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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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diese oder jene Gottheit ein: ruhen die Sterblichen, so ruhen auch die Götter.
Thatsächlich fügen sie sich, wenn auch bisweilen unwillig, dem Belieben des
Zeus; denn harte Strafen bedrohen ihren Ungehorsam. Aber bisweilen wer¬
den sie doch von ihren Empfindungen hingerissen und wagen hinter dem
Rücken des strengen Gebieters einen Ausfall, werden aber bald genug,
wie Kinder gescholten, zum Gehorsam zurückgerufen. Am meisten nehmen
sich Here und Athene heraus, jene als die Göttin von Argos, der Atri-
denheimath, und die Beschützerin eines würdigen ehelichen Familienlebens
nach guter altgriechischer Sitte, das sie, gegen Aphrodite's verderblichen Ein¬
fluß zu schützen hat, diese als der allgemeine Hort des Hellenenthums. Ein¬
mal verschwören sich beide, den bedrängten Achäern zu Hülfe zu eilen. Die
Himmelskönigin legt den Rossen das goldene Geschirr an, während die Toch¬
ter des Zeus sich mit des Vaters eigenem Untergewande zum Kampf rüstet.
So steigt sie auf den flammenden Wagen, die wuchtige Lanze in der Hand,
Here treibt mit der Peitsche die Rosse an, von selbst öffnen sich weit die Thore
des Himmels, von den Hören gehütet, und hindurch jagt das Gespann. Aber
alsbald gewahrt es Zeus vomJda her, und sehr unwillig sendet er Iris mit
dem Befehl umzukehren, sonst werde er die Pferde lähmen und den Wagen
zerbrechen und die Göttinnen herabschleudern, daß sie zehn Jahre lang an
ihren Wunden zu curiren haben sollen. Und so müssen sie kleinmüthig noch
dicht vor den Thoren wieder heimwärts lenken.

Ihre Günstlinge, wenn deren Schicksalstag noch nicht vollendet ist,
wunderbar aus der Gefahr zu retten, ist den Olympiern vergönnt. Sie
offenbaren dann, wie sehr der Sterbliche sich auf Treue und Eiser seines gött¬
lichen Beschützers verlassen kann, soweit eben dessen Macht reicht. Wie eine
Mutter ihrem schlafenden Kinde die Fliege abwehrt, so lenkt Athene den
tückischen Pfeil des Pandaros, den sie freilich selbst herausgefordert hat, von
der bloßen Haut des Menelaos ab, daß er nur durch den Gürtel dringt und
die Kraft verliert. Ihren Paris entrückt Aphrodite aus dem gefährlichen
Zweikampf, und um ihren verwundeten Sohn Aeneas legt sie schützend die
weißen Arme und breitet die Falte ihres Gewandes vor ihm aus als Deckung
gegen die feindlichen Geschosse. Auch Apollo entzieht den Agenor Aedilis
Händen und für eine Zeit lang auch den Hektor. Ueberhaupt sind die Be¬
schützer der Troer mehr geneigt oder genöthigt, den Ihrigen in dieser Weise
beizuspringen.

Die Majestät des Zeus allein hält sich von allem persönlichen Verkehr
mit den Menschen zurückgezogen. Die übrigen Götter treten ermuthigend,
meist in der Gestalt befreundeter, einflußreicher Gefährten zum Einzelnen oder
durcheilen die Reihen. Seltener greisen sie unsichtbar ein. Anerkannt hört
es der Beschützer gern, wenn der Held sich vor allen an ihn vertrauensvoll


diese oder jene Gottheit ein: ruhen die Sterblichen, so ruhen auch die Götter.
Thatsächlich fügen sie sich, wenn auch bisweilen unwillig, dem Belieben des
Zeus; denn harte Strafen bedrohen ihren Ungehorsam. Aber bisweilen wer¬
den sie doch von ihren Empfindungen hingerissen und wagen hinter dem
Rücken des strengen Gebieters einen Ausfall, werden aber bald genug,
wie Kinder gescholten, zum Gehorsam zurückgerufen. Am meisten nehmen
sich Here und Athene heraus, jene als die Göttin von Argos, der Atri-
denheimath, und die Beschützerin eines würdigen ehelichen Familienlebens
nach guter altgriechischer Sitte, das sie, gegen Aphrodite's verderblichen Ein¬
fluß zu schützen hat, diese als der allgemeine Hort des Hellenenthums. Ein¬
mal verschwören sich beide, den bedrängten Achäern zu Hülfe zu eilen. Die
Himmelskönigin legt den Rossen das goldene Geschirr an, während die Toch¬
ter des Zeus sich mit des Vaters eigenem Untergewande zum Kampf rüstet.
So steigt sie auf den flammenden Wagen, die wuchtige Lanze in der Hand,
Here treibt mit der Peitsche die Rosse an, von selbst öffnen sich weit die Thore
des Himmels, von den Hören gehütet, und hindurch jagt das Gespann. Aber
alsbald gewahrt es Zeus vomJda her, und sehr unwillig sendet er Iris mit
dem Befehl umzukehren, sonst werde er die Pferde lähmen und den Wagen
zerbrechen und die Göttinnen herabschleudern, daß sie zehn Jahre lang an
ihren Wunden zu curiren haben sollen. Und so müssen sie kleinmüthig noch
dicht vor den Thoren wieder heimwärts lenken.

