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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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der Troer und die Schiffe der Achäer schwanken, und Aidoneus in der Tiefe
springt erschrocken vom Throne, schreit auf in Besorgnis Poseidon möchte die
Erde aufreißen und die Wohnungen der Unterirdischen Sterblichen und Un¬
sterblichen sichtbar machen. Aber nur einmal, als der göttergleiche Achilleus
die Waffen wieder ergriffen hat, da die Sterblichen zu schwach wären, ihm
auch nur kurze Zeit zu widerstehen, entsendet Zeus das Heer der Olympier
nach beiden Seiten, entfesselt er auch die Elemente, um die übermenschliche
Kraft des Helden zugleich zu dämpfen und auf die glänzendste Probe zu
stellen. Auch dies ist nur ein mächtiges Waffen spiel, eine Mahnung für den
Sterblichen, sich seiner Grenzen nicht zu überheben. ,

Denn Zeus ist der Verwalter des Krieges, ihm ist der vom Schicksal
bestimmte Ausgang desselben bekannt, er hat die rechtzeitige Erfüllung des
Geschicks zu überwachen, zu verhüten, daß es nicht etwa durch einen unvor¬
hergesehenen Zufall vereitelt werde. In entscheidenden Augenblicken, wo sichs
um Sieg und Niederlage beider Heere, um Tod und Leben zweier gegenüber¬
stehender Helden handelt, nimmt er die goldne Waage zur Hand, legt in
beide Schalen zwei Keren, Loose des Todes, und prüft, wessen Schicksalstag
die Schale niederzieht. Dann folgt unmittelbar die Entscheidung. Innerhalb
der von Ewigkeit gezogenen Grenzen jedoch kann er Gunst und Ungunst nach
Belieben vertheilen. Er sendet tröstliche Zeichen oder breitet düstern Nebel
über die, denen er Uebles will; aber ein kräftiges Gebet des Ajax, der ver¬
zweifelt in Thränen ausruft: vernichte uns wenigstens im Licht, wenn es dir
so gefällt, rührt ihn. Er läßt die Sonne wieder scheinen und gibt den be¬
drängten Achäern neuen Muth.

Leicht erkennbar ist des Zeus Hilfe in der Schlacht: die Begünstigten
treffen mit allen Geschossen, den Andern fallen sie wirkungslos zu Boden. Den
übrigen Göttern erlaubt oder verbietet er, je nach seinen eigenen Absichten,
und wie es der Vollzug des Geschicks fordert, in den Kampf einzugreifen, er
sendet die Botin Iris aus, um Poseidon aus der Schlacht abzuberufen, ihm
zu gebieten, sich in das Meer zurückzuziehen -- grollend gehorcht derselbe --,
oder um dem Apollo zu befehlen, daß er die Achäer in die Flucht schlage,
was dieser eifrigst thut, gleich einem taubenmordenden Habicht vom Jda
herabstürzend. In seiner Hand ruht die nie alternde, leuchtende, stürmische
Aegis (die Wetterwolke), die Hephästos für ihn gemacht hat zum Schrecken
der Menschen. Sie ist kostbar, mit hundert goldenen Quasten versehen, jede
100 Rinder werth. Ringsum ist sie bekränzt von Furcht, drinnen ist Streit,
Abwehr, Schauriges Heulen und das schreckliche Gorgonenhaupt. Hält er sie
still, so treffen die Geschosse auf beiden Seiten. Schüttelt er sie aber und
sieht die Troer an, und ruft laut dazu, -- der Jda verhüllt sich, es blitzt
und donnert, -- so werden die Achäer wie eine Heerde Lämmer in die Flucht


der Troer und die Schiffe der Achäer schwanken, und Aidoneus in der Tiefe
springt erschrocken vom Throne, schreit auf in Besorgnis Poseidon möchte die
Erde aufreißen und die Wohnungen der Unterirdischen Sterblichen und Un¬
sterblichen sichtbar machen. Aber nur einmal, als der göttergleiche Achilleus
die Waffen wieder ergriffen hat, da die Sterblichen zu schwach wären, ihm
auch nur kurze Zeit zu widerstehen, entsendet Zeus das Heer der Olympier
nach beiden Seiten, entfesselt er auch die Elemente, um die übermenschliche
Kraft des Helden zugleich zu dämpfen und auf die glänzendste Probe zu
stellen. Auch dies ist nur ein mächtiges Waffen spiel, eine Mahnung für den
Sterblichen, sich seiner Grenzen nicht zu überheben. ,

Denn Zeus ist der Verwalter des Krieges, ihm ist der vom Schicksal
bestimmte Ausgang desselben bekannt, er hat die rechtzeitige Erfüllung des
Geschicks zu überwachen, zu verhüten, daß es nicht etwa durch einen unvor¬
hergesehenen Zufall vereitelt werde. In entscheidenden Augenblicken, wo sichs
um Sieg und Niederlage beider Heere, um Tod und Leben zweier gegenüber¬
stehender Helden handelt, nimmt er die goldne Waage zur Hand, legt in
beide Schalen zwei Keren, Loose des Todes, und prüft, wessen Schicksalstag
die Schale niederzieht. Dann folgt unmittelbar die Entscheidung. Innerhalb
der von Ewigkeit gezogenen Grenzen jedoch kann er Gunst und Ungunst nach
Belieben vertheilen. Er sendet tröstliche Zeichen oder breitet düstern Nebel
über die, denen er Uebles will; aber ein kräftiges Gebet des Ajax, der ver¬
zweifelt in Thränen ausruft: vernichte uns wenigstens im Licht, wenn es dir
so gefällt, rührt ihn. Er läßt die Sonne wieder scheinen und gibt den be¬
drängten Achäern neuen Muth.

