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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Fieber bringt. Aber tröstlich ist es für die bedrängten Achaier, als Athene
von seinem Haupt wie einen Feuerschein anzündet, der aus einer belager¬
ten Stadt Abends aufsteigt, den Umwohnenden zum Zeichen, daß sie zum
Entsatz kommen sollen. So, mit der Aegis um die Schultern, tritt er
zum Graben und jagt durch seine Stimme die Troer davon. Von seinem
Schilde dringt ein Glanz in die Luft, .wie wenn die Schiffer auf dem Meere
aus einsamem Gehöft in den Bergen eine Flamme erglänzen sehen.

Näher der Menschennatur treten die Vergleiche mit Thieren, aus den
Anschauungen des Jäger-, Hirten- und Landlebens geschöpft, die nicht mehr
allein die elementare, gleichsam blinde Naturkraft'ins Auge fassen, sondern
zugleich die Gemüthsstimmung und dauernde Charakterzüge veranschaulichen.
Eben hier knüpft ja auch die Fabel an.

Am nächsten lagen Gleichnisse von Raubtieren, deren Sinnesart
und Benehmen etwas großartiges hat. Vor allen hat der Löwe, der im
Jdagebirge noch heimisch war, reichen Stoff geboten: nur die Haupthelden,
Achill, Hektor, Patroklos, die Ajas, Menelaos, Diomedes werden ihm ver¬
glichen, in mannigfachen Situationen. Da ist der hungrige Löwe, der unver-
muthet auf eine gute Beute stößt: so freut sich Menelaos, als er Paris
allein vor der Schlachtreihe einherstolziren sieht. Eine Rinderheerde weidet
in der Niederung unter einem unerfahrenen Hirten. Plötzlich stürzt ein Löwe
mitten hinein, zerreißt eins, die übrigen stieben auseinander: so Hektor unter
die Achäer. Den Diomedes 'hat ein Pfeil in die Schutter getroffen, aber
Athene auf sein Gebet tritt zu ihm, macht ihm die Glieder wieder behende
und spricht ihm zu. Da ergreift ihn dreifacher Muth wie den Löwen, der
über das Gehöft gesprungen, vom Hirten verwundet, aber nicht bewältigt ist.
Nun würgt er die Schafe im Stall, daß sie in Reihen übereinander liegen,
und dann springt er ungestüm aus der Hürde davon. Menelaos hat den
Euphorbos getödtet und zieht ihm behaglich die Rüstung aus. Wie wenn
ein Löwe den besten Stier aus der Heerde geraubt hat, sein Blut und Ein¬
geweide schleckt, Hunde und Hirten schreien aus der Ferne, wagen aber nicht
nahe zu kommen: so wagt keiner von den Troern dem Menelaos entgegen
zu treten. Ajas von Zeus geschreckt, nach langem Kampf gegen die Ueber¬
macht, weicht zögernd wider Willen zurück, wie der Löwe aus dem Gehöft.
Die ganze Nacht hindurch hat er den Braten liebend sich gegen Hunde und
Männer, die ihm das Fett der Stiere mißgönnen, zur Wehr gesetzt. Endlich
am Morgen zieht er langsam, Schritt um Schritt bekümmerten Gemüthes
ab. Hektors Wiedererscheinen in der Schlacht setzt die Griechen, die sorglos
den Feind verfolgen, in einen Schreck, wie wenn Hunde und Hirten einen
Hirsch Hetzen, der ins Dickicht entkommt, und plötzlich vom Lärm aufgescheucht
tritt ein Löwe ihnen entgegen. Nun aber Achilleus im Angriff. Er ist der


Fieber bringt. Aber tröstlich ist es für die bedrängten Achaier, als Athene
von seinem Haupt wie einen Feuerschein anzündet, der aus einer belager¬
ten Stadt Abends aufsteigt, den Umwohnenden zum Zeichen, daß sie zum
Entsatz kommen sollen. So, mit der Aegis um die Schultern, tritt er
zum Graben und jagt durch seine Stimme die Troer davon. Von seinem
Schilde dringt ein Glanz in die Luft, .wie wenn die Schiffer auf dem Meere
aus einsamem Gehöft in den Bergen eine Flamme erglänzen sehen.

Näher der Menschennatur treten die Vergleiche mit Thieren, aus den
Anschauungen des Jäger-, Hirten- und Landlebens geschöpft, die nicht mehr
allein die elementare, gleichsam blinde Naturkraft'ins Auge fassen, sondern
zugleich die Gemüthsstimmung und dauernde Charakterzüge veranschaulichen.
Eben hier knüpft ja auch die Fabel an.

