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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wandterDämonen, unter Andern die städtestürmende Enyo, die Mörderische,
und vor Allen seine Schwester und Gefährtin Eris, die selber dem Kampf
nur mit Behagen zusieht, aber ihn entzündet, Stimmung macht und uner¬
müdlich in den Gemüthern wühlt. Erst klein, wenn sie auftritt, wächst sie
unaufhaltsam, bis sie auf der Erde schreitend das Haupt an den Himmel stemmt.

Unter solchen Einflüssen und Gewalten bewegt sich der homerische Krieger.
Daß Wille und Kraft nicht nur von einer dunkeln Nothwendigkeit des Schick¬
sals , sondern von unberechenbaren Einfällen der Himmlischen regiert werden,
weiß er und gibt doch sein naives freudiges Selbstvertrauen selten auf. Den
Göttern fühlt er sich verwandt. Mele der Helden sind von Unsterblichen ge¬
zeugt oder geboren, oder können doch ihren Stammbaum als Enkel oder Ur¬
enkel in gerader Linie auf sie zurückführen. Ihre dämonische, wenn auch
endliche Natur fühlt sich der göttlichen noch nahe genug, um das Band eines
herzlichen Verkehrs und Vertrauens mit dem unsterblichen Anverwandten
trotz der Schranke festzuhalten. Noch ragen Gestalten und Erinnerungen
aus - jener ringenden Dämmerzeit in das fröhliche Morgenlicht der homeri¬
schen Sage hinein. Zwei Lapithensöhne halten am Lagerthor der Griechen
Wacht wie hochstämmige Eichen auf den Bergen, die mit starken Wurzeln
Wind und Wetter trotzen. Der greise Nestor, der drei Geschlechter gesehen,
weiß von Kämpfen zu erzählen, die er in seiner Jugend mit den gewaltigsten
jener Riesen bestanden hat, denen nach seiner Meinung schon von den Helden
vor Troja keiner gewachsen sein würde. Und doch wie gewaltig ist noch
dieses Geschlecht, wie unendlich überlegen den Zeitgenossen des Sängers, dessen
wehmüthige Formel "wie nunmehr die Sterblichen sind" an dieses stufenweise
Herabsinken der Kraft gemahnt. Hektor wirft noch einen Felsblock, den zur
Zeit des Sängers nicht zwei der stärksten Männer aus dem Volk mit Hebeln
so leicht auf den Wagen zu schaffen vermöchten, behend wie eine Flocke Schaaf-
wolle mit einer Hand gegen das Thor der Achäer, daß die Riegel zerspringen.

Auch äußerlich noch sind sie ja den Göttern ähnlich. Agamemnon, von
Zeus selbst in gerader Linie abstammend, ist zwar weder im Kampf noch im
Rath der beste. Biedre Dinge sagen ihm die Fürsten, nur seiner Hausmacht
verdankt er die Herrschergewalt. Aber sein Aussehen ist des Führers solcher
Helden würdig: an Augen und Haupt dem donnerfrohen Zeus gleich, an
Brust dem Poseidon, an Gürtel dem Ares, jeder Zoll ein König. Daß die
Helden im Kampf vorzugsweise dem Ares als dem Krieger mit Leib und
Seele verglichen werden, ist natürlich. Patroklos, Achill, Hekrvr rasen und
stürmen wie er. Lächelnd mit grimmigem Antlitz (man denke an die Aegi-
neten), die Lanze schwingend schreitet Ajas, der Thurm der Achäer, weit ans
wie der ungeheure Ares, wenn er in den Kampf unter Männer geht; wie
wenn er und sein lieber Sohn Phöbos von Thrakien zu den räuberischen


wandterDämonen, unter Andern die städtestürmende Enyo, die Mörderische,
und vor Allen seine Schwester und Gefährtin Eris, die selber dem Kampf
nur mit Behagen zusieht, aber ihn entzündet, Stimmung macht und uner¬
müdlich in den Gemüthern wühlt. Erst klein, wenn sie auftritt, wächst sie
unaufhaltsam, bis sie auf der Erde schreitend das Haupt an den Himmel stemmt.

Unter solchen Einflüssen und Gewalten bewegt sich der homerische Krieger.
Daß Wille und Kraft nicht nur von einer dunkeln Nothwendigkeit des Schick¬
sals , sondern von unberechenbaren Einfällen der Himmlischen regiert werden,
weiß er und gibt doch sein naives freudiges Selbstvertrauen selten auf. Den
Göttern fühlt er sich verwandt. Mele der Helden sind von Unsterblichen ge¬
zeugt oder geboren, oder können doch ihren Stammbaum als Enkel oder Ur¬
enkel in gerader Linie auf sie zurückführen. Ihre dämonische, wenn auch
endliche Natur fühlt sich der göttlichen noch nahe genug, um das Band eines
herzlichen Verkehrs und Vertrauens mit dem unsterblichen Anverwandten
trotz der Schranke festzuhalten. Noch ragen Gestalten und Erinnerungen
aus - jener ringenden Dämmerzeit in das fröhliche Morgenlicht der homeri¬
schen Sage hinein. Zwei Lapithensöhne halten am Lagerthor der Griechen
Wacht wie hochstämmige Eichen auf den Bergen, die mit starken Wurzeln
Wind und Wetter trotzen. Der greise Nestor, der drei Geschlechter gesehen,
weiß von Kämpfen zu erzählen, die er in seiner Jugend mit den gewaltigsten
jener Riesen bestanden hat, denen nach seiner Meinung schon von den Helden
vor Troja keiner gewachsen sein würde. Und doch wie gewaltig ist noch
dieses Geschlecht, wie unendlich überlegen den Zeitgenossen des Sängers, dessen
wehmüthige Formel „wie nunmehr die Sterblichen sind" an dieses stufenweise
Herabsinken der Kraft gemahnt. Hektor wirft noch einen Felsblock, den zur
Zeit des Sängers nicht zwei der stärksten Männer aus dem Volk mit Hebeln
so leicht auf den Wagen zu schaffen vermöchten, behend wie eine Flocke Schaaf-
wolle mit einer Hand gegen das Thor der Achäer, daß die Riegel zerspringen.

Auch äußerlich noch sind sie ja den Göttern ähnlich. Agamemnon, von
Zeus selbst in gerader Linie abstammend, ist zwar weder im Kampf noch im
Rath der beste. Biedre Dinge sagen ihm die Fürsten, nur seiner Hausmacht
verdankt er die Herrschergewalt. Aber sein Aussehen ist des Führers solcher
Helden würdig: an Augen und Haupt dem donnerfrohen Zeus gleich, an
Brust dem Poseidon, an Gürtel dem Ares, jeder Zoll ein König. Daß die
Helden im Kampf vorzugsweise dem Ares als dem Krieger mit Leib und
Seele verglichen werden, ist natürlich. Patroklos, Achill, Hekrvr rasen und
stürmen wie er. Lächelnd mit grimmigem Antlitz (man denke an die Aegi-
neten), die Lanze schwingend schreitet Ajas, der Thurm der Achäer, weit ans
wie der ungeheure Ares, wenn er in den Kampf unter Männer geht; wie
wenn er und sein lieber Sohn Phöbos von Thrakien zu den räuberischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/342>, abgerufen am 28.09.2024.