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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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im Gebet wendet; wie dieser umgekehrt nur der Uebermacht oder Tücke einer
feindlichen Gottheit unterliegt, wenn er sonst bedeutend ist. So als des Pa-
troklos Stunde gekommen, tritt Apollo hinter ihn, schlägt ihm Rücken und
Schulter, wirft ihm den Helm ab, macht ihn schwindlig, und windet die
Waffen aus seiner Hand. Arglistig überliefert Athene den Hektor seinem
Rächer.

Also eine verhängnisvolle Ohnmacht in plötzlicher Todesahnung, so¬
wie siegreiche Stärke, das Unheil einer falschen Nachricht, eines Irrthums,
schnell aufleuchtende Gedanken, leidenschaftliche Regungen der Seele, unver¬
dientes Mißlingen sowohl, als glänzender Erfolg und wunderbare Rettung,
besonders auch die wechselnden Launen des Wetters und der Elemente, die
so tief in den Lauf des Krieges eingreifen,.-- alle bedeutenderen Wendungen
desselben wie des Menschenlebens überhaupt sind Wirkungen einer freundlichen
oder feindseligen Gottheit.

Von allen der unliebenswürdigste, obwohl nicht der mächtigste, ist der
mit zahlreichen Beinamen seiner Ungeberdigkeit gezierte Ares. Kein Grieche
von Hause aus, sondern im Gebirge Thrakiens heimisch, ein Gott des Win¬
ters, von barbarischen Raubhorden gepflegt, mit den Nordstürmen südwärts
in griechische Landschaften getragen, hat er zu den Olympiern, obwohl
in ihre Gemeinschaft als Sohn der Here aufgenommen, doch kein innerliches,
wahlverwandtes Verhältniß. Ein unholder Gesell, der wenig von griechischer
Art angenommen hat. Nicht Herr des Krieges, sondern der Krieg selber in
seiner ganzen ungeschlachten Gestalt, ist er dem Zeus als dem Herrscher einer
geordneten Welt der verhaßteste unter allen Göttern des Olymps. Unge¬
heuer, Wütherich, Mann gegen Mann, blutbesudelt, menschenvertilgend
städtebelagernd, thränenreich, des Kampfes und Blutes unersättlich wird
er genannt. Ihn wecken heißt die Schlacht beginnen, ihm ist sie ein
Tanz. Er ist es, der die Wunden gefährlich macht. Flucht und
Schrecken sind seine Kinder, sie spannen ihm den Wagen an, wenn
er auszieht, und begleiten ihn. Der Athene ist er freilich in keiner
Weise gewachsen. Sie lenkt des Diomedes Lanze, daß sie ihm in den Bauch
fährt. Da brüllt der eherne Flegel wie 9000 oder 10000 streitende Männer,
daß Achäer und Troer erzittern. Und ein andresmal streckt ihn ein Stein¬
wurf aus Athene's Hand zu Boden, daß er 7 Klaftern mit seinem Leibe
deckt. Ja als er ausziehen will, um den Tod seines Sohnes Askalaphos zu
rächen, nimmt sie ihm ohne Weiteres Helm und Schild wieder ab, stellt die
Lanze aus seiner Hand und schilt ihn wie einen Knaben, ob er keine Ohren
und keinen Verstand habe, dem Verbot des Zeus zu gehorchen. So kann
ihn Niemand im Olymp leiden und Jeder freut sich, wenn ihm eine Beschä¬
mung bereitet wird. Befreundet und zugethan ist ihm nur eine Schaar ver-


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im Gebet wendet; wie dieser umgekehrt nur der Uebermacht oder Tücke einer
feindlichen Gottheit unterliegt, wenn er sonst bedeutend ist. So als des Pa-
troklos Stunde gekommen, tritt Apollo hinter ihn, schlägt ihm Rücken und
Schulter, wirft ihm den Helm ab, macht ihn schwindlig, und windet die
Waffen aus seiner Hand. Arglistig überliefert Athene den Hektor seinem
Rächer.

Also eine verhängnisvolle Ohnmacht in plötzlicher Todesahnung, so¬
wie siegreiche Stärke, das Unheil einer falschen Nachricht, eines Irrthums,
schnell aufleuchtende Gedanken, leidenschaftliche Regungen der Seele, unver¬
dientes Mißlingen sowohl, als glänzender Erfolg und wunderbare Rettung,
besonders auch die wechselnden Launen des Wetters und der Elemente, die
so tief in den Lauf des Krieges eingreifen,.— alle bedeutenderen Wendungen
desselben wie des Menschenlebens überhaupt sind Wirkungen einer freundlichen
oder feindseligen Gottheit.

