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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Wirthschaft, jede Seele, die sie deutscher Sittigkeit gewinnen, ein nicht verächtlicher
Beitrag ist zum großen Werke: zum Schutze des geliebten deutschen Landes,
als dessen treue, tapfere Markmänner sie sich täglich fühlen. Die letztere Partei ist
leider in dem genannten Werke noch wenig geschildert und nur angedeutet
in dem Kapitel "Wien fängt an zu lernen." -- Der Verfasser kannte diese
Partei eben noch nicht recht. Weder die wahrhaft asiatische Unsittlichkeit, die
der Verfasser in ernsten Zügen schildert, noch der riesig entwickelte Finanz¬
schwindel, der Tanz um das goldene Kalb ist einzige Richtung in unserem
weltstädtischen Treiben.*) Denn wer Wien heutzutage aufmerksam betrachtet,
wird doch sehen müssen, daß jene Zuchtlosigkeiten und Krankheiten der Ge¬
sellschaft neben sehr achtungswerthem deutschen Patriotismus und rühriger
geistiger Arbeit vorkommen und daß dieselben durch einen hoffentlich bald
eintretenden religiösen Aufschwung mehr und mehr auf jenen Sumpf be¬
schränkt werden dürften, in dem sie in allen Großstädten vegetiren. Aber
freilich müssen ein ernsteres Wesen, eine wahre Staatsgesinnung, Zucht und
Achtung vor dem Gesetze Platz greifen, ganz anders, als in unsern bisherigen
Uebergangszuständen möglich war. Einen schönen Blick in Wiens Zukunft
thut der Verfasser des obengenannten Buches am Schlüsse desselben. Als
eine Wacht der völkerliebenden deutschen Cultur und Bildung sieht er Wien,
als Vormauer des weltmächtigen, aus der Asche einer tausendjährigen Ver¬
gangenheit zu neuem ruhmvollen Leben wieder erstandenen deutschen Reichs!
Mit diesen Gedanken des begeisterten Verfassers schließen wir unseren Bericht,
indem wir ihm nüchtern zurufen: Ja, Wien hat eine Zukunft, aber es muß
noch viel lernen, vor Allem wahre deutsche Frömmigkeit und reine Sitte! --
^. II. Es sehe nach Deutschland, nicht nach Pesth oder Paris!




Italien im letzten Kalbjahr 1870.
(Fortsetzung.)

Endlich einigte man sich im Ministerium, nachdem Alles aufgeboten wor¬
den war, um in diesem kritischen Augenblicke einer Ministerkrisis vorzubeugen.
Da die Regierung annahm, die September-Convention sei mit dem Wegfall
des andern Contrahenten hinfällig geworden, denn nicht mit Frankreich als



") Es mag erlaubt sein,'' hier auf eine charakteristische Schrift: F. A. Reinhold. die
Gefahren für die Sittlichkeit unserer Jugend, Wien. Beck'sehe Umversitatsbuchhnndlung, hin¬
zuweisen.

Wirthschaft, jede Seele, die sie deutscher Sittigkeit gewinnen, ein nicht verächtlicher
Beitrag ist zum großen Werke: zum Schutze des geliebten deutschen Landes,
als dessen treue, tapfere Markmänner sie sich täglich fühlen. Die letztere Partei ist
leider in dem genannten Werke noch wenig geschildert und nur angedeutet
in dem Kapitel „Wien fängt an zu lernen." — Der Verfasser kannte diese
Partei eben noch nicht recht. Weder die wahrhaft asiatische Unsittlichkeit, die
der Verfasser in ernsten Zügen schildert, noch der riesig entwickelte Finanz¬
schwindel, der Tanz um das goldene Kalb ist einzige Richtung in unserem
weltstädtischen Treiben.*) Denn wer Wien heutzutage aufmerksam betrachtet,
wird doch sehen müssen, daß jene Zuchtlosigkeiten und Krankheiten der Ge¬
sellschaft neben sehr achtungswerthem deutschen Patriotismus und rühriger
geistiger Arbeit vorkommen und daß dieselben durch einen hoffentlich bald
eintretenden religiösen Aufschwung mehr und mehr auf jenen Sumpf be¬
schränkt werden dürften, in dem sie in allen Großstädten vegetiren. Aber
freilich müssen ein ernsteres Wesen, eine wahre Staatsgesinnung, Zucht und
Achtung vor dem Gesetze Platz greifen, ganz anders, als in unsern bisherigen
Uebergangszuständen möglich war. Einen schönen Blick in Wiens Zukunft
thut der Verfasser des obengenannten Buches am Schlüsse desselben. Als
eine Wacht der völkerliebenden deutschen Cultur und Bildung sieht er Wien,
als Vormauer des weltmächtigen, aus der Asche einer tausendjährigen Ver¬
gangenheit zu neuem ruhmvollen Leben wieder erstandenen deutschen Reichs!
Mit diesen Gedanken des begeisterten Verfassers schließen wir unseren Bericht,
indem wir ihm nüchtern zurufen: Ja, Wien hat eine Zukunft, aber es muß
noch viel lernen, vor Allem wahre deutsche Frömmigkeit und reine Sitte! —
^. II. Es sehe nach Deutschland, nicht nach Pesth oder Paris!