Ihre Günstlinge, wenn deren Schicksalstag noch nicht vollendet ist,
wunderbar aus der Gefahr zu retten, ist den Olympiern vergönnt. Sie
offenbaren dann, wie sehr der Sterbliche sich auf Treue und Eiser seines gött¬
lichen Beschützers verlassen kann, soweit eben dessen Macht reicht. Wie eine
Mutter ihrem schlafenden Kinde die Fliege abwehrt, so lenkt Athene den
tückischen Pfeil des Pandaros, den sie freilich selbst herausgefordert hat, von
der bloßen Haut des Menelaos ab, daß er nur durch den Gürtel dringt und
die Kraft verliert. Ihren Paris entrückt Aphrodite aus dem gefährlichen
Zweikampf, und um ihren verwundeten Sohn Aeneas legt sie schützend die
weißen Arme und breitet die Falte ihres Gewandes vor ihm aus als Deckung
gegen die feindlichen Geschosse. Auch Apollo entzieht den Agenor Aedilis
Händen und für eine Zeit lang auch den Hektor. Ueberhaupt sind die Be¬
schützer der Troer mehr geneigt oder genöthigt, den Ihrigen in dieser Weise
beizuspringen.

Die Majestät des Zeus allein hält sich von allem persönlichen Verkehr
mit den Menschen zurückgezogen. Die übrigen Götter treten ermuthigend,
meist in der Gestalt befreundeter, einflußreicher Gefährten zum Einzelnen oder
durcheilen die Reihen. Seltener greisen sie unsichtbar ein. Anerkannt hört
es der Beschützer gern, wenn der Held sich vor allen an ihn vertrauensvoll


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[0340] diese oder jene Gottheit ein: ruhen die Sterblichen, so ruhen auch die Götter. Thatsächlich fügen sie sich, wenn auch bisweilen unwillig, dem Belieben des Zeus; denn harte Strafen bedrohen ihren Ungehorsam. Aber bisweilen wer¬ den sie doch von ihren Empfindungen hingerissen und wagen hinter dem Rücken des strengen Gebieters einen Ausfall, werden aber bald genug, wie Kinder gescholten, zum Gehorsam zurückgerufen. Am meisten nehmen sich Here und Athene heraus, jene als die Göttin von Argos, der Atri- denheimath, und die Beschützerin eines würdigen ehelichen Familienlebens nach guter altgriechischer Sitte, das sie, gegen Aphrodite's verderblichen Ein¬ fluß zu schützen hat, diese als der allgemeine Hort des Hellenenthums. Ein¬ mal verschwören sich beide, den bedrängten Achäern zu Hülfe zu eilen. Die Himmelskönigin legt den Rossen das goldene Geschirr an, während die Toch¬ ter des Zeus sich mit des Vaters eigenem Untergewande zum Kampf rüstet. So steigt sie auf den flammenden Wagen, die wuchtige Lanze in der Hand, Here treibt mit der Peitsche die Rosse an, von selbst öffnen sich weit die Thore des Himmels, von den Hören gehütet, und hindurch jagt das Gespann. Aber alsbald gewahrt es Zeus vomJda her, und sehr unwillig sendet er Iris mit dem Befehl umzukehren, sonst werde er die Pferde lähmen und den Wagen zerbrechen und die Göttinnen herabschleudern, daß sie zehn Jahre lang an ihren Wunden zu curiren haben sollen. Und so müssen sie kleinmüthig noch dicht vor den Thoren wieder heimwärts lenken. Ihre Günstlinge, wenn deren Schicksalstag noch nicht vollendet ist, wunderbar aus der Gefahr zu retten, ist den Olympiern vergönnt. Sie offenbaren dann, wie sehr der Sterbliche sich auf Treue und Eiser seines gött¬ lichen Beschützers verlassen kann, soweit eben dessen Macht reicht. Wie eine Mutter ihrem schlafenden Kinde die Fliege abwehrt, so lenkt Athene den tückischen Pfeil des Pandaros, den sie freilich selbst herausgefordert hat, von der bloßen Haut des Menelaos ab, daß er nur durch den Gürtel dringt und die Kraft verliert. Ihren Paris entrückt Aphrodite aus dem gefährlichen Zweikampf, und um ihren verwundeten Sohn Aeneas legt sie schützend die weißen Arme und breitet die Falte ihres Gewandes vor ihm aus als Deckung gegen die feindlichen Geschosse. Auch Apollo entzieht den Agenor Aedilis Händen und für eine Zeit lang auch den Hektor. Ueberhaupt sind die Be¬ schützer der Troer mehr geneigt oder genöthigt, den Ihrigen in dieser Weise beizuspringen. Die Majestät des Zeus allein hält sich von allem persönlichen Verkehr mit den Menschen zurückgezogen. Die übrigen Götter treten ermuthigend, meist in der Gestalt befreundeter, einflußreicher Gefährten zum Einzelnen oder durcheilen die Reihen. Seltener greisen sie unsichtbar ein. Anerkannt hört es der Beschützer gern, wenn der Held sich vor allen an ihn vertrauensvoll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/340>, abgerufen am 29.06.2024.