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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Löwe, dem eine große Schaar von Männern zu Leibe will. Erst kommt er
nicht achtend einher. Wenn ihn aber Einer mit einem Speer wirft, so reckt
er sich und gähnt, Schaum um die Zähne; das Herz brüllt ihm, mit dem
Schweif peitscht er die Seiten, mit funkelndem Blick greift er an. So trieb
den Achill sein Muth gegen Aeneas. Auch das Gemüthliche fehlt nicht.
Mit seinem Schilde schützt Ajas die Leiche des Patroklos wie ein Löwe sein
Junges, wenn ihm unversehens Jäger im Walde begegnen. Von Muth
strotzend zieht er die Augenbrauen nieder, den Blick verdeckend. Endlich dem
Kampfe zweier Löwen um den todten Hirsch gleicht der des Hektor und Pa¬
troklos um die Leiche des Kebriones. Als aber letztrer endlich erliegen soll,
ist es wie wenn ein Löwe einen Eber bezwingt: beide ringen im Gebirge um
einen Quell, aus dem sie beide trinken wollen.

Gegen die Fülle und Prägnanz dieser Anschauungen treten andre Bilder
des Jagdlebens wie schwächere Wiederholungen in Schatten. Helden zweiten
Ranges wie Idomeneus und Odysseus werden dem Eber verglichen, und dem
verwundeten die beiden Ajas. welche die schwere Aufgabe haben, die Träger
der Patroklosleiche vor dem gierigen Nachdringen der siegreichen Troer zu
schützen. Wie Hunde laufen sie voran, umstellen ihn, möchten ihn zer¬
reißen. Kehrt er sich aber um, so laufen sie davon. Noch seltner tritt das
Pardel auf.

Ebenbürtig dem Löwen ist nur noch der Adler: Achill und Hektor allein
gleichen ihm. Wie diesen aber der Petite um die Mauern Troja's jagt, ist
es, als wenn ein Habicht im Gebirge sich hinter der schüchternen Taube
herschwingt. Als Hektor dann Stand hält, den Verfolger vor der Mauer
erwartend, gleicht er der giftgeschwollenen Schlange, die grimmig, mit
drohendem Blick vor ihrer Höhle sich windet, dem Angriff des Mannes Trotz
bietend.

Wo der Gesang weniger erhaben ansteigt, werden auch zahmer und nie¬
derer Thiere Naturen mit einer gewissen Unschuld, ausnahmsweise mit einem
Anflug von Humor zur Charakteristik verwendet. Der kurze gedrungene
Odysseus, der die Reihen der Seinigen durchschreitet, gemahnt den Priamos
an den wolligen Widder inmitten der Schafheerde. Im Waffenputz, stol¬
zen, schnellen Schrittes kommt Paris von der Burg herab wie ein Parade-
Pferd, das mit wehender Mähne, seiner Schönheit bewußt, durch die Ebne
galoppirt. Dagegen dort die beiden Ajas, die im mühselig langsam vor¬
schreitender Kampfe als gute Kameraden unverdrossen dicht neben einander aus¬
halten wie zwei weinfarbige Stiere auf dem Blachfelde, die einmüthig den
Pflug ziehen, während ihnen reichlich der Schweiß um die Hörner quillt. Und
das wackre Trägerpaar Menelaos und Meriones, die mitten durch das Schlacht¬
gedränge die Leiche des Patroklos zu den Schiffen tragen. Es soll ihnen wahr-


Löwe, dem eine große Schaar von Männern zu Leibe will. Erst kommt er
nicht achtend einher. Wenn ihn aber Einer mit einem Speer wirft, so reckt
er sich und gähnt, Schaum um die Zähne; das Herz brüllt ihm, mit dem
Schweif peitscht er die Seiten, mit funkelndem Blick greift er an. So trieb
den Achill sein Muth gegen Aeneas. Auch das Gemüthliche fehlt nicht.
Mit seinem Schilde schützt Ajas die Leiche des Patroklos wie ein Löwe sein
Junges, wenn ihm unversehens Jäger im Walde begegnen. Von Muth
strotzend zieht er die Augenbrauen nieder, den Blick verdeckend. Endlich dem
Kampfe zweier Löwen um den todten Hirsch gleicht der des Hektor und Pa¬
troklos um die Leiche des Kebriones. Als aber letztrer endlich erliegen soll,
ist es wie wenn ein Löwe einen Eber bezwingt: beide ringen im Gebirge um
einen Quell, aus dem sie beide trinken wollen.

Gegen die Fülle und Prägnanz dieser Anschauungen treten andre Bilder
des Jagdlebens wie schwächere Wiederholungen in Schatten. Helden zweiten
Ranges wie Idomeneus und Odysseus werden dem Eber verglichen, und dem
verwundeten die beiden Ajas. welche die schwere Aufgabe haben, die Träger
der Patroklosleiche vor dem gierigen Nachdringen der siegreichen Troer zu
schützen. Wie Hunde laufen sie voran, umstellen ihn, möchten ihn zer¬
reißen. Kehrt er sich aber um, so laufen sie davon. Noch seltner tritt das
Pardel auf.

