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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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der Eisenbahnstation von Lagny hatte man von Lebensmitteln und Wein,
die von Epernay mitgenommen waren, das Frühstück für uns improvisirt.
Tische und die nothwendigen Sitze fanden wir, nur herrschte ein bedenklicher
Mangel an Messern und Gabeln, dem wir jedoch mit Hilfe unserer Taschen¬
messer abhalfen. So bald wie möglich vertheilten wir uns dann in siebenzehn
für uns von Versailles gesandte Postkaleschen, nachdem drei besondere Ge¬
päckwagen unsere Koffer und Reisesacke aufgenommen hatten, und fuhren
unter Leitung des Postinspectors Riezler, mit blasenden Postillionen auf dem
Bocke, im scharfen Trabe zum Orte hinaus unter Bedeckung eines Zuges
preußischer Dragoner.

So lange das Tageslicht ausreichte, bot unsere Fahrt manches Inter¬
essante dar. Wir führen an endlosen Reihen von Munitionscolonnen vor¬
über, Wagen an Wagen, mit Leinen überspannt, geführt entweder von den
französischen Bauern, welche die Requisitionsfuhren gestellt hatten, oder auch
von deutschen Soldaten, welche gemüthlich, die Pfeife im Munde, vorn auf
den Bauerwagen saßen, zur Seite einzelne zur Escorte gehörende Reiter,
ab und an kleine geschlossene Cavallerie-Abtheilungen unter Führung der das
Ganze leitenden Officiere. Die Umgebungen von Paris bieten bekanntlich
meilenweit nirgends eigentliches offenes Feld, dar; sie sind nach allen Rich¬
tungen von gut erhaltenen Landstraßen durchschnitten, meistens in der Gestalt
von Alleen, und an ihnen reiht sich Landhaus an Landhaus, theils von Blumen¬
gärten, theils von größeren Parks umgeben, abwechselnd mit nahe zusammen¬
liegenden Dorfschaften und Städtchen, auch wieder größeren Orten, das Ganze
nur unterbrochen durch Fruchtgärten, Vergnügungsorte und hie und da einen
eigentlichen Schloßbau oder ein Lustgehölz. Dabei wechselt Berg Und Thal,
der Weg führt uns hinauf und wieder hinab über Canäle, Wassergräben,
wir sehen näher oder ferner die Seine oder die Marne, und eine Menge
Eisenbahnen, oft auf hohen Dämmen und Viaducten, erinnern uns, daß diese
Gegend voll Leben, Genuß und Betriebsamkeit nach allen Weltgegenden hin
mit den entferntesten Ländern in fortwährender Verbindung und Wechsel¬
wirkung steht. Wir werden unwillkürlich an das stark pulsirende Leben im
menschlichen Körper erinnert da, wo es sich im Umkreise des Herzens als Mittel¬
punkt aller Arterien und Venen am heftigsten bewegt. Das Einzige, was
in gewöhnlichen Zeiten den Wanderer in diesem Bilde voll Abwechselung
und Leben hie und da stört und ihm einen Eindruck von langer Weile oder
Ungeduld verursacht, sind die oft sehr langen und hohen steinernen Mauern,
welche die Parkanlagen zu umgeben pflegen und dem Auge dann für eine Zeit
lang alle Aussicht rauben, wodurch es dann aber auch wieder desto empfäng¬
licher für die Schönheit der Landschaften wird, wenn sich plötzlich die Aus¬
sicht öffnet. Jetzt war hier allerdings Manches anders; der Krieg hatte einen


der Eisenbahnstation von Lagny hatte man von Lebensmitteln und Wein,
die von Epernay mitgenommen waren, das Frühstück für uns improvisirt.
Tische und die nothwendigen Sitze fanden wir, nur herrschte ein bedenklicher
Mangel an Messern und Gabeln, dem wir jedoch mit Hilfe unserer Taschen¬
messer abhalfen. So bald wie möglich vertheilten wir uns dann in siebenzehn
für uns von Versailles gesandte Postkaleschen, nachdem drei besondere Ge¬
päckwagen unsere Koffer und Reisesacke aufgenommen hatten, und fuhren
unter Leitung des Postinspectors Riezler, mit blasenden Postillionen auf dem
Bocke, im scharfen Trabe zum Orte hinaus unter Bedeckung eines Zuges
preußischer Dragoner.