Italien im letzten Kalbjahr 1870.
(Fortsetzung.)

Endlich einigte man sich im Ministerium, nachdem Alles aufgeboten wor¬
den war, um in diesem kritischen Augenblicke einer Ministerkrisis vorzubeugen.
Da die Regierung annahm, die September-Convention sei mit dem Wegfall
des andern Contrahenten hinfällig geworden, denn nicht mit Frankreich als



") Es mag erlaubt sein,'' hier auf eine charakteristische Schrift: F. A. Reinhold. die
Gefahren für die Sittlichkeit unserer Jugend, Wien. Beck'sehe Umversitatsbuchhnndlung, hin¬
zuweisen.
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[0358] Wirthschaft, jede Seele, die sie deutscher Sittigkeit gewinnen, ein nicht verächtlicher Beitrag ist zum großen Werke: zum Schutze des geliebten deutschen Landes, als dessen treue, tapfere Markmänner sie sich täglich fühlen. Die letztere Partei ist leider in dem genannten Werke noch wenig geschildert und nur angedeutet in dem Kapitel „Wien fängt an zu lernen." — Der Verfasser kannte diese Partei eben noch nicht recht. Weder die wahrhaft asiatische Unsittlichkeit, die der Verfasser in ernsten Zügen schildert, noch der riesig entwickelte Finanz¬ schwindel, der Tanz um das goldene Kalb ist einzige Richtung in unserem weltstädtischen Treiben.*) Denn wer Wien heutzutage aufmerksam betrachtet, wird doch sehen müssen, daß jene Zuchtlosigkeiten und Krankheiten der Ge¬ sellschaft neben sehr achtungswerthem deutschen Patriotismus und rühriger geistiger Arbeit vorkommen und daß dieselben durch einen hoffentlich bald eintretenden religiösen Aufschwung mehr und mehr auf jenen Sumpf be¬ schränkt werden dürften, in dem sie in allen Großstädten vegetiren. Aber freilich müssen ein ernsteres Wesen, eine wahre Staatsgesinnung, Zucht und Achtung vor dem Gesetze Platz greifen, ganz anders, als in unsern bisherigen Uebergangszuständen möglich war. Einen schönen Blick in Wiens Zukunft thut der Verfasser des obengenannten Buches am Schlüsse desselben. Als eine Wacht der völkerliebenden deutschen Cultur und Bildung sieht er Wien, als Vormauer des weltmächtigen, aus der Asche einer tausendjährigen Ver¬ gangenheit zu neuem ruhmvollen Leben wieder erstandenen deutschen Reichs! Mit diesen Gedanken des begeisterten Verfassers schließen wir unseren Bericht, indem wir ihm nüchtern zurufen: Ja, Wien hat eine Zukunft, aber es muß noch viel lernen, vor Allem wahre deutsche Frömmigkeit und reine Sitte! — ^. II. Es sehe nach Deutschland, nicht nach Pesth oder Paris! Italien im letzten Kalbjahr 1870. (Fortsetzung.) Endlich einigte man sich im Ministerium, nachdem Alles aufgeboten wor¬ den war, um in diesem kritischen Augenblicke einer Ministerkrisis vorzubeugen. Da die Regierung annahm, die September-Convention sei mit dem Wegfall des andern Contrahenten hinfällig geworden, denn nicht mit Frankreich als ") Es mag erlaubt sein,'' hier auf eine charakteristische Schrift: F. A. Reinhold. die Gefahren für die Sittlichkeit unserer Jugend, Wien. Beck'sehe Umversitatsbuchhnndlung, hin¬ zuweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/358>, abgerufen am 26.06.2024.