Von allen der unliebenswürdigste, obwohl nicht der mächtigste, ist der
mit zahlreichen Beinamen seiner Ungeberdigkeit gezierte Ares. Kein Grieche
von Hause aus, sondern im Gebirge Thrakiens heimisch, ein Gott des Win¬
ters, von barbarischen Raubhorden gepflegt, mit den Nordstürmen südwärts
in griechische Landschaften getragen, hat er zu den Olympiern, obwohl
in ihre Gemeinschaft als Sohn der Here aufgenommen, doch kein innerliches,
wahlverwandtes Verhältniß. Ein unholder Gesell, der wenig von griechischer
Art angenommen hat. Nicht Herr des Krieges, sondern der Krieg selber in
seiner ganzen ungeschlachten Gestalt, ist er dem Zeus als dem Herrscher einer
geordneten Welt der verhaßteste unter allen Göttern des Olymps. Unge¬
heuer, Wütherich, Mann gegen Mann, blutbesudelt, menschenvertilgend
städtebelagernd, thränenreich, des Kampfes und Blutes unersättlich wird
er genannt. Ihn wecken heißt die Schlacht beginnen, ihm ist sie ein
Tanz. Er ist es, der die Wunden gefährlich macht. Flucht und
Schrecken sind seine Kinder, sie spannen ihm den Wagen an, wenn
er auszieht, und begleiten ihn. Der Athene ist er freilich in keiner
Weise gewachsen. Sie lenkt des Diomedes Lanze, daß sie ihm in den Bauch
fährt. Da brüllt der eherne Flegel wie 9000 oder 10000 streitende Männer,
daß Achäer und Troer erzittern. Und ein andresmal streckt ihn ein Stein¬
wurf aus Athene's Hand zu Boden, daß er 7 Klaftern mit seinem Leibe
deckt. Ja als er ausziehen will, um den Tod seines Sohnes Askalaphos zu
rächen, nimmt sie ihm ohne Weiteres Helm und Schild wieder ab, stellt die
Lanze aus seiner Hand und schilt ihn wie einen Knaben, ob er keine Ohren
und keinen Verstand habe, dem Verbot des Zeus zu gehorchen. So kann
ihn Niemand im Olymp leiden und Jeder freut sich, wenn ihm eine Beschä¬
mung bereitet wird. Befreundet und zugethan ist ihm nur eine Schaar ver-


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[0341] im Gebet wendet; wie dieser umgekehrt nur der Uebermacht oder Tücke einer feindlichen Gottheit unterliegt, wenn er sonst bedeutend ist. So als des Pa- troklos Stunde gekommen, tritt Apollo hinter ihn, schlägt ihm Rücken und Schulter, wirft ihm den Helm ab, macht ihn schwindlig, und windet die Waffen aus seiner Hand. Arglistig überliefert Athene den Hektor seinem Rächer. Also eine verhängnisvolle Ohnmacht in plötzlicher Todesahnung, so¬ wie siegreiche Stärke, das Unheil einer falschen Nachricht, eines Irrthums, schnell aufleuchtende Gedanken, leidenschaftliche Regungen der Seele, unver¬ dientes Mißlingen sowohl, als glänzender Erfolg und wunderbare Rettung, besonders auch die wechselnden Launen des Wetters und der Elemente, die so tief in den Lauf des Krieges eingreifen,.— alle bedeutenderen Wendungen desselben wie des Menschenlebens überhaupt sind Wirkungen einer freundlichen oder feindseligen Gottheit. Von allen der unliebenswürdigste, obwohl nicht der mächtigste, ist der mit zahlreichen Beinamen seiner Ungeberdigkeit gezierte Ares. Kein Grieche von Hause aus, sondern im Gebirge Thrakiens heimisch, ein Gott des Win¬ ters, von barbarischen Raubhorden gepflegt, mit den Nordstürmen südwärts in griechische Landschaften getragen, hat er zu den Olympiern, obwohl in ihre Gemeinschaft als Sohn der Here aufgenommen, doch kein innerliches, wahlverwandtes Verhältniß. Ein unholder Gesell, der wenig von griechischer Art angenommen hat. Nicht Herr des Krieges, sondern der Krieg selber in seiner ganzen ungeschlachten Gestalt, ist er dem Zeus als dem Herrscher einer geordneten Welt der verhaßteste unter allen Göttern des Olymps. Unge¬ heuer, Wütherich, Mann gegen Mann, blutbesudelt, menschenvertilgend städtebelagernd, thränenreich, des Kampfes und Blutes unersättlich wird er genannt. Ihn wecken heißt die Schlacht beginnen, ihm ist sie ein Tanz. Er ist es, der die Wunden gefährlich macht. Flucht und Schrecken sind seine Kinder, sie spannen ihm den Wagen an, wenn er auszieht, und begleiten ihn. Der Athene ist er freilich in keiner Weise gewachsen. Sie lenkt des Diomedes Lanze, daß sie ihm in den Bauch fährt. Da brüllt der eherne Flegel wie 9000 oder 10000 streitende Männer, daß Achäer und Troer erzittern. Und ein andresmal streckt ihn ein Stein¬ wurf aus Athene's Hand zu Boden, daß er 7 Klaftern mit seinem Leibe deckt. Ja als er ausziehen will, um den Tod seines Sohnes Askalaphos zu rächen, nimmt sie ihm ohne Weiteres Helm und Schild wieder ab, stellt die Lanze aus seiner Hand und schilt ihn wie einen Knaben, ob er keine Ohren und keinen Verstand habe, dem Verbot des Zeus zu gehorchen. So kann ihn Niemand im Olymp leiden und Jeder freut sich, wenn ihm eine Beschä¬ mung bereitet wird. Befreundet und zugethan ist ihm nur eine Schaar ver- GrcnzblZtm I. >87>. 4!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/341>, abgerufen am 29.06.2024.