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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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geschlagen. Athene oder Apollo vertraut er, je nachdem es ihm gefällt, die
furchtbare Aegis an, jener, wenn die Troer, diesem, wenn die Achäer geschla¬
gen werden sollen. Einmal sogar wirft sie Athene dem Achill um die
Schultern.

Zeus gibt das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Während aber die
Uebrigen den Olymp verlassen und sich in die Reihen der Streitenden mischen,
sitzt er behaglich auf wolkigem Gipfel, hört das Getöse an, und das Herz
lacht ihm vor Freude, wie er Sterbliche und Unsterbliche sich tapfer durchein¬
ander tummeln sieht. Bisweilen jedoch wendet der Weltbeherrscher seinen
Blick ab nach einer andern Gegend seines weiten Reichs, oder der gefällige
Schlaf berückt ihn: dann nimmt einer und der andere die Gelegenheit wahr,
um den Seinen eine schnelle, wenn auch vorübergehende Hilfe zu bringen.
Sogar Mitleiden und Schmerz kann ihn anwandeln und in Versuchung füh¬
ren, dem Geschick entgegen zu handeln. Wie gern möchte er den wackern
Hektar retten, der ihm so manche Rinderschenkel auf den Gipfeln des schluchten¬
reichen Jda und auf der Burg verbrannt hat! Er gibt dem Götterrath zur
Erwägung: wollen wir ihn noch einmal vom Tode retten, oder, so trefflich
er ist, schon jetzt dem Peliden überantworten? Athene, die ihres Opfers harrt,
erwidert gereizt:


Vater mit blendendem Blitz, Schwarzwolkiger, welcherlei Rede!
Einen sterblichen Mann, der längst dem Verhängnis bestimmt ist,
Willst von dem traurig tönenden Tod du wieder erlösen?
Thu's, doch können wir anderen Götter es nimmermehr loben.

Da antwortet Zeus begütigend und läßt sie gehen, den verhängnißvollen
Ausschlag zu geben. Ein andermal schreitet die eigene Gemahlin Here mit
denselben Worten protestirend ein, als er schwankt, ob er seinen geliebten
Sohn aus der Schlacht in seine lykische Heimath entrücken oder, wie es die
Moira beschlossen, dem Patroklos preisgeben soll. Blutige Tropfen vergießt
er zur Erde, indem er sich dem Schicksal fügt.

Der Vater der Götter und Menschen selbst kann sich bisweilen noch
nicht in die ewigen Gesetze der Vergänglichkeit alles Irdischen, das er zu
hüten hat, finden.

Die Sympathieen der übrigen Olympier sind zwischen beide Lager ge¬
theilt, Jeder aber hält sich zu den Seinigen: zu den Achaiern ihre alten an¬
gestammten Nationalgötter, die engere Familie des Zeus: die Gemahlin und
Schwester Here, der Bruder Poseidon, der ja selbst die Schiffe hinüber¬
getragen, die Kinder Athene, Hephästos und Hermes; den Troern
sind Gottheiten orientalischen und barbarischen Ursprungs hold: der thrakische
Ares, Leto mit ihren Kindern Apollo und Artemis, Aphrodite,
die orientalische Liebesgöttin. Bei jedem entscheidenden Wendepunkt greift


geschlagen. Athene oder Apollo vertraut er, je nachdem es ihm gefällt, die
furchtbare Aegis an, jener, wenn die Troer, diesem, wenn die Achäer geschla¬
gen werden sollen. Einmal sogar wirft sie Athene dem Achill um die
Schultern.

Zeus gibt das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Während aber die
Uebrigen den Olymp verlassen und sich in die Reihen der Streitenden mischen,
sitzt er behaglich auf wolkigem Gipfel, hört das Getöse an, und das Herz
lacht ihm vor Freude, wie er Sterbliche und Unsterbliche sich tapfer durchein¬
ander tummeln sieht. Bisweilen jedoch wendet der Weltbeherrscher seinen
Blick ab nach einer andern Gegend seines weiten Reichs, oder der gefällige
Schlaf berückt ihn: dann nimmt einer und der andere die Gelegenheit wahr,
um den Seinen eine schnelle, wenn auch vorübergehende Hilfe zu bringen.
Sogar Mitleiden und Schmerz kann ihn anwandeln und in Versuchung füh¬
ren, dem Geschick entgegen zu handeln. Wie gern möchte er den wackern
Hektar retten, der ihm so manche Rinderschenkel auf den Gipfeln des schluchten¬
reichen Jda und auf der Burg verbrannt hat! Er gibt dem Götterrath zur
Erwägung: wollen wir ihn noch einmal vom Tode retten, oder, so trefflich
er ist, schon jetzt dem Peliden überantworten? Athene, die ihres Opfers harrt,
erwidert gereizt:


Vater mit blendendem Blitz, Schwarzwolkiger, welcherlei Rede!
Einen sterblichen Mann, der längst dem Verhängnis bestimmt ist,
Willst von dem traurig tönenden Tod du wieder erlösen?
Thu's, doch können wir anderen Götter es nimmermehr loben.

