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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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des größeren Wohlstandes. Daß deutsche Arbeit unter äußerlich gleichen
Verhältnissen die bessere sei, habe man in Paris gesehen, wo fast in jedem
Zweige des Gewerbfleißes und Handwerks Deutsche die blühendsten Etablisse¬
ments besessen Härten. Wenn der Amerikaner eine Gegend bevölkern wolle,
so baue er, wenn auch noch so leicht, zunächst eine Eisenbahn dahin; dann
entstehen die Städte von selbst; bei uns dagegen wolle man nur da Brücken
und Eisenbahnen bauen, wo schon blühende Städte eristiren, wo der Verkehr
bereits so stark sei, daß eine Vermehrung der Verkehrsmittel absolut noth¬
wendig erscheine. Dazu komme die Freiheit in der T Heilbarkeit des
Bodens, deren die Franzosen schon seit langen Jahren genossen haben, und
bei welcher ein jedes Land ohne alle Frage weit mehr produciren müsse, als
dasjenige, wo man diese Freiheit knebelt, weil man sich einbildet, nur die hohe
Obrigkeit sei im Stande, die Theilbarkeit des Bodens richtig zu beurtheilen,
die unmittelbar Betheiligten verständen das nicht. Kurz gesagt, die Fran¬
zosen seien den Deutschen bei Lösung der wichtigsten volkswirthschaftlichen
Fragen voraus. Daher sei leicht zu erklären, daß der Wohlstand in Frank¬
reich größer sei als in Deutschland.

Wir kamen nach Luneville und von da nach Nanzig, wo am Bahnhofe
das Frühstück für uns bereit stand, und wir nur im Vorbeifahren die große
Menge schöner Gebäude, das glänzende und blühende Ansehen der Stadt bemer¬
ken konnten. Kurz ehe der Zug sich wieder in Bewegung setzte, trafen hier die ersten
Eisenbahntransporte französischer Gefangenen aus den Schlachten von Orleans
ein. Es waren Leute jeden Alters in den bekannten französischen Uniformen,
bejahrte Männer darunter und wiederum wahre Milchgesichter, Bursche von
15 Jahren mit Mädchenstimmen. Dieser Züge haben wir weiterhin noch
eine ganze Anzahl gesehen, neben Sanitätszügen, meistens mit Leichtverwun¬
deten, nur einen oder zwei, auf denen die Leidenden in Betten lagen. Eine
oder die andere der reinlich und nett aussehenden Barmherzigen Schwestern
trat dabei aus ihrer Thüre und betrachtete uns neugierig im Vorüberfahren.
Viele Munitionscolonnen erreichten wir ebenfalls unterwegs, so wie wir an
Zügen mit zahlreichem schweren Geschütze beladen vorüberfuhren. ^ Aus dem
Thale der Meurthe kamen wir in das der Mosel und bald darauf in die
Niederungen der Maas. Ueberall war hohes Wasser und die Ufer waren
zum Theil überschwemmt. Obschon wir uns auf der Hauptstraße unserer
Armeen befanden, hatten wir mit Ausnahme von Straßburg bis nach Eper-
nay keinerlei Gelegenheit, etwas von den zerstörenden Wirkungen des Krieges
zu bemerken. Friedlich lagen die zahlreichen hübschen Landhäuser da, ruhig
sahen wir den Rauch der Schornsteine sich über den Schieferdächern der- Dörfer
erheben. Nur der Verkehr mochte stocken. Die Landstraßen, in der Regel
Pappel- oder Platanenalleen bildend, die das Auge weithin in die Ferne ver-


Grenjl'oder I. 1871. 44

des größeren Wohlstandes. Daß deutsche Arbeit unter äußerlich gleichen
Verhältnissen die bessere sei, habe man in Paris gesehen, wo fast in jedem
Zweige des Gewerbfleißes und Handwerks Deutsche die blühendsten Etablisse¬
ments besessen Härten. Wenn der Amerikaner eine Gegend bevölkern wolle,
so baue er, wenn auch noch so leicht, zunächst eine Eisenbahn dahin; dann
entstehen die Städte von selbst; bei uns dagegen wolle man nur da Brücken
und Eisenbahnen bauen, wo schon blühende Städte eristiren, wo der Verkehr
bereits so stark sei, daß eine Vermehrung der Verkehrsmittel absolut noth¬
wendig erscheine. Dazu komme die Freiheit in der T Heilbarkeit des
Bodens, deren die Franzosen schon seit langen Jahren genossen haben, und
bei welcher ein jedes Land ohne alle Frage weit mehr produciren müsse, als
dasjenige, wo man diese Freiheit knebelt, weil man sich einbildet, nur die hohe
Obrigkeit sei im Stande, die Theilbarkeit des Bodens richtig zu beurtheilen,
die unmittelbar Betheiligten verständen das nicht. Kurz gesagt, die Fran¬
zosen seien den Deutschen bei Lösung der wichtigsten volkswirthschaftlichen
Fragen voraus. Daher sei leicht zu erklären, daß der Wohlstand in Frank¬
reich größer sei als in Deutschland.

