigen Handels, die Einwohnerzahl, hat sich im letzten
Menschenalter wenigstens verdoppelt. Aber sehr bald wurde man dem Kaiser¬
reich gram. Man wählte oppositionell. Man hatte seine Gründe dazu.


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[0368] Am nächsten Tage erschien in der Gazzetta uffiziale ti Roma, welche das päpstliche Wappen weggelassen hatte, das sie bisher führte, folgendes Mani¬ fest Cadorna's: „Römer! Das gute Recht und die Tapferkeit des Heeres haben mich in wenigen Stunden zu Euch gebracht, die Ihr die Freiheit zu¬ rück verlangtet. Eure Zukunft, wie jene der Nation, liegt fortan in Euren Händen. Gekräftigt durch Eure freien Stimmen, wird Italien den Ruhm haben, endlich das große Problem zu lösen, das so lange die moderne Ge¬ sellschaft schmerzlich berührt hatte. Ich danke Euch im Namen des Heeres für den uns bereiteten festlichen Empfang. Die Ordnung ist bisher bewun¬ derungswürdig aufrecht erhalten worden, fahrt fort, sie zu hüten, denn ohne Ordnung gibt es keine Freiheit. Römer! Der Morgen des 20. September 1870 bezeichnet einen der denkwürdigsten Tage in der Geschichte. Rom ist noch einmal und für immer die große Hauptstadt einer großen Nation ge¬ worden." Diesem Manifeste folgte dann noch eine Kundmachung in Betreff der Feststellung einiger Einrichtungen und Anordnungen über den Sicherheit^-, Telegraphen- und Postdienst, über Rechtsprechung im Namen des Königs, über EinHebung der Steuern und über die Münzen und Geldsorten. (Schluß folgt.) An der Börse der Stadt stehen in Marmorschrift die Worte, welche einst Napoleon III. als frischer Kaiser auf seiner Rundreise durch Frankreich ge¬ sprochen hat, und die berufener wurden, als vielleicht jede andere Phrase des zweiten Kaiserreiches: „I/<zmxir6 o'est 1a Mx." Das Kaiserreich ist leider nicht der Friede geworden und niemand hat das tie¬ fer beseufzt, als die biedern Rheder und Weinhändler von Bordeaux, die von jeher nicht sehr kriegslustig gewesen sind, im Unterschied zu dem zahlreichen Pöbel der Stadt; die Geldaristokratie war hier auch nie sehr bonapartistisch gesinnt. Hatte doch Bordeaux, als die erste Stadt, sich schon am 12. März 1814 für die Bourbons erklärt, weil Napoleon I. mit seiner Continentalsperre die Interessen der reichen Stadt tief geschädigt hatte. Seitdem hatte die herrschende Dynastie dem nie gebrochenen Municipalgeist der großen Seehandelsstadt geschmeichelt durch den Titel „Herzog von Bordeaux", der dem Sohn des Herzogs von Berry, dem Grafen von Chambord beigelegt wurde. Der städtische Stolz, der Glanz, die Macht des hiesigen Handels, die Einwohnerzahl, hat sich im letzten Menschenalter wenigstens verdoppelt. Aber sehr bald wurde man dem Kaiser¬ reich gram. Man wählte oppositionell. Man hatte seine Gründe dazu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/368>, abgerufen am 26.06.2024.