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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Restaurant dagegen, in welchem man zu allen Tageszeiten eine größere oder
geringere Anzahl Officiere aller Grade anzutreffen pflegte, wurde auch zu
unserem Versammlungspunkte gewählt, wo wir nicht allein unsre Mahlzeiten
einnahmen, sondern auch jeweilig zu den erforderlichen Versammlungen
zusammentrafen.

Bald nach unsrer Ankunft traf der Geh. Legationsrath von Keudell bei
dem Präsidenten Simson ein, um die Deputation des Reichstages im Namen
des seit einigen Tagen durch Unpäßlichkeit an seine Wohnung gefesselten
Bundeskanzlers Grafen von Bismarck zu begrüßen. Simson machte dem Kanzler
des norddeutschen Bundes persönlich seinen Besuch, wir übrigen sandten unsre
Karten und empfingen dagegen am nächsten Tage diejenige des Grafen Bismarck.

Man hatte unser Gepäck sammt und sonders nach dem Hotel gebracht.
Nachdem also die nöthigen Verabredungen für den nächsten Tag getroffen
waren, und wir zu Abend gegessen hatten, fuhr ich in einem preußischen Post¬
wagen mit einem Gepäckmeister als umitre as e^rämouies nach meinem Quar¬
tiere, wo mir auch sofort bereitwillig ein hübsches Zimmer eingeräumt wurde.

Am nächsten Morgen erfuhren wir, dech der König, welcher an diesem
Tage bis Nachmittag hin großen Kriegsrath mit seinen Generalen hielt, be¬
schlossen habe, am Sonntage, den 18. December Nachmittags 2^ihr nach
vorhergegangenem Gottesdienste in der Schloßkapelle die Adresse des Reichs¬
tages im Präfecturgebäude, wo seine Residenz war, zu empfangen. Zugleich
waren wir um 5 Uhr zur königlichen Tafel geladen. (Schluß folgt.)




Aus dem Wiener Leben.

Kaum eine Stadt dürfte während der Dauer dieses Krieges in ihrer
Stimmung ein so seltsames buntes Bild geboten haben, als Wien. Wenn
irgendwo, hatte hier die teutschgesinnte Partei einen schweren Stand. An¬
fänglich, im Juli und August, konnte sie fast nur mit Lebensgefahr ihren
Sympathieen für die Stammesgenossen Ausdruck geben; seither wuchs sie zu
zusehends zu Geschlossenheit, Macht und Einfluß, und gegenwärtig -- wir
können es mit Freude und Stolz aussprechen -- gegenwärtig ist unsere
Politik die siegreiche, die dominirende. Umsonst grollt jene geistig unbedeu¬
tende Partei, die den Abrechnungstag für 1866 ersehnte, umsonst raisonnirt
das Semitenthum -- aus unseren ungesunden Finanzverhaltnissen stets üppiger
aufschießend-- über Preußen, umsonst zetern jämmerliche mit Welfengeld be¬
zahlte Seribler in unbedeutenden Localblättern über das "Junkerthum und


Restaurant dagegen, in welchem man zu allen Tageszeiten eine größere oder
geringere Anzahl Officiere aller Grade anzutreffen pflegte, wurde auch zu
unserem Versammlungspunkte gewählt, wo wir nicht allein unsre Mahlzeiten
einnahmen, sondern auch jeweilig zu den erforderlichen Versammlungen
zusammentrafen.

Bald nach unsrer Ankunft traf der Geh. Legationsrath von Keudell bei
dem Präsidenten Simson ein, um die Deputation des Reichstages im Namen
des seit einigen Tagen durch Unpäßlichkeit an seine Wohnung gefesselten
Bundeskanzlers Grafen von Bismarck zu begrüßen. Simson machte dem Kanzler
des norddeutschen Bundes persönlich seinen Besuch, wir übrigen sandten unsre
Karten und empfingen dagegen am nächsten Tage diejenige des Grafen Bismarck.

Man hatte unser Gepäck sammt und sonders nach dem Hotel gebracht.
Nachdem also die nöthigen Verabredungen für den nächsten Tag getroffen
waren, und wir zu Abend gegessen hatten, fuhr ich in einem preußischen Post¬
wagen mit einem Gepäckmeister als umitre as e^rämouies nach meinem Quar¬
tiere, wo mir auch sofort bereitwillig ein hübsches Zimmer eingeräumt wurde.