Ebenbürtig dem Löwen ist nur noch der Adler: Achill und Hektor allein
gleichen ihm. Wie diesen aber der Petite um die Mauern Troja's jagt, ist
es, als wenn ein Habicht im Gebirge sich hinter der schüchternen Taube
herschwingt. Als Hektor dann Stand hält, den Verfolger vor der Mauer
erwartend, gleicht er der giftgeschwollenen Schlange, die grimmig, mit
drohendem Blick vor ihrer Höhle sich windet, dem Angriff des Mannes Trotz
bietend.

Wo der Gesang weniger erhaben ansteigt, werden auch zahmer und nie¬
derer Thiere Naturen mit einer gewissen Unschuld, ausnahmsweise mit einem
Anflug von Humor zur Charakteristik verwendet. Der kurze gedrungene
Odysseus, der die Reihen der Seinigen durchschreitet, gemahnt den Priamos
an den wolligen Widder inmitten der Schafheerde. Im Waffenputz, stol¬
zen, schnellen Schrittes kommt Paris von der Burg herab wie ein Parade-
Pferd, das mit wehender Mähne, seiner Schönheit bewußt, durch die Ebne
galoppirt. Dagegen dort die beiden Ajas, die im mühselig langsam vor¬
schreitender Kampfe als gute Kameraden unverdrossen dicht neben einander aus¬
halten wie zwei weinfarbige Stiere auf dem Blachfelde, die einmüthig den
Pflug ziehen, während ihnen reichlich der Schweiß um die Hörner quillt. Und
das wackre Trägerpaar Menelaos und Meriones, die mitten durch das Schlacht¬
gedränge die Leiche des Patroklos zu den Schiffen tragen. Es soll ihnen wahr-


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[0345] Löwe, dem eine große Schaar von Männern zu Leibe will. Erst kommt er nicht achtend einher. Wenn ihn aber Einer mit einem Speer wirft, so reckt er sich und gähnt, Schaum um die Zähne; das Herz brüllt ihm, mit dem Schweif peitscht er die Seiten, mit funkelndem Blick greift er an. So trieb den Achill sein Muth gegen Aeneas. Auch das Gemüthliche fehlt nicht. Mit seinem Schilde schützt Ajas die Leiche des Patroklos wie ein Löwe sein Junges, wenn ihm unversehens Jäger im Walde begegnen. Von Muth strotzend zieht er die Augenbrauen nieder, den Blick verdeckend. Endlich dem Kampfe zweier Löwen um den todten Hirsch gleicht der des Hektor und Pa¬ troklos um die Leiche des Kebriones. Als aber letztrer endlich erliegen soll, ist es wie wenn ein Löwe einen Eber bezwingt: beide ringen im Gebirge um einen Quell, aus dem sie beide trinken wollen. Gegen die Fülle und Prägnanz dieser Anschauungen treten andre Bilder des Jagdlebens wie schwächere Wiederholungen in Schatten. Helden zweiten Ranges wie Idomeneus und Odysseus werden dem Eber verglichen, und dem verwundeten die beiden Ajas. welche die schwere Aufgabe haben, die Träger der Patroklosleiche vor dem gierigen Nachdringen der siegreichen Troer zu schützen. Wie Hunde laufen sie voran, umstellen ihn, möchten ihn zer¬ reißen. Kehrt er sich aber um, so laufen sie davon. Noch seltner tritt das Pardel auf. Ebenbürtig dem Löwen ist nur noch der Adler: Achill und Hektor allein gleichen ihm. Wie diesen aber der Petite um die Mauern Troja's jagt, ist es, als wenn ein Habicht im Gebirge sich hinter der schüchternen Taube herschwingt. Als Hektor dann Stand hält, den Verfolger vor der Mauer erwartend, gleicht er der giftgeschwollenen Schlange, die grimmig, mit drohendem Blick vor ihrer Höhle sich windet, dem Angriff des Mannes Trotz bietend. Wo der Gesang weniger erhaben ansteigt, werden auch zahmer und nie¬ derer Thiere Naturen mit einer gewissen Unschuld, ausnahmsweise mit einem Anflug von Humor zur Charakteristik verwendet. Der kurze gedrungene Odysseus, der die Reihen der Seinigen durchschreitet, gemahnt den Priamos an den wolligen Widder inmitten der Schafheerde. Im Waffenputz, stol¬ zen, schnellen Schrittes kommt Paris von der Burg herab wie ein Parade- Pferd, das mit wehender Mähne, seiner Schönheit bewußt, durch die Ebne galoppirt. Dagegen dort die beiden Ajas, die im mühselig langsam vor¬ schreitender Kampfe als gute Kameraden unverdrossen dicht neben einander aus¬ halten wie zwei weinfarbige Stiere auf dem Blachfelde, die einmüthig den Pflug ziehen, während ihnen reichlich der Schweiß um die Hörner quillt. Und das wackre Trägerpaar Menelaos und Meriones, die mitten durch das Schlacht¬ gedränge die Leiche des Patroklos zu den Schiffen tragen. Es soll ihnen wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/345>, abgerufen am 28.09.2024.