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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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reif fließt der Canal in senkrechter Höhe über der Bahn, man fährt dann
in die Nacht des Gebirges hinein und bleibt bei raschem Fahren vier volle
Minuten darin, der Tunnel ist fast 2700 Metres lang. Bei der Ausfahrt
sieht man den Canal neben sich in gleicher Höhe mit der Bahn fortlaufen,
welche also mittlerweile um so viel gestiegen ist.

Bei Saarburg, einem ziemlich unbedeutenden Städtchen, welches noch
Mauern und Thore hat, verläßt die Bahn das Gebirge, um in das weite
Hügelland Lothringens zu ziehen. Wir hatten fortwährend warmes, ange¬
nehmes Wetter und befanden uns in bester Stimmung. Die Landwirthe
unter unseren Gefährten machten uns auf das fruchtbare Land und seine
dabei offenbar nachlässige Bebauung aufmerksam, und es wurde hin- und
hergesprochen, wie man sich den größeren Reichthum Frankreichs im Vergleiche
zu Deutschland erklären solle. Die bloße Fruchtbarkeit des Bodens könne
kein genügender Grund sein, da die Franzosen, wenn auch aufgeweckt, erfin¬
dungsreich, kunstsinnig, im Ganzen weniger fleißige, aufmerksame Arbeiter
seien als die Deutschen. Meinerseits machte ich die Bemerkung dazu, daß
man in Deutschland seit dem Jahre 1866 oft ausgerechnet habe, wie viel
jährlich dieser oder jener Hof-Conditor. Hof-Schneider, Hof-Sattler durch das
Aufhören der Höfe in Hannover, Cassel und Wiesbaden an Verdienst ver¬
loren habe, daß aber nur Wenigen einfalle, in Betracht zu ziehen, wie
einestheils durch die vielen kleinen Höfe, durch das Angewiesensein auf die
Hofgunst und den Verbrauch des Hofes in den meisten deutschen Hauptstädten
eine völlige Stagnation, ein absoluter Stillstand bei den arbeitenden Volks¬
klassen sich herausgebildet habe, während anderntheils bei der Zerrissenheit
Deutschlands einer der größten und wichtigsten Hebel für das materielle
Wohl der Bevölkerung, die g-rößtmögliche Erleichterung des Verkehrs, theils
nicht genügend in ihrer Bedeutung gewürdigt, theils in der Ausführung bei
so vieler Herren Ländern zu schwierig gewesen sei. Ich sei vor zwanzig Jahren
bereits in Nordamerika über den Susquehanna, und den Delaware, keines¬
wegs sehr große Flüsse, auf Dampffähren gefahren, während man noch heu¬
tigen Tages in der Handelsstadt Bremen sich wie vor 300 Jahren in einem
alterthümlichen Ruderboote übersetzen lasse; die Elbe habe von Magdeburg
bis zum Meere nur eine Brücke, die Weser von Minden bis zum Meere
nur vier, und zwar darunter in der ganzen Ausdehnung der Stadt Bremen
nur eine Brücke für den Wagenverkehr, der ganze nördliche Theil von Han¬
nover besitze keine Eisenbahn zur Verbindung von Elbe und Weser. Von Ca-
nälen sei kaum die Rede bei uns. Wir hätten noch so eben die französischen
Weg- und Canalbauten bewundert und die Bemerkung gemacht, wie die Fran¬
zosen besser als wir verstanden hätten, darin den Nordamericanern und
Engländern nachzueifern. Darin liege großentheils das Geheimniß


reif fließt der Canal in senkrechter Höhe über der Bahn, man fährt dann
in die Nacht des Gebirges hinein und bleibt bei raschem Fahren vier volle
Minuten darin, der Tunnel ist fast 2700 Metres lang. Bei der Ausfahrt
sieht man den Canal neben sich in gleicher Höhe mit der Bahn fortlaufen,
welche also mittlerweile um so viel gestiegen ist.

