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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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tung der Grenzen abzuhalten. Wir find indeß in der Lage, alle Gerüchte
von einer Invasion für rein erfunden zu bezeichnen. Manche mögen sie'
verbreiten, um der päpstlichen Negierung Schwierigkeiten zu bereiten. Die
italienischen Truppen werden aber nie die Grenze Passiren, und den päpstlichen
Truppen niemals die geringste Unannehmlichkeit bereiten u. s. w." Die Auf¬
regung war aber in der That viel schlimmer über andere Dinge, wie z. B.
über die Mordthaten, welche in der Stadt durch fremde Lohnsoldaten verübt
wurden. Ein Zuave erschoß drei Bürger und verwundete noch mehr; ein
Soldat von der Legion d'Antibes ermordete einen schlafenden Mann, und
verwundete eine Frau mit zwei Kindern. Die Regierung erklärte beide für
betrunken! Niemand wagte mehr auszugehen, und die Geduld der Bürger
war erschöpft. Dabei dauerten die Verhaftungen aller halbwegs Verdächtigen
fort. Die Soldaten der Legion fingen an zu tumultuiren, weil sie entlassen
sein wollten, um nach Frankreich in den Kampf zu gehen. Da der General
Kanzler die Bittsteller abschlägig beschied, wendeten sie sich an den französi¬
schen Gesandten, den Marquis de Banneville, um Vermittelung und Unter¬
stützung ihres Gesundes. Der war jedoch in Folge seiner diplomatischen Stel¬
lung nicht in der Lage, diesem Verlangen zu entsprechen. Den etwaigen stür¬
mischen Manifestationen der Legionäre zu begegnen, hatte der Marquis am
21. August (Sonntags) die Thore des Palastes Colonna schließen lassen, was
sonst nur bei tiefer Trauer zu geschehen pflegt. Daraus hatte man in Rom
irrigerweise auf eine Nachricht vom Tode des Kaisers Napoleon geschlossen.
Dieser Irrthum konnte erst am folgenden Tage berichtigt werden, da Sonn¬
tags dort natürlich keine Zeitung erscheinen durfte. Die Stellung des fran¬
zösischen Gesandten war überhaupt keine sonderlich angenehme, seitdem Na¬
poleon den Papst seinem Schicksale überlassen hatte. Ihm mußte also dop¬
pelt peinlich sein, daß seine Landsleute so tumultuarisch ihre Entlassung ver¬
langten. Auf seine Verwendung, und in Folge ihrer Widerspenstigkeit, wurde
später die Legion aufgelöst. Man soll nachher den Marquis dadurch chicanirt
haben, daß man ihm die angekommenen telegraphischen Depeschen 10 bis
12 Stunden lang vorenthielt. Auch zwischen den Legionären und den Cara-
binieri, die meist aus Deutschen bestanden, war es in Folge der Nachrichten
von den deutschen Siegen zu Kämpfen gekommen, wobei 120 Mann ver¬
wundet wurden, von denen mehrere im Militär-Hospital starben.

Als nicht mehr daran gezweifelt werden konnte, daß der Vormarsch der
italienischen Truppen in das römische Gebiet erfolgen werde, ertheilte der
Kriegsminister den außerhalb Roms befindlichen Truppen den Befehl, sich in
Marschbereitschaft zu halten, um auf telegraphische Weisung sich sogleich nach
Rom verfügen zu können. Patrouillen von Infanterie und Cavallerie. die
nