Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

großen Theil der Bevölkerung verscheucht, ein anderer hielt sich im Innern
seiner Häuser verborgen, und nur hie und da sah man einmal eine menschliche
Gestalt, welche nicht deutsche Uniform trug. Die Dörfer waren großentheils
von den Bewohnern verlassen und dienten unseren Truppen zum Aufenthalte,
die Landhäuser standen, wo nicht Thüren und Fenster zerbrochen waren, in
der Regel mit geschlossenen Fensterjalousieen da. Auch in den Dörfern sah
man häufig zerstörte Häuser, verwüstete Gärten. Buckle man mit Leidwesen
auf diese unvermeidlichen Spuren des Krieges, so fand das Auge wieder
so manche Zerstreuung an dem Leben und Treiben unserer Truppen. Hier
sah man starke Abtheilungen beschäftigt, die plötzlich zur großen Etappen¬
straße der Armee umgewandelten .und von den Tausenden von Fuhrwerken
theilweise hart mitgenommenen Landstraßen wieder herzustellen; dort stand eine
Abtheilung Reserve-Artillerie aufgefahren, und die Leute waren in der Nähe
mit mancherlei Arbeiten beschäftigt, oder es ritten einige Feldgendarmen im
Dienste vorüber. In den Dörfern reinigten die Leute ihre Waffen, trugen
Wasser für die Pferde herbei oder standen rauchend in Unterhaltung in
den Thüren,

Ehe wir nach Villeneuve Se. George kamen, stieg die Straße über einen
Höhenrücken, von wo man eine weitere Aussicht hatte, und mit einem Male
lag das Häusermeer von Paris vor uns, allerdings in der Ferne, fast am
Horizonte und bei dem etwas trüben Wetter bereits in Abendnebel gehüllt,
aber dennoch vollkommen sichtbar, so daß man das Pantheon und einige der
anderen besonders hervorragenden Gebäude unterscheiden konnte. Wir ließen
den ganzen Wagenzug für einige Minuten halten, und auch diejenigen, welche
Paris kannten, blickten voll Interesse auf die feindliche Stadt, welche so
lange schon unseren Heeren Trotz bot, nachdem alle französischen Armeen so
oft und gründlich geschlagen worden waren. Nicht lange währte es, so hör¬
ten wir auch einen dumpfen Knall in der Ferne, und so wie wir weiter
fuhren, wiederholten sich diese Beweise des fortwährenden Feuers der Forts
von Zeit zu Zeit. Glücklicherweise wußten wir, daß es bloße Vergeudung
von Munition war, und keiner unserer Soldaten davon beschädigt wurde.

Interessant war der Anblick, als wir über die Seine fuhren, und, da
der Weg umbog und eine Strecke am Ufer hinlief, Gelegenheit hatten, un¬
seren ganzen Zug von zwanzig Wagen zu überblicken: voran und als Nach¬
trab die Cavalleriededeckung, weiter zurück in der Ferne die drei Gepäckwagen
der Post mit ihrer Escorte, welche nur mühsam Schritt mit uns hielten.
Ich habe oben von siebenzehn Postkaleschen gesprochen. Da die Mittel des
Postamtes in Versailles aber beschränkt sind und man wahrscheinlich mit Re¬
quisitionen hatte aushelfen müssen, so bestand der Zug aus allen möglichen
Arten von Fuhrwerken, gelben preußischen Postkutschen, offenen Kaleschen,


großen Theil der Bevölkerung verscheucht, ein anderer hielt sich im Innern
seiner Häuser verborgen, und nur hie und da sah man einmal eine menschliche
Gestalt, welche nicht deutsche Uniform trug. Die Dörfer waren großentheils
von den Bewohnern verlassen und dienten unseren Truppen zum Aufenthalte,
die Landhäuser standen, wo nicht Thüren und Fenster zerbrochen waren, in
der Regel mit geschlossenen Fensterjalousieen da. Auch in den Dörfern sah
man häufig zerstörte Häuser, verwüstete Gärten. Buckle man mit Leidwesen
auf diese unvermeidlichen Spuren des Krieges, so fand das Auge wieder
so manche Zerstreuung an dem Leben und Treiben unserer Truppen. Hier
sah man starke Abtheilungen beschäftigt, die plötzlich zur großen Etappen¬
straße der Armee umgewandelten .und von den Tausenden von Fuhrwerken
theilweise hart mitgenommenen Landstraßen wieder herzustellen; dort stand eine
Abtheilung Reserve-Artillerie aufgefahren, und die Leute waren in der Nähe
mit mancherlei Arbeiten beschäftigt, oder es ritten einige Feldgendarmen im
Dienste vorüber. In den Dörfern reinigten die Leute ihre Waffen, trugen
Wasser für die Pferde herbei oder standen rauchend in Unterhaltung in
den Thüren,