Bei Saarburg, einem ziemlich unbedeutenden Städtchen, welches noch
Mauern und Thore hat, verläßt die Bahn das Gebirge, um in das weite
Hügelland Lothringens zu ziehen. Wir hatten fortwährend warmes, ange¬
nehmes Wetter und befanden uns in bester Stimmung. Die Landwirthe
unter unseren Gefährten machten uns auf das fruchtbare Land und seine
dabei offenbar nachlässige Bebauung aufmerksam, und es wurde hin- und
hergesprochen, wie man sich den größeren Reichthum Frankreichs im Vergleiche
zu Deutschland erklären solle. Die bloße Fruchtbarkeit des Bodens könne
kein genügender Grund sein, da die Franzosen, wenn auch aufgeweckt, erfin¬
dungsreich, kunstsinnig, im Ganzen weniger fleißige, aufmerksame Arbeiter
seien als die Deutschen. Meinerseits machte ich die Bemerkung dazu, daß
man in Deutschland seit dem Jahre 1866 oft ausgerechnet habe, wie viel
jährlich dieser oder jener Hof-Conditor. Hof-Schneider, Hof-Sattler durch das
Aufhören der Höfe in Hannover, Cassel und Wiesbaden an Verdienst ver¬
loren habe, daß aber nur Wenigen einfalle, in Betracht zu ziehen, wie
einestheils durch die vielen kleinen Höfe, durch das Angewiesensein auf die
Hofgunst und den Verbrauch des Hofes in den meisten deutschen Hauptstädten
eine völlige Stagnation, ein absoluter Stillstand bei den arbeitenden Volks¬
klassen sich herausgebildet habe, während anderntheils bei der Zerrissenheit
Deutschlands einer der größten und wichtigsten Hebel für das materielle
Wohl der Bevölkerung, die g-rößtmögliche Erleichterung des Verkehrs, theils
nicht genügend in ihrer Bedeutung gewürdigt, theils in der Ausführung bei
so vieler Herren Ländern zu schwierig gewesen sei. Ich sei vor zwanzig Jahren
bereits in Nordamerika über den Susquehanna, und den Delaware, keines¬
wegs sehr große Flüsse, auf Dampffähren gefahren, während man noch heu¬
tigen Tages in der Handelsstadt Bremen sich wie vor 300 Jahren in einem
alterthümlichen Ruderboote übersetzen lasse; die Elbe habe von Magdeburg
bis zum Meere nur eine Brücke, die Weser von Minden bis zum Meere
nur vier, und zwar darunter in der ganzen Ausdehnung der Stadt Bremen
nur eine Brücke für den Wagenverkehr, der ganze nördliche Theil von Han¬
nover besitze keine Eisenbahn zur Verbindung von Elbe und Weser. Von Ca-
nälen sei kaum die Rede bei uns. Wir hätten noch so eben die französischen
Weg- und Canalbauten bewundert und die Bemerkung gemacht, wie die Fran¬
zosen besser als wir verstanden hätten, darin den Nordamericanern und
Engländern nachzueifern. Darin liege großentheils das Geheimniß


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[0348] reif fließt der Canal in senkrechter Höhe über der Bahn, man fährt dann in die Nacht des Gebirges hinein und bleibt bei raschem Fahren vier volle Minuten darin, der Tunnel ist fast 2700 Metres lang. Bei der Ausfahrt sieht man den Canal neben sich in gleicher Höhe mit der Bahn fortlaufen, welche also mittlerweile um so viel gestiegen ist. Bei Saarburg, einem ziemlich unbedeutenden Städtchen, welches noch Mauern und Thore hat, verläßt die Bahn das Gebirge, um in das weite Hügelland Lothringens zu ziehen. Wir hatten fortwährend warmes, ange¬ nehmes Wetter und befanden uns in bester Stimmung. Die Landwirthe unter unseren Gefährten machten uns auf das fruchtbare Land und seine dabei offenbar nachlässige Bebauung aufmerksam, und es wurde hin- und hergesprochen, wie man sich den größeren Reichthum Frankreichs im Vergleiche zu Deutschland erklären solle. Die bloße Fruchtbarkeit des Bodens könne kein genügender Grund sein, da die Franzosen, wenn auch aufgeweckt, erfin¬ dungsreich, kunstsinnig, im Ganzen weniger fleißige, aufmerksame Arbeiter seien als die Deutschen. Meinerseits machte ich die Bemerkung dazu, daß man in Deutschland seit dem Jahre 1866 oft ausgerechnet habe, wie viel jährlich dieser oder jener Hof-Conditor. Hof-Schneider, Hof-Sattler durch das Aufhören der Höfe in Hannover, Cassel und Wiesbaden an Verdienst ver¬ loren habe, daß aber nur Wenigen einfalle, in Betracht zu ziehen, wie einestheils durch die vielen kleinen Höfe, durch das Angewiesensein auf die Hofgunst und den Verbrauch des Hofes in den meisten deutschen Hauptstädten eine völlige Stagnation, ein absoluter Stillstand bei den arbeitenden Volks¬ klassen sich herausgebildet habe, während anderntheils bei der Zerrissenheit Deutschlands einer der größten und wichtigsten Hebel für das materielle Wohl der Bevölkerung, die g-rößtmögliche Erleichterung des Verkehrs, theils nicht genügend in ihrer Bedeutung gewürdigt, theils in der Ausführung bei so vieler Herren Ländern zu schwierig gewesen sei. Ich sei vor zwanzig Jahren bereits in Nordamerika über den Susquehanna, und den Delaware, keines¬ wegs sehr große Flüsse, auf Dampffähren gefahren, während man noch heu¬ tigen Tages in der Handelsstadt Bremen sich wie vor 300 Jahren in einem alterthümlichen Ruderboote übersetzen lasse; die Elbe habe von Magdeburg bis zum Meere nur eine Brücke, die Weser von Minden bis zum Meere nur vier, und zwar darunter in der ganzen Ausdehnung der Stadt Bremen nur eine Brücke für den Wagenverkehr, der ganze nördliche Theil von Han¬ nover besitze keine Eisenbahn zur Verbindung von Elbe und Weser. Von Ca- nälen sei kaum die Rede bei uns. Wir hätten noch so eben die französischen Weg- und Canalbauten bewundert und die Bemerkung gemacht, wie die Fran¬ zosen besser als wir verstanden hätten, darin den Nordamericanern und Engländern nachzueifern. Darin liege großentheils das Geheimniß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/348>, abgerufen am 28.09.2024.