Am nächsten lagen Gleichnisse von Raubtieren, deren Sinnesart
und Benehmen etwas großartiges hat. Vor allen hat der Löwe, der im
Jdagebirge noch heimisch war, reichen Stoff geboten: nur die Haupthelden,
Achill, Hektor, Patroklos, die Ajas, Menelaos, Diomedes werden ihm ver¬
glichen, in mannigfachen Situationen. Da ist der hungrige Löwe, der unver-
muthet auf eine gute Beute stößt: so freut sich Menelaos, als er Paris
allein vor der Schlachtreihe einherstolziren sieht. Eine Rinderheerde weidet
in der Niederung unter einem unerfahrenen Hirten. Plötzlich stürzt ein Löwe
mitten hinein, zerreißt eins, die übrigen stieben auseinander: so Hektor unter
die Achäer. Den Diomedes 'hat ein Pfeil in die Schutter getroffen, aber
Athene auf sein Gebet tritt zu ihm, macht ihm die Glieder wieder behende
und spricht ihm zu. Da ergreift ihn dreifacher Muth wie den Löwen, der
über das Gehöft gesprungen, vom Hirten verwundet, aber nicht bewältigt ist.
Nun würgt er die Schafe im Stall, daß sie in Reihen übereinander liegen,
und dann springt er ungestüm aus der Hürde davon. Menelaos hat den
Euphorbos getödtet und zieht ihm behaglich die Rüstung aus. Wie wenn
ein Löwe den besten Stier aus der Heerde geraubt hat, sein Blut und Ein¬
geweide schleckt, Hunde und Hirten schreien aus der Ferne, wagen aber nicht
nahe zu kommen: so wagt keiner von den Troern dem Menelaos entgegen
zu treten. Ajas von Zeus geschreckt, nach langem Kampf gegen die Ueber¬
macht, weicht zögernd wider Willen zurück, wie der Löwe aus dem Gehöft.
Die ganze Nacht hindurch hat er den Braten liebend sich gegen Hunde und
Männer, die ihm das Fett der Stiere mißgönnen, zur Wehr gesetzt. Endlich
am Morgen zieht er langsam, Schritt um Schritt bekümmerten Gemüthes
ab. Hektors Wiedererscheinen in der Schlacht setzt die Griechen, die sorglos
den Feind verfolgen, in einen Schreck, wie wenn Hunde und Hirten einen
Hirsch Hetzen, der ins Dickicht entkommt, und plötzlich vom Lärm aufgescheucht
tritt ein Löwe ihnen entgegen. Nun aber Achilleus im Angriff. Er ist der


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[0344] Fieber bringt. Aber tröstlich ist es für die bedrängten Achaier, als Athene von seinem Haupt wie einen Feuerschein anzündet, der aus einer belager¬ ten Stadt Abends aufsteigt, den Umwohnenden zum Zeichen, daß sie zum Entsatz kommen sollen. So, mit der Aegis um die Schultern, tritt er zum Graben und jagt durch seine Stimme die Troer davon. Von seinem Schilde dringt ein Glanz in die Luft, .wie wenn die Schiffer auf dem Meere aus einsamem Gehöft in den Bergen eine Flamme erglänzen sehen. Näher der Menschennatur treten die Vergleiche mit Thieren, aus den Anschauungen des Jäger-, Hirten- und Landlebens geschöpft, die nicht mehr allein die elementare, gleichsam blinde Naturkraft'ins Auge fassen, sondern zugleich die Gemüthsstimmung und dauernde Charakterzüge veranschaulichen. Eben hier knüpft ja auch die Fabel an. Am nächsten lagen Gleichnisse von Raubtieren, deren Sinnesart und Benehmen etwas großartiges hat. Vor allen hat der Löwe, der im Jdagebirge noch heimisch war, reichen Stoff geboten: nur die Haupthelden, Achill, Hektor, Patroklos, die Ajas, Menelaos, Diomedes werden ihm ver¬ glichen, in mannigfachen Situationen. Da ist der hungrige Löwe, der unver- muthet auf eine gute Beute stößt: so freut sich Menelaos, als er Paris allein vor der Schlachtreihe einherstolziren sieht. Eine Rinderheerde weidet in der Niederung unter einem unerfahrenen Hirten. Plötzlich stürzt ein Löwe mitten hinein, zerreißt eins, die übrigen stieben auseinander: so Hektor unter die Achäer. Den Diomedes 'hat ein Pfeil in die Schutter getroffen, aber Athene auf sein Gebet tritt zu ihm, macht ihm die Glieder wieder behende und spricht ihm zu. Da ergreift ihn dreifacher Muth wie den Löwen, der über das Gehöft gesprungen, vom Hirten verwundet, aber nicht bewältigt ist. Nun würgt er die Schafe im Stall, daß sie in Reihen übereinander liegen, und dann springt er ungestüm aus der Hürde davon. Menelaos hat den Euphorbos getödtet und zieht ihm behaglich die Rüstung aus. Wie wenn ein Löwe den besten Stier aus der Heerde geraubt hat, sein Blut und Ein¬ geweide schleckt, Hunde und Hirten schreien aus der Ferne, wagen aber nicht nahe zu kommen: so wagt keiner von den Troern dem Menelaos entgegen zu treten. Ajas von Zeus geschreckt, nach langem Kampf gegen die Ueber¬ macht, weicht zögernd wider Willen zurück, wie der Löwe aus dem Gehöft. Die ganze Nacht hindurch hat er den Braten liebend sich gegen Hunde und Männer, die ihm das Fett der Stiere mißgönnen, zur Wehr gesetzt. Endlich am Morgen zieht er langsam, Schritt um Schritt bekümmerten Gemüthes ab. Hektors Wiedererscheinen in der Schlacht setzt die Griechen, die sorglos den Feind verfolgen, in einen Schreck, wie wenn Hunde und Hirten einen Hirsch Hetzen, der ins Dickicht entkommt, und plötzlich vom Lärm aufgescheucht tritt ein Löwe ihnen entgegen. Nun aber Achilleus im Angriff. Er ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/344>, abgerufen am 29.06.2024.