Da antwortet Zeus begütigend und läßt sie gehen, den verhängnißvollen
Ausschlag zu geben. Ein andermal schreitet die eigene Gemahlin Here mit
denselben Worten protestirend ein, als er schwankt, ob er seinen geliebten
Sohn aus der Schlacht in seine lykische Heimath entrücken oder, wie es die
Moira beschlossen, dem Patroklos preisgeben soll. Blutige Tropfen vergießt
er zur Erde, indem er sich dem Schicksal fügt.

Der Vater der Götter und Menschen selbst kann sich bisweilen noch
nicht in die ewigen Gesetze der Vergänglichkeit alles Irdischen, das er zu
hüten hat, finden.

Die Sympathieen der übrigen Olympier sind zwischen beide Lager ge¬
theilt, Jeder aber hält sich zu den Seinigen: zu den Achaiern ihre alten an¬
gestammten Nationalgötter, die engere Familie des Zeus: die Gemahlin und
Schwester Here, der Bruder Poseidon, der ja selbst die Schiffe hinüber¬
getragen, die Kinder Athene, Hephästos und Hermes; den Troern
sind Gottheiten orientalischen und barbarischen Ursprungs hold: der thrakische
Ares, Leto mit ihren Kindern Apollo und Artemis, Aphrodite,
die orientalische Liebesgöttin. Bei jedem entscheidenden Wendepunkt greift


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[0339] geschlagen. Athene oder Apollo vertraut er, je nachdem es ihm gefällt, die furchtbare Aegis an, jener, wenn die Troer, diesem, wenn die Achäer geschla¬ gen werden sollen. Einmal sogar wirft sie Athene dem Achill um die Schultern. Zeus gibt das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Während aber die Uebrigen den Olymp verlassen und sich in die Reihen der Streitenden mischen, sitzt er behaglich auf wolkigem Gipfel, hört das Getöse an, und das Herz lacht ihm vor Freude, wie er Sterbliche und Unsterbliche sich tapfer durchein¬ ander tummeln sieht. Bisweilen jedoch wendet der Weltbeherrscher seinen Blick ab nach einer andern Gegend seines weiten Reichs, oder der gefällige Schlaf berückt ihn: dann nimmt einer und der andere die Gelegenheit wahr, um den Seinen eine schnelle, wenn auch vorübergehende Hilfe zu bringen. Sogar Mitleiden und Schmerz kann ihn anwandeln und in Versuchung füh¬ ren, dem Geschick entgegen zu handeln. Wie gern möchte er den wackern Hektar retten, der ihm so manche Rinderschenkel auf den Gipfeln des schluchten¬ reichen Jda und auf der Burg verbrannt hat! Er gibt dem Götterrath zur Erwägung: wollen wir ihn noch einmal vom Tode retten, oder, so trefflich er ist, schon jetzt dem Peliden überantworten? Athene, die ihres Opfers harrt, erwidert gereizt: Vater mit blendendem Blitz, Schwarzwolkiger, welcherlei Rede! Einen sterblichen Mann, der längst dem Verhängnis bestimmt ist, Willst von dem traurig tönenden Tod du wieder erlösen? Thu's, doch können wir anderen Götter es nimmermehr loben. Da antwortet Zeus begütigend und läßt sie gehen, den verhängnißvollen Ausschlag zu geben. Ein andermal schreitet die eigene Gemahlin Here mit denselben Worten protestirend ein, als er schwankt, ob er seinen geliebten Sohn aus der Schlacht in seine lykische Heimath entrücken oder, wie es die Moira beschlossen, dem Patroklos preisgeben soll. Blutige Tropfen vergießt er zur Erde, indem er sich dem Schicksal fügt. Der Vater der Götter und Menschen selbst kann sich bisweilen noch nicht in die ewigen Gesetze der Vergänglichkeit alles Irdischen, das er zu hüten hat, finden. Die Sympathieen der übrigen Olympier sind zwischen beide Lager ge¬ theilt, Jeder aber hält sich zu den Seinigen: zu den Achaiern ihre alten an¬ gestammten Nationalgötter, die engere Familie des Zeus: die Gemahlin und Schwester Here, der Bruder Poseidon, der ja selbst die Schiffe hinüber¬ getragen, die Kinder Athene, Hephästos und Hermes; den Troern sind Gottheiten orientalischen und barbarischen Ursprungs hold: der thrakische Ares, Leto mit ihren Kindern Apollo und Artemis, Aphrodite, die orientalische Liebesgöttin. Bei jedem entscheidenden Wendepunkt greift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/339>, abgerufen am 28.09.2024.