Leicht erkennbar ist des Zeus Hilfe in der Schlacht: die Begünstigten
treffen mit allen Geschossen, den Andern fallen sie wirkungslos zu Boden. Den
übrigen Göttern erlaubt oder verbietet er, je nach seinen eigenen Absichten,
und wie es der Vollzug des Geschicks fordert, in den Kampf einzugreifen, er
sendet die Botin Iris aus, um Poseidon aus der Schlacht abzuberufen, ihm
zu gebieten, sich in das Meer zurückzuziehen — grollend gehorcht derselbe —,
oder um dem Apollo zu befehlen, daß er die Achäer in die Flucht schlage,
was dieser eifrigst thut, gleich einem taubenmordenden Habicht vom Jda
herabstürzend. In seiner Hand ruht die nie alternde, leuchtende, stürmische
Aegis (die Wetterwolke), die Hephästos für ihn gemacht hat zum Schrecken
der Menschen. Sie ist kostbar, mit hundert goldenen Quasten versehen, jede
100 Rinder werth. Ringsum ist sie bekränzt von Furcht, drinnen ist Streit,
Abwehr, Schauriges Heulen und das schreckliche Gorgonenhaupt. Hält er sie
still, so treffen die Geschosse auf beiden Seiten. Schüttelt er sie aber und
sieht die Troer an, und ruft laut dazu, — der Jda verhüllt sich, es blitzt
und donnert, — so werden die Achäer wie eine Heerde Lämmer in die Flucht


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[0338] der Troer und die Schiffe der Achäer schwanken, und Aidoneus in der Tiefe springt erschrocken vom Throne, schreit auf in Besorgnis Poseidon möchte die Erde aufreißen und die Wohnungen der Unterirdischen Sterblichen und Un¬ sterblichen sichtbar machen. Aber nur einmal, als der göttergleiche Achilleus die Waffen wieder ergriffen hat, da die Sterblichen zu schwach wären, ihm auch nur kurze Zeit zu widerstehen, entsendet Zeus das Heer der Olympier nach beiden Seiten, entfesselt er auch die Elemente, um die übermenschliche Kraft des Helden zugleich zu dämpfen und auf die glänzendste Probe zu stellen. Auch dies ist nur ein mächtiges Waffen spiel, eine Mahnung für den Sterblichen, sich seiner Grenzen nicht zu überheben. , Denn Zeus ist der Verwalter des Krieges, ihm ist der vom Schicksal bestimmte Ausgang desselben bekannt, er hat die rechtzeitige Erfüllung des Geschicks zu überwachen, zu verhüten, daß es nicht etwa durch einen unvor¬ hergesehenen Zufall vereitelt werde. In entscheidenden Augenblicken, wo sichs um Sieg und Niederlage beider Heere, um Tod und Leben zweier gegenüber¬ stehender Helden handelt, nimmt er die goldne Waage zur Hand, legt in beide Schalen zwei Keren, Loose des Todes, und prüft, wessen Schicksalstag die Schale niederzieht. Dann folgt unmittelbar die Entscheidung. Innerhalb der von Ewigkeit gezogenen Grenzen jedoch kann er Gunst und Ungunst nach Belieben vertheilen. Er sendet tröstliche Zeichen oder breitet düstern Nebel über die, denen er Uebles will; aber ein kräftiges Gebet des Ajax, der ver¬ zweifelt in Thränen ausruft: vernichte uns wenigstens im Licht, wenn es dir so gefällt, rührt ihn. Er läßt die Sonne wieder scheinen und gibt den be¬ drängten Achäern neuen Muth. Leicht erkennbar ist des Zeus Hilfe in der Schlacht: die Begünstigten treffen mit allen Geschossen, den Andern fallen sie wirkungslos zu Boden. Den übrigen Göttern erlaubt oder verbietet er, je nach seinen eigenen Absichten, und wie es der Vollzug des Geschicks fordert, in den Kampf einzugreifen, er sendet die Botin Iris aus, um Poseidon aus der Schlacht abzuberufen, ihm zu gebieten, sich in das Meer zurückzuziehen — grollend gehorcht derselbe —, oder um dem Apollo zu befehlen, daß er die Achäer in die Flucht schlage, was dieser eifrigst thut, gleich einem taubenmordenden Habicht vom Jda herabstürzend. In seiner Hand ruht die nie alternde, leuchtende, stürmische Aegis (die Wetterwolke), die Hephästos für ihn gemacht hat zum Schrecken der Menschen. Sie ist kostbar, mit hundert goldenen Quasten versehen, jede 100 Rinder werth. Ringsum ist sie bekränzt von Furcht, drinnen ist Streit, Abwehr, Schauriges Heulen und das schreckliche Gorgonenhaupt. Hält er sie still, so treffen die Geschosse auf beiden Seiten. Schüttelt er sie aber und sieht die Troer an, und ruft laut dazu, — der Jda verhüllt sich, es blitzt und donnert, — so werden die Achäer wie eine Heerde Lämmer in die Flucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/338>, abgerufen am 28.09.2024.