So lange das Tageslicht ausreichte, bot unsere Fahrt manches Inter¬
essante dar. Wir führen an endlosen Reihen von Munitionscolonnen vor¬
über, Wagen an Wagen, mit Leinen überspannt, geführt entweder von den
französischen Bauern, welche die Requisitionsfuhren gestellt hatten, oder auch
von deutschen Soldaten, welche gemüthlich, die Pfeife im Munde, vorn auf
den Bauerwagen saßen, zur Seite einzelne zur Escorte gehörende Reiter,
ab und an kleine geschlossene Cavallerie-Abtheilungen unter Führung der das
Ganze leitenden Officiere. Die Umgebungen von Paris bieten bekanntlich
meilenweit nirgends eigentliches offenes Feld, dar; sie sind nach allen Rich¬
tungen von gut erhaltenen Landstraßen durchschnitten, meistens in der Gestalt
von Alleen, und an ihnen reiht sich Landhaus an Landhaus, theils von Blumen¬
gärten, theils von größeren Parks umgeben, abwechselnd mit nahe zusammen¬
liegenden Dorfschaften und Städtchen, auch wieder größeren Orten, das Ganze
nur unterbrochen durch Fruchtgärten, Vergnügungsorte und hie und da einen
eigentlichen Schloßbau oder ein Lustgehölz. Dabei wechselt Berg Und Thal,
der Weg führt uns hinauf und wieder hinab über Canäle, Wassergräben,
wir sehen näher oder ferner die Seine oder die Marne, und eine Menge
Eisenbahnen, oft auf hohen Dämmen und Viaducten, erinnern uns, daß diese
Gegend voll Leben, Genuß und Betriebsamkeit nach allen Weltgegenden hin
mit den entferntesten Ländern in fortwährender Verbindung und Wechsel¬
wirkung steht. Wir werden unwillkürlich an das stark pulsirende Leben im
menschlichen Körper erinnert da, wo es sich im Umkreise des Herzens als Mittel¬
punkt aller Arterien und Venen am heftigsten bewegt. Das Einzige, was
in gewöhnlichen Zeiten den Wanderer in diesem Bilde voll Abwechselung
und Leben hie und da stört und ihm einen Eindruck von langer Weile oder
Ungeduld verursacht, sind die oft sehr langen und hohen steinernen Mauern,
welche die Parkanlagen zu umgeben pflegen und dem Auge dann für eine Zeit
lang alle Aussicht rauben, wodurch es dann aber auch wieder desto empfäng¬
licher für die Schönheit der Landschaften wird, wenn sich plötzlich die Aus¬
sicht öffnet. Jetzt war hier allerdings Manches anders; der Krieg hatte einen


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[0352] der Eisenbahnstation von Lagny hatte man von Lebensmitteln und Wein, die von Epernay mitgenommen waren, das Frühstück für uns improvisirt. Tische und die nothwendigen Sitze fanden wir, nur herrschte ein bedenklicher Mangel an Messern und Gabeln, dem wir jedoch mit Hilfe unserer Taschen¬ messer abhalfen. So bald wie möglich vertheilten wir uns dann in siebenzehn für uns von Versailles gesandte Postkaleschen, nachdem drei besondere Ge¬ päckwagen unsere Koffer und Reisesacke aufgenommen hatten, und fuhren unter Leitung des Postinspectors Riezler, mit blasenden Postillionen auf dem Bocke, im scharfen Trabe zum Orte hinaus unter Bedeckung eines Zuges preußischer Dragoner. So lange das Tageslicht ausreichte, bot unsere Fahrt manches Inter¬ essante dar. Wir führen an endlosen Reihen von Munitionscolonnen vor¬ über, Wagen an Wagen, mit Leinen überspannt, geführt entweder von den französischen Bauern, welche die Requisitionsfuhren gestellt hatten, oder auch von deutschen Soldaten, welche gemüthlich, die Pfeife im Munde, vorn auf den Bauerwagen saßen, zur Seite einzelne zur Escorte gehörende Reiter, ab und an kleine geschlossene Cavallerie-Abtheilungen unter Führung der das Ganze leitenden Officiere. Die Umgebungen von Paris bieten bekanntlich meilenweit nirgends eigentliches offenes Feld, dar; sie sind nach allen Rich¬ tungen von gut erhaltenen Landstraßen durchschnitten, meistens in der Gestalt von Alleen, und an ihnen reiht sich Landhaus an Landhaus, theils von Blumen¬ gärten, theils von größeren Parks umgeben, abwechselnd mit nahe zusammen¬ liegenden Dorfschaften und Städtchen, auch wieder größeren Orten, das Ganze nur unterbrochen durch Fruchtgärten, Vergnügungsorte und hie und da einen eigentlichen Schloßbau oder ein Lustgehölz. Dabei wechselt Berg Und Thal, der Weg führt uns hinauf und wieder hinab über Canäle, Wassergräben, wir sehen näher oder ferner die Seine oder die Marne, und eine Menge Eisenbahnen, oft auf hohen Dämmen und Viaducten, erinnern uns, daß diese Gegend voll Leben, Genuß und Betriebsamkeit nach allen Weltgegenden hin mit den entferntesten Ländern in fortwährender Verbindung und Wechsel¬ wirkung steht. Wir werden unwillkürlich an das stark pulsirende Leben im menschlichen Körper erinnert da, wo es sich im Umkreise des Herzens als Mittel¬ punkt aller Arterien und Venen am heftigsten bewegt. Das Einzige, was in gewöhnlichen Zeiten den Wanderer in diesem Bilde voll Abwechselung und Leben hie und da stört und ihm einen Eindruck von langer Weile oder Ungeduld verursacht, sind die oft sehr langen und hohen steinernen Mauern, welche die Parkanlagen zu umgeben pflegen und dem Auge dann für eine Zeit lang alle Aussicht rauben, wodurch es dann aber auch wieder desto empfäng¬ licher für die Schönheit der Landschaften wird, wenn sich plötzlich die Aus¬ sicht öffnet. Jetzt war hier allerdings Manches anders; der Krieg hatte einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/352>, abgerufen am 26.06.2024.