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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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folgen konnte, lagen oft auf große Strecken verlassen und öde da, nur hie
und da sah man einen mit Leinen überspannten Frachtwagen mit einem oder
zwei Pferden, dessen Fuhrmann in blauem Kittel nebenher ging, oder einen
einsamen Einspänner, welcher vom Gute dem nächsten Städtchen zurollte.
Auch die Feldarbeiten schienen zu stocken. Ich erinnere mich, im Bereiche
Lothringens nur einmal einen Landmann mit Pflügen beschäftigt gesehen zu
haben. Von Nanzig brachte uns der Zug bald nach Toul, dann nach Com-
mercy und Bar le Duc, dessen Name noch an die einst deutsche Besitzung er¬
innert. Bei Toul fand ich abermals ein Beispiel, wie sehr sich meist die Ge¬
bilde unserer Phantasie von der Wirklichkeit entfernen. Obschon ich noch
1867 über Metz und Nanzig nach Paris gefahren war, erinnerte ich mich
dieser Stadt im Besonderen nicht, von der übrigens auch der Bahnhof wohl
eine halbe Stunde entfernt liegt. Aus den Zeitungsberichten während der
Beschießung von Toul, die von Geschützstellungen auf einem die Stadt be¬
herrschenden Berge sprachen, hatte ich mir das Bild einer im tiefen Thale
liegenden Stadt entworfen, deren Thürme ringsum von hohen Bergen über¬
ragt würden. Statt dessen befanden wir uns in einer weithin sich erstrecken¬
den Ebene, links von uns in etwas mehliger Atmosphäre und ziemlich ent¬
fernt die Stadt Toul mit den vier hohen Thürmen ihrer prachtvollen gothischen
Kathedrale und nur zu unserer Rechten, etwa zehn Minuten entfernt, lagen
einige Anhöhen, die man aber wohl richtiger als Hügel anstatt als Berge be¬
zeichnen konnte. Dort also hatte bei der Beschießung das deutsche Geschütz
gestanden und die Kugeln und Granaten waren über die Eisenbahn geflogen.
Toul gehörte bekanntlich auch einst zum deutschen Reiche und wurde uns von
Frankreich im Westphälischen Frieden genommen.

Jenseit Bar le Duc tritt die Bahn in das eigentliche alte Frankreich, in
die Ebenen der Champagne ein, man kommt nach Vitry le Fran^ais, Cha-
lons und endlich nach der Hauptstadt des Champagner-Weins, nach Epernay,
wo wir erst in der Dunkelheit anlangten. Trotz des Krieges 'arbeiteten die
dortigen Fabriken/ namentlich eine beträchtliche Hutfabrik, sowie die großarti¬
gen Etablissements der Champagnerweinhäuser ruhig weiter. Hier erhielten
wir zum ersten Male Quartierbillets, und zwar lauteten verschiedene von
ihnen auf die reichen Weinhändler, welche sämmtlich in palastartigen Gebäu¬
den wohnen, für ciuktrk Umi^ers", wahrscheinlich die Bezeichnungsart für alle
einquartirten höheren Civilpersonen. Wir kamen unsrer fünf, Dr. sah-,
Baron z. R., Graf P., Baron v. R. und ich in das Haus eines Theilhabers
des bekannten Hauses M. Ch. -d Co., des Baron Eh., der den Kriegssturm
zu Hause aushielt, während sein Associe' mit Familie nach einer der Nor¬
mannischen Inseln geflüchtet war, wo jetzt eine Menge französischer Familien
wohnen. Bei Tische fanden wir noch drei deutsche Offiziere, welche dort seit


folgen konnte, lagen oft auf große Strecken verlassen und öde da, nur hie
und da sah man einen mit Leinen überspannten Frachtwagen mit einem oder
zwei Pferden, dessen Fuhrmann in blauem Kittel nebenher ging, oder einen
einsamen Einspänner, welcher vom Gute dem nächsten Städtchen zurollte.
Auch die Feldarbeiten schienen zu stocken. Ich erinnere mich, im Bereiche
Lothringens nur einmal einen Landmann mit Pflügen beschäftigt gesehen zu
haben. Von Nanzig brachte uns der Zug bald nach Toul, dann nach Com-
mercy und Bar le Duc, dessen Name noch an die einst deutsche Besitzung er¬
innert. Bei Toul fand ich abermals ein Beispiel, wie sehr sich meist die Ge¬
bilde unserer Phantasie von der Wirklichkeit entfernen. Obschon ich noch
1867 über Metz und Nanzig nach Paris gefahren war, erinnerte ich mich
dieser Stadt im Besonderen nicht, von der übrigens auch der Bahnhof wohl
eine halbe Stunde entfernt liegt. Aus den Zeitungsberichten während der
Beschießung von Toul, die von Geschützstellungen auf einem die Stadt be¬
herrschenden Berge sprachen, hatte ich mir das Bild einer im tiefen Thale
liegenden Stadt entworfen, deren Thürme ringsum von hohen Bergen über¬
ragt würden. Statt dessen befanden wir uns in einer weithin sich erstrecken¬
den Ebene, links von uns in etwas mehliger Atmosphäre und ziemlich ent¬
fernt die Stadt Toul mit den vier hohen Thürmen ihrer prachtvollen gothischen
Kathedrale und nur zu unserer Rechten, etwa zehn Minuten entfernt, lagen
einige Anhöhen, die man aber wohl richtiger als Hügel anstatt als Berge be¬
zeichnen konnte. Dort also hatte bei der Beschießung das deutsche Geschütz
gestanden und die Kugeln und Granaten waren über die Eisenbahn geflogen.
Toul gehörte bekanntlich auch einst zum deutschen Reiche und wurde uns von
Frankreich im Westphälischen Frieden genommen.

Jenseit Bar le Duc tritt die Bahn in das eigentliche alte Frankreich, in
die Ebenen der Champagne ein, man kommt nach Vitry le Fran^ais, Cha-
lons und endlich nach der Hauptstadt des Champagner-Weins, nach Epernay,
wo wir erst in der Dunkelheit anlangten. Trotz des Krieges 'arbeiteten die
dortigen Fabriken/ namentlich eine beträchtliche Hutfabrik, sowie die großarti¬
gen Etablissements der Champagnerweinhäuser ruhig weiter. Hier erhielten
wir zum ersten Male Quartierbillets, und zwar lauteten verschiedene von
ihnen auf die reichen Weinhändler, welche sämmtlich in palastartigen Gebäu¬
den wohnen, für ciuktrk Umi^ers», wahrscheinlich die Bezeichnungsart für alle
einquartirten höheren Civilpersonen. Wir kamen unsrer fünf, Dr. sah-,
Baron z. R., Graf P., Baron v. R. und ich in das Haus eines Theilhabers
des bekannten Hauses M. Ch. -d Co., des Baron Eh., der den Kriegssturm
zu Hause aushielt, während sein Associe' mit Familie nach einer der Nor¬
mannischen Inseln geflüchtet war, wo jetzt eine Menge französischer Familien
wohnen. Bei Tische fanden wir noch drei deutsche Offiziere, welche dort seit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/350>, abgerufen am 28.09.2024.