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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Staat, sondern mit Napoleon persönlich sei sie abgeschlossen worden, wurde
beschlossen, das römische Gebiet und Rom zu besetzen und im Namen des
italienischen Volkes den Parlamentsbeschluß, durch den Rom zur Hauptstadt
des Königreichs erklärt worden war, nunmehr auszuführen. Am 6. Septem¬
ber sollte Cadorna mit der Armee die römische Grenze überschreiten, es kam
aber Gegenordre, über die man in Florenz sehr erbittert war, und wegen
deren das Ministerium heftig angegriffen wurde. Man hatte wohl erfahren,
daß Telegramme aus Paris eingegangen wären, wonach die neue Regierung
Frankreichs die Kündigung der September-Convention so wenig übel genom¬
men habe, daß sie zuerst telegraphirte: " voxöelies-vous" und dann zu er¬
kennen gab, Italien sei ihr darin nur zuvorgekommen. Jules Favre entband
zugleich Italien jeder Rücksicht auf die September-Convention. Der am
8. September gegebene zweite Befehl zum Einmarsch wurde trotzdem nochmals
zurückgenommen. An demselben Tage war der Graf Ponza ti San Martins
aus Florenz nach Rom gereist, um auf Befehl des Königs zuvor dem Papste
ein eigenhändiges Schreiben desselben zu überreichen. Dieses lautete folgender¬
maßen :

"Heiligster Bater! Mit kindlicher Liebe, katholischem Glauben, ita¬
lienischer Gesinnung und mit der Loyalität eines Königs wende ich mich,
wie schon öfter, noch einmal an das Herz Eurer Heiligkeit. Ein Sturm von
Gefahren bedroht Europa. Die Partei der kosmopolitischen Revolution, welche
sich über den, Mitteleuropa verheerenden Krieg freut, steigert ihre Kühnheit
und Verwegenheit und bereitet vornehmlich in Italien und in den von Eurer
Heiligkeit regierten Provinzen den letzten Schlag gegen die Monarchie und
das Papstthum vor. Ich weiß, Heiligster Vater, daß die Größe Ihres Ge¬
müths nicht kleiner ist, als die Größe der Ereignisse; aber da ich ein katho¬
lischer und ein italienischer König bin und als solcher durch die Rathschlüsse
der Vorsehung und den Willen der Nation zum Wächter und Beschützer der
Schicksale aller Italiener ausersehen wurde, so fühle ich die Verpflichtung,
im Angesichts von Europa und der Katholicität, die Verantwortlichkeit für die
Aufrechthaltung der Ordnung aus der Halbinsel und die Sicherheit Eurer
Heiligkeit übernehmen zu sollen. Die Gemüthsstimmung nun der von Eurer
Heiligkeit regierten Bevölkerungen, und die unter denselben aus verschiedenen
Gegenden gekommenen fremden Truppen sind ein Ferment fortwährender Agi¬
tation und Allen leicht erkennbarer Gefahren. Der Zufall oder ein Ausbruch
von Leidenschaften können zu Gewaltthätigkeiten und zum Blutvergießen füh¬
ren, das zu verhüten sowohl meine eigene, wie die Pflicht Eurer Heiligkeit
ist. Es ist eine unausweichliche Nothwendigkeit für die Sicherheit Italiens
und des Heiligen Stuhles, daß meine als Schutzwache an den Grenzen stehen¬
den Truppen nun jene Positionen einnehmen müssen, welche zum Schutze


Staat, sondern mit Napoleon persönlich sei sie abgeschlossen worden, wurde
beschlossen, das römische Gebiet und Rom zu besetzen und im Namen des
italienischen Volkes den Parlamentsbeschluß, durch den Rom zur Hauptstadt
des Königreichs erklärt worden war, nunmehr auszuführen. Am 6. Septem¬
ber sollte Cadorna mit der Armee die römische Grenze überschreiten, es kam
aber Gegenordre, über die man in Florenz sehr erbittert war, und wegen
deren das Ministerium heftig angegriffen wurde. Man hatte wohl erfahren,
daß Telegramme aus Paris eingegangen wären, wonach die neue Regierung
Frankreichs die Kündigung der September-Convention so wenig übel genom¬
men habe, daß sie zuerst telegraphirte: „ voxöelies-vous" und dann zu er¬
kennen gab, Italien sei ihr darin nur zuvorgekommen. Jules Favre entband
zugleich Italien jeder Rücksicht auf die September-Convention. Der am
8. September gegebene zweite Befehl zum Einmarsch wurde trotzdem nochmals
zurückgenommen. An demselben Tage war der Graf Ponza ti San Martins
aus Florenz nach Rom gereist, um auf Befehl des Königs zuvor dem Papste
ein eigenhändiges Schreiben desselben zu überreichen. Dieses lautete folgender¬
maßen :

