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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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längerer Zeit im Quartiere lagen. Die Einrichtung der Zimmer, Betten
u. s. w. war ohne Tadel, sehr reich sogar, die Bewirthung dagegen sehr ein¬
fach, was der Herr Baron damit entschuldigte, daß der eigentliche Koch des
Hauses mit nach Jersey genommen sei. Ich für meinen Theil hatte schon
oft In>M gegessen und war zufrieden, aber einige meiner Gefährten klagten
noch in Versailles über die "wilde Katze", die man ihnen zu essen gegeben
habe. Uebrigens hatte unser Wirth, dessen Weinkeller sich angeblich über eine
Meile unter der Erde erstrecken sollen, seinen Nachbarn bei Tische erzählt,
daß er während des Krieges bereits nahe an achthundert Personen als Ein-
quartirung gehabt habe. Unter solchen Umständen kann man nicht wohl
eine reichbesetzte Tafel verlangen.

Am 16. December brachte ein Extrazug die Deputation des Reichstages
über Dormans, Chateau Thierry, la Ferte sous Jouarre und Meaux nach
Lagny, wo wir gegen 1l'/^ Uhr eintrafen. Bei Vitry le Franyais bereits,
zwischen Bar le Duc und Chalons war die Bahn ins schöne Marnethal ein¬
getreten und wir verließen dasselbe erst wieder in der Nähe von Paris; ent¬
weder strömte uns der Fluß zur Seite, oder wir überschritten seine zahlreichen
Krümmungen auf stattlichen Brücken, welche aber, sowie wir uns der Haupt¬
stadt Frankreichs näherten, sammt und sonders in einem ihrer Bögen ge¬
sprengt und erst von unseren Pionieren mit hölzernen Jochen wieder herge¬
stellt waren. Die Marne war nicht gleich der Mosel und Maas angeschwol¬
len, sondern ihr Wasserstand schien normal. Erst als wir auf dem Rückwege
waren, fanden wir, daß auch sie über ihre Ufer getreten war und hie und da
weite Landstrecken überschwemmt hatte. Heute fuhren wir abermals unauf¬
hörlich an Zügen mit Munition und schwerem Geschütze vorüber, und uns
entgegen kamen wiederum zahlreiche Transporte Kriegsgefangener sowie auch
einzelne Züge mit Verwundeten. In Meaux erregte die ansehnliche Kirche
unsere Aufmerksamkeit.

Lagny ist ein nicht unbedeutendes Städtchen. Da die Franzosen den in
seiner Nähe gelegenen bedeutenden Tunnel gesprengt, d. h. verschüttet hatten,
so hörte hier der Eisenbahnverkehr auf. Wir befanden uns hier ungefähr
auf der Breite von Paris und nicht sehr entfernt von der Hauptstadt. Es
galt aber in einem weiten Bogen, südlich, außer Schußbereich der Forts um
die Stadt herum nach dem jenseits (südwestlich) gelegenen Versailles zu ge¬
langen, und dazu mußten wir zu Wagen auf größtenteils gepflasterten Land¬
straßen durch eine Reihe von durch unsere Belagerungstruppen besetzten Dör¬
fern noch eine Fahrt von 6^ bis 7 Stunden zurücklegen, und südlich von
Paris bei Villeneuve Se. Georges die Seine überschreiten, oberhalb ihrer Ver¬
einigung mit der Marne, wobei einmal, auf halber Entfernung ungefähr, in
Villeneuve le Roi die Pferde gewechselt wurden. In einem Nebengebäude


längerer Zeit im Quartiere lagen. Die Einrichtung der Zimmer, Betten
u. s. w. war ohne Tadel, sehr reich sogar, die Bewirthung dagegen sehr ein¬
fach, was der Herr Baron damit entschuldigte, daß der eigentliche Koch des
Hauses mit nach Jersey genommen sei. Ich für meinen Theil hatte schon
oft In>M gegessen und war zufrieden, aber einige meiner Gefährten klagten
noch in Versailles über die „wilde Katze", die man ihnen zu essen gegeben
habe. Uebrigens hatte unser Wirth, dessen Weinkeller sich angeblich über eine
Meile unter der Erde erstrecken sollen, seinen Nachbarn bei Tische erzählt,
daß er während des Krieges bereits nahe an achthundert Personen als Ein-
quartirung gehabt habe. Unter solchen Umständen kann man nicht wohl
eine reichbesetzte Tafel verlangen.

Am 16. December brachte ein Extrazug die Deputation des Reichstages
über Dormans, Chateau Thierry, la Ferte sous Jouarre und Meaux nach
Lagny, wo wir gegen 1l'/^ Uhr eintrafen. Bei Vitry le Franyais bereits,
zwischen Bar le Duc und Chalons war die Bahn ins schöne Marnethal ein¬
getreten und wir verließen dasselbe erst wieder in der Nähe von Paris; ent¬
weder strömte uns der Fluß zur Seite, oder wir überschritten seine zahlreichen
Krümmungen auf stattlichen Brücken, welche aber, sowie wir uns der Haupt¬
stadt Frankreichs näherten, sammt und sonders in einem ihrer Bögen ge¬
sprengt und erst von unseren Pionieren mit hölzernen Jochen wieder herge¬
stellt waren. Die Marne war nicht gleich der Mosel und Maas angeschwol¬
len, sondern ihr Wasserstand schien normal. Erst als wir auf dem Rückwege
waren, fanden wir, daß auch sie über ihre Ufer getreten war und hie und da
weite Landstrecken überschwemmt hatte. Heute fuhren wir abermals unauf¬
hörlich an Zügen mit Munition und schwerem Geschütze vorüber, und uns
entgegen kamen wiederum zahlreiche Transporte Kriegsgefangener sowie auch
einzelne Züge mit Verwundeten. In Meaux erregte die ansehnliche Kirche
unsere Aufmerksamkeit.

Lagny ist ein nicht unbedeutendes Städtchen. Da die Franzosen den in
seiner Nähe gelegenen bedeutenden Tunnel gesprengt, d. h. verschüttet hatten,
so hörte hier der Eisenbahnverkehr auf. Wir befanden uns hier ungefähr
auf der Breite von Paris und nicht sehr entfernt von der Hauptstadt. Es
galt aber in einem weiten Bogen, südlich, außer Schußbereich der Forts um
die Stadt herum nach dem jenseits (südwestlich) gelegenen Versailles zu ge¬
langen, und dazu mußten wir zu Wagen auf größtenteils gepflasterten Land¬
straßen durch eine Reihe von durch unsere Belagerungstruppen besetzten Dör¬
fern noch eine Fahrt von 6^ bis 7 Stunden zurücklegen, und südlich von
Paris bei Villeneuve Se. Georges die Seine überschreiten, oberhalb ihrer Ver¬
einigung mit der Marne, wobei einmal, auf halber Entfernung ungefähr, in
Villeneuve le Roi die Pferde gewechselt wurden. In einem Nebengebäude


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/351>, abgerufen am 26.06.2024.