Wir kamen nach Luneville und von da nach Nanzig, wo am Bahnhofe
das Frühstück für uns bereit stand, und wir nur im Vorbeifahren die große
Menge schöner Gebäude, das glänzende und blühende Ansehen der Stadt bemer¬
ken konnten. Kurz ehe der Zug sich wieder in Bewegung setzte, trafen hier die ersten
Eisenbahntransporte französischer Gefangenen aus den Schlachten von Orleans
ein. Es waren Leute jeden Alters in den bekannten französischen Uniformen,
bejahrte Männer darunter und wiederum wahre Milchgesichter, Bursche von
15 Jahren mit Mädchenstimmen. Dieser Züge haben wir weiterhin noch
eine ganze Anzahl gesehen, neben Sanitätszügen, meistens mit Leichtverwun¬
deten, nur einen oder zwei, auf denen die Leidenden in Betten lagen. Eine
oder die andere der reinlich und nett aussehenden Barmherzigen Schwestern
trat dabei aus ihrer Thüre und betrachtete uns neugierig im Vorüberfahren.
Viele Munitionscolonnen erreichten wir ebenfalls unterwegs, so wie wir an
Zügen mit zahlreichem schweren Geschütze beladen vorüberfuhren. ^ Aus dem
Thale der Meurthe kamen wir in das der Mosel und bald darauf in die
Niederungen der Maas. Ueberall war hohes Wasser und die Ufer waren
zum Theil überschwemmt. Obschon wir uns auf der Hauptstraße unserer
Armeen befanden, hatten wir mit Ausnahme von Straßburg bis nach Eper-
nay keinerlei Gelegenheit, etwas von den zerstörenden Wirkungen des Krieges
zu bemerken. Friedlich lagen die zahlreichen hübschen Landhäuser da, ruhig
sahen wir den Rauch der Schornsteine sich über den Schieferdächern der- Dörfer
erheben. Nur der Verkehr mochte stocken. Die Landstraßen, in der Regel
Pappel- oder Platanenalleen bildend, die das Auge weithin in die Ferne ver-


Grenjl'oder I. 1871. 44
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[0349] des größeren Wohlstandes. Daß deutsche Arbeit unter äußerlich gleichen Verhältnissen die bessere sei, habe man in Paris gesehen, wo fast in jedem Zweige des Gewerbfleißes und Handwerks Deutsche die blühendsten Etablisse¬ ments besessen Härten. Wenn der Amerikaner eine Gegend bevölkern wolle, so baue er, wenn auch noch so leicht, zunächst eine Eisenbahn dahin; dann entstehen die Städte von selbst; bei uns dagegen wolle man nur da Brücken und Eisenbahnen bauen, wo schon blühende Städte eristiren, wo der Verkehr bereits so stark sei, daß eine Vermehrung der Verkehrsmittel absolut noth¬ wendig erscheine. Dazu komme die Freiheit in der T Heilbarkeit des Bodens, deren die Franzosen schon seit langen Jahren genossen haben, und bei welcher ein jedes Land ohne alle Frage weit mehr produciren müsse, als dasjenige, wo man diese Freiheit knebelt, weil man sich einbildet, nur die hohe Obrigkeit sei im Stande, die Theilbarkeit des Bodens richtig zu beurtheilen, die unmittelbar Betheiligten verständen das nicht. Kurz gesagt, die Fran¬ zosen seien den Deutschen bei Lösung der wichtigsten volkswirthschaftlichen Fragen voraus. Daher sei leicht zu erklären, daß der Wohlstand in Frank¬ reich größer sei als in Deutschland. Wir kamen nach Luneville und von da nach Nanzig, wo am Bahnhofe das Frühstück für uns bereit stand, und wir nur im Vorbeifahren die große Menge schöner Gebäude, das glänzende und blühende Ansehen der Stadt bemer¬ ken konnten. Kurz ehe der Zug sich wieder in Bewegung setzte, trafen hier die ersten Eisenbahntransporte französischer Gefangenen aus den Schlachten von Orleans ein. Es waren Leute jeden Alters in den bekannten französischen Uniformen, bejahrte Männer darunter und wiederum wahre Milchgesichter, Bursche von 15 Jahren mit Mädchenstimmen. Dieser Züge haben wir weiterhin noch eine ganze Anzahl gesehen, neben Sanitätszügen, meistens mit Leichtverwun¬ deten, nur einen oder zwei, auf denen die Leidenden in Betten lagen. Eine oder die andere der reinlich und nett aussehenden Barmherzigen Schwestern trat dabei aus ihrer Thüre und betrachtete uns neugierig im Vorüberfahren. Viele Munitionscolonnen erreichten wir ebenfalls unterwegs, so wie wir an Zügen mit zahlreichem schweren Geschütze beladen vorüberfuhren. ^ Aus dem Thale der Meurthe kamen wir in das der Mosel und bald darauf in die Niederungen der Maas. Ueberall war hohes Wasser und die Ufer waren zum Theil überschwemmt. Obschon wir uns auf der Hauptstraße unserer Armeen befanden, hatten wir mit Ausnahme von Straßburg bis nach Eper- nay keinerlei Gelegenheit, etwas von den zerstörenden Wirkungen des Krieges zu bemerken. Friedlich lagen die zahlreichen hübschen Landhäuser da, ruhig sahen wir den Rauch der Schornsteine sich über den Schieferdächern der- Dörfer erheben. Nur der Verkehr mochte stocken. Die Landstraßen, in der Regel Pappel- oder Platanenalleen bildend, die das Auge weithin in die Ferne ver- Grenjl'oder I. 1871. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/349>, abgerufen am 28.09.2024.