„Heiligster Bater! Mit kindlicher Liebe, katholischem Glauben, ita¬
lienischer Gesinnung und mit der Loyalität eines Königs wende ich mich,
wie schon öfter, noch einmal an das Herz Eurer Heiligkeit. Ein Sturm von
Gefahren bedroht Europa. Die Partei der kosmopolitischen Revolution, welche
sich über den, Mitteleuropa verheerenden Krieg freut, steigert ihre Kühnheit
und Verwegenheit und bereitet vornehmlich in Italien und in den von Eurer
Heiligkeit regierten Provinzen den letzten Schlag gegen die Monarchie und
das Papstthum vor. Ich weiß, Heiligster Vater, daß die Größe Ihres Ge¬
müths nicht kleiner ist, als die Größe der Ereignisse; aber da ich ein katho¬
lischer und ein italienischer König bin und als solcher durch die Rathschlüsse
der Vorsehung und den Willen der Nation zum Wächter und Beschützer der
Schicksale aller Italiener ausersehen wurde, so fühle ich die Verpflichtung,
im Angesichts von Europa und der Katholicität, die Verantwortlichkeit für die
Aufrechthaltung der Ordnung aus der Halbinsel und die Sicherheit Eurer
Heiligkeit übernehmen zu sollen. Die Gemüthsstimmung nun der von Eurer
Heiligkeit regierten Bevölkerungen, und die unter denselben aus verschiedenen
Gegenden gekommenen fremden Truppen sind ein Ferment fortwährender Agi¬
tation und Allen leicht erkennbarer Gefahren. Der Zufall oder ein Ausbruch
von Leidenschaften können zu Gewaltthätigkeiten und zum Blutvergießen füh¬
ren, das zu verhüten sowohl meine eigene, wie die Pflicht Eurer Heiligkeit
ist. Es ist eine unausweichliche Nothwendigkeit für die Sicherheit Italiens
und des Heiligen Stuhles, daß meine als Schutzwache an den Grenzen stehen¬
den Truppen nun jene Positionen einnehmen müssen, welche zum Schutze


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[0359] Staat, sondern mit Napoleon persönlich sei sie abgeschlossen worden, wurde beschlossen, das römische Gebiet und Rom zu besetzen und im Namen des italienischen Volkes den Parlamentsbeschluß, durch den Rom zur Hauptstadt des Königreichs erklärt worden war, nunmehr auszuführen. Am 6. Septem¬ ber sollte Cadorna mit der Armee die römische Grenze überschreiten, es kam aber Gegenordre, über die man in Florenz sehr erbittert war, und wegen deren das Ministerium heftig angegriffen wurde. Man hatte wohl erfahren, daß Telegramme aus Paris eingegangen wären, wonach die neue Regierung Frankreichs die Kündigung der September-Convention so wenig übel genom¬ men habe, daß sie zuerst telegraphirte: „ voxöelies-vous" und dann zu er¬ kennen gab, Italien sei ihr darin nur zuvorgekommen. Jules Favre entband zugleich Italien jeder Rücksicht auf die September-Convention. Der am 8. September gegebene zweite Befehl zum Einmarsch wurde trotzdem nochmals zurückgenommen. An demselben Tage war der Graf Ponza ti San Martins aus Florenz nach Rom gereist, um auf Befehl des Königs zuvor dem Papste ein eigenhändiges Schreiben desselben zu überreichen. Dieses lautete folgender¬ maßen : „Heiligster Bater! Mit kindlicher Liebe, katholischem Glauben, ita¬ lienischer Gesinnung und mit der Loyalität eines Königs wende ich mich, wie schon öfter, noch einmal an das Herz Eurer Heiligkeit. Ein Sturm von Gefahren bedroht Europa. Die Partei der kosmopolitischen Revolution, welche sich über den, Mitteleuropa verheerenden Krieg freut, steigert ihre Kühnheit und Verwegenheit und bereitet vornehmlich in Italien und in den von Eurer Heiligkeit regierten Provinzen den letzten Schlag gegen die Monarchie und das Papstthum vor. Ich weiß, Heiligster Vater, daß die Größe Ihres Ge¬ müths nicht kleiner ist, als die Größe der Ereignisse; aber da ich ein katho¬ lischer und ein italienischer König bin und als solcher durch die Rathschlüsse der Vorsehung und den Willen der Nation zum Wächter und Beschützer der Schicksale aller Italiener ausersehen wurde, so fühle ich die Verpflichtung, im Angesichts von Europa und der Katholicität, die Verantwortlichkeit für die Aufrechthaltung der Ordnung aus der Halbinsel und die Sicherheit Eurer Heiligkeit übernehmen zu sollen. Die Gemüthsstimmung nun der von Eurer Heiligkeit regierten Bevölkerungen, und die unter denselben aus verschiedenen Gegenden gekommenen fremden Truppen sind ein Ferment fortwährender Agi¬ tation und Allen leicht erkennbarer Gefahren. Der Zufall oder ein Ausbruch von Leidenschaften können zu Gewaltthätigkeiten und zum Blutvergießen füh¬ ren, das zu verhüten sowohl meine eigene, wie die Pflicht Eurer Heiligkeit ist. Es ist eine unausweichliche Nothwendigkeit für die Sicherheit Italiens und des Heiligen Stuhles, daß meine als Schutzwache an den Grenzen stehen¬ den Truppen nun jene Positionen einnehmen müssen, welche zum Schutze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/359>, abgerufen am 26.06.2024.