Ehe wir nach Villeneuve Se. George kamen, stieg die Straße über einen
Höhenrücken, von wo man eine weitere Aussicht hatte, und mit einem Male
lag das Häusermeer von Paris vor uns, allerdings in der Ferne, fast am
Horizonte und bei dem etwas trüben Wetter bereits in Abendnebel gehüllt,
aber dennoch vollkommen sichtbar, so daß man das Pantheon und einige der
anderen besonders hervorragenden Gebäude unterscheiden konnte. Wir ließen
den ganzen Wagenzug für einige Minuten halten, und auch diejenigen, welche
Paris kannten, blickten voll Interesse auf die feindliche Stadt, welche so
lange schon unseren Heeren Trotz bot, nachdem alle französischen Armeen so
oft und gründlich geschlagen worden waren. Nicht lange währte es, so hör¬
ten wir auch einen dumpfen Knall in der Ferne, und so wie wir weiter
fuhren, wiederholten sich diese Beweise des fortwährenden Feuers der Forts
von Zeit zu Zeit. Glücklicherweise wußten wir, daß es bloße Vergeudung
von Munition war, und keiner unserer Soldaten davon beschädigt wurde.

Interessant war der Anblick, als wir über die Seine fuhren, und, da
der Weg umbog und eine Strecke am Ufer hinlief, Gelegenheit hatten, un¬
seren ganzen Zug von zwanzig Wagen zu überblicken: voran und als Nach¬
trab die Cavalleriededeckung, weiter zurück in der Ferne die drei Gepäckwagen
der Post mit ihrer Escorte, welche nur mühsam Schritt mit uns hielten.
Ich habe oben von siebenzehn Postkaleschen gesprochen. Da die Mittel des
Postamtes in Versailles aber beschränkt sind und man wahrscheinlich mit Re¬
quisitionen hatte aushelfen müssen, so bestand der Zug aus allen möglichen
Arten von Fuhrwerken, gelben preußischen Postkutschen, offenen Kaleschen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125597"/>
          <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> großen Theil der Bevölkerung verscheucht, ein anderer hielt sich im Innern<lb/>
seiner Häuser verborgen, und nur hie und da sah man einmal eine menschliche<lb/>
Gestalt, welche nicht deutsche Uniform trug. Die Dörfer waren großentheils<lb/>
von den Bewohnern verlassen und dienten unseren Truppen zum Aufenthalte,<lb/>
die Landhäuser standen, wo nicht Thüren und Fenster zerbrochen waren, in<lb/>
der Regel mit geschlossenen Fensterjalousieen da. Auch in den Dörfern sah<lb/>
man häufig zerstörte Häuser, verwüstete Gärten. Buckle man mit Leidwesen<lb/>
auf diese unvermeidlichen Spuren des Krieges, so fand das Auge wieder<lb/>
so manche Zerstreuung an dem Leben und Treiben unserer Truppen. Hier<lb/>
sah man starke Abtheilungen beschäftigt, die plötzlich zur großen Etappen¬<lb/>
straße der Armee umgewandelten .und von den Tausenden von Fuhrwerken<lb/>
theilweise hart mitgenommenen Landstraßen wieder herzustellen; dort stand eine<lb/>
Abtheilung Reserve-Artillerie aufgefahren, und die Leute waren in der Nähe<lb/>
mit mancherlei Arbeiten beschäftigt, oder es ritten einige Feldgendarmen im<lb/>
Dienste vorüber. In den Dörfern reinigten die Leute ihre Waffen, trugen<lb/>
Wasser für die Pferde herbei oder standen rauchend in Unterhaltung in<lb/>
den Thüren,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242"> Ehe wir nach Villeneuve Se. George kamen, stieg die Straße über einen<lb/>
Höhenrücken, von wo man eine weitere Aussicht hatte, und mit einem Male<lb/>
lag das Häusermeer von Paris vor uns, allerdings in der Ferne, fast am<lb/>
Horizonte und bei dem etwas trüben Wetter bereits in Abendnebel gehüllt,<lb/>
aber dennoch vollkommen sichtbar, so daß man das Pantheon und einige der<lb/>
anderen besonders hervorragenden Gebäude unterscheiden konnte. Wir ließen<lb/>
den ganzen Wagenzug für einige Minuten halten, und auch diejenigen, welche<lb/>
Paris kannten, blickten voll Interesse auf die feindliche Stadt, welche so<lb/>
lange schon unseren Heeren Trotz bot, nachdem alle französischen Armeen so<lb/>
oft und gründlich geschlagen worden waren. Nicht lange währte es, so hör¬<lb/>
ten wir auch einen dumpfen Knall in der Ferne, und so wie wir weiter<lb/>