Am nächsten Morgen erfuhren wir, dech der König, welcher an diesem
Tage bis Nachmittag hin großen Kriegsrath mit seinen Generalen hielt, be¬
schlossen habe, am Sonntage, den 18. December Nachmittags 2^ihr nach
vorhergegangenem Gottesdienste in der Schloßkapelle die Adresse des Reichs¬
tages im Präfecturgebäude, wo seine Residenz war, zu empfangen. Zugleich
waren wir um 5 Uhr zur königlichen Tafel geladen. (Schluß folgt.)




Aus dem Wiener Leben.

Kaum eine Stadt dürfte während der Dauer dieses Krieges in ihrer
Stimmung ein so seltsames buntes Bild geboten haben, als Wien. Wenn
irgendwo, hatte hier die teutschgesinnte Partei einen schweren Stand. An¬
fänglich, im Juli und August, konnte sie fast nur mit Lebensgefahr ihren
Sympathieen für die Stammesgenossen Ausdruck geben; seither wuchs sie zu
zusehends zu Geschlossenheit, Macht und Einfluß, und gegenwärtig — wir
können es mit Freude und Stolz aussprechen — gegenwärtig ist unsere
Politik die siegreiche, die dominirende. Umsonst grollt jene geistig unbedeu¬
tende Partei, die den Abrechnungstag für 1866 ersehnte, umsonst raisonnirt
das Semitenthum — aus unseren ungesunden Finanzverhaltnissen stets üppiger
aufschießend— über Preußen, umsonst zetern jämmerliche mit Welfengeld be¬
zahlte Seribler in unbedeutenden Localblättern über das „Junkerthum und


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[0355] Restaurant dagegen, in welchem man zu allen Tageszeiten eine größere oder geringere Anzahl Officiere aller Grade anzutreffen pflegte, wurde auch zu unserem Versammlungspunkte gewählt, wo wir nicht allein unsre Mahlzeiten einnahmen, sondern auch jeweilig zu den erforderlichen Versammlungen zusammentrafen. Bald nach unsrer Ankunft traf der Geh. Legationsrath von Keudell bei dem Präsidenten Simson ein, um die Deputation des Reichstages im Namen des seit einigen Tagen durch Unpäßlichkeit an seine Wohnung gefesselten Bundeskanzlers Grafen von Bismarck zu begrüßen. Simson machte dem Kanzler des norddeutschen Bundes persönlich seinen Besuch, wir übrigen sandten unsre Karten und empfingen dagegen am nächsten Tage diejenige des Grafen Bismarck. Man hatte unser Gepäck sammt und sonders nach dem Hotel gebracht. Nachdem also die nöthigen Verabredungen für den nächsten Tag getroffen waren, und wir zu Abend gegessen hatten, fuhr ich in einem preußischen Post¬ wagen mit einem Gepäckmeister als umitre as e^rämouies nach meinem Quar¬ tiere, wo mir auch sofort bereitwillig ein hübsches Zimmer eingeräumt wurde. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dech der König, welcher an diesem Tage bis Nachmittag hin großen Kriegsrath mit seinen Generalen hielt, be¬ schlossen habe, am Sonntage, den 18. December Nachmittags 2^ihr nach vorhergegangenem Gottesdienste in der Schloßkapelle die Adresse des Reichs¬ tages im Präfecturgebäude, wo seine Residenz war, zu empfangen. Zugleich waren wir um 5 Uhr zur königlichen Tafel geladen. (Schluß folgt.) Aus dem Wiener Leben. Kaum eine Stadt dürfte während der Dauer dieses Krieges in ihrer Stimmung ein so seltsames buntes Bild geboten haben, als Wien. Wenn irgendwo, hatte hier die teutschgesinnte Partei einen schweren Stand. An¬ fänglich, im Juli und August, konnte sie fast nur mit Lebensgefahr ihren Sympathieen für die Stammesgenossen Ausdruck geben; seither wuchs sie zu zusehends zu Geschlossenheit, Macht und Einfluß, und gegenwärtig — wir können es mit Freude und Stolz aussprechen — gegenwärtig ist unsere Politik die siegreiche, die dominirende. Umsonst grollt jene geistig unbedeu¬ tende Partei, die den Abrechnungstag für 1866 ersehnte, umsonst raisonnirt das Semitenthum — aus unseren ungesunden Finanzverhaltnissen stets üppiger aufschießend— über Preußen, umsonst zetern jämmerliche mit Welfengeld be¬ zahlte Seribler in unbedeutenden Localblättern über das „Junkerthum und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/355>, abgerufen am 26.06.2024.