fuhren, wiederholten sich diese Beweise des fortwährenden Feuers der Forts<lb/>
von Zeit zu Zeit. Glücklicherweise wußten wir, daß es bloße Vergeudung<lb/>
von Munition war, und keiner unserer Soldaten davon beschädigt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1243" next="#ID_1244"> Interessant war der Anblick, als wir über die Seine fuhren, und, da<lb/>
der Weg umbog und eine Strecke am Ufer hinlief, Gelegenheit hatten, un¬<lb/>
seren ganzen Zug von zwanzig Wagen zu überblicken: voran und als Nach¬<lb/>
trab die Cavalleriededeckung, weiter zurück in der Ferne die drei Gepäckwagen<lb/>
der Post mit ihrer Escorte, welche nur mühsam Schritt mit uns hielten.<lb/>
Ich habe oben von siebenzehn Postkaleschen gesprochen. Da die Mittel des<lb/>
Postamtes in Versailles aber beschränkt sind und man wahrscheinlich mit Re¬<lb/>
quisitionen hatte aushelfen müssen, so bestand der Zug aus allen möglichen<lb/>
Arten von Fuhrwerken, gelben preußischen Postkutschen, offenen Kaleschen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] großen Theil der Bevölkerung verscheucht, ein anderer hielt sich im Innern seiner Häuser verborgen, und nur hie und da sah man einmal eine menschliche Gestalt, welche nicht deutsche Uniform trug. Die Dörfer waren großentheils von den Bewohnern verlassen und dienten unseren Truppen zum Aufenthalte, die Landhäuser standen, wo nicht Thüren und Fenster zerbrochen waren, in der Regel mit geschlossenen Fensterjalousieen da. Auch in den Dörfern sah man häufig zerstörte Häuser, verwüstete Gärten. Buckle man mit Leidwesen auf diese unvermeidlichen Spuren des Krieges, so fand das Auge wieder so manche Zerstreuung an dem Leben und Treiben unserer Truppen. Hier sah man starke Abtheilungen beschäftigt, die plötzlich zur großen Etappen¬ straße der Armee umgewandelten .und von den Tausenden von Fuhrwerken theilweise hart mitgenommenen Landstraßen wieder herzustellen; dort stand eine Abtheilung Reserve-Artillerie aufgefahren, und die Leute waren in der Nähe mit mancherlei Arbeiten beschäftigt, oder es ritten einige Feldgendarmen im Dienste vorüber. In den Dörfern reinigten die Leute ihre Waffen, trugen Wasser für die Pferde herbei oder standen rauchend in Unterhaltung in den Thüren, Ehe wir nach Villeneuve Se. George kamen, stieg die Straße über einen Höhenrücken, von wo man eine weitere Aussicht hatte, und mit einem Male lag das Häusermeer von Paris vor uns, allerdings in der Ferne, fast am Horizonte und bei dem etwas trüben Wetter bereits in Abendnebel gehüllt, aber dennoch vollkommen sichtbar, so daß man das Pantheon und einige der anderen besonders hervorragenden Gebäude unterscheiden konnte. Wir ließen den ganzen Wagenzug für einige Minuten halten, und auch diejenigen, welche Paris kannten, blickten voll Interesse auf die feindliche Stadt, welche so lange schon unseren Heeren Trotz bot, nachdem alle französischen Armeen so oft und gründlich geschlagen worden waren. Nicht lange währte es, so hör¬ ten wir auch einen dumpfen Knall in der Ferne, und so wie wir weiter fuhren, wiederholten sich diese Beweise des fortwährenden Feuers der Forts von Zeit zu Zeit. Glücklicherweise wußten wir, daß es bloße Vergeudung von Munition war, und keiner unserer Soldaten davon beschädigt wurde. Interessant war der Anblick, als wir über die Seine fuhren, und, da der Weg umbog und eine Strecke am Ufer hinlief, Gelegenheit hatten, un¬ seren ganzen Zug von zwanzig Wagen zu überblicken: voran und als Nach¬ trab die Cavalleriededeckung, weiter zurück in der Ferne die drei Gepäckwagen der Post mit ihrer Escorte, welche nur mühsam Schritt mit uns hielten. Ich habe oben von siebenzehn Postkaleschen gesprochen. Da die Mittel des Postamtes in Versailles aber beschränkt sind und man wahrscheinlich mit Re¬ quisitionen hatte aushelfen müssen, so bestand der Zug aus allen möglichen Arten von Fuhrwerken, gelben preußischen Postkutschen, offenen Kaleschen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/353>, abgerufen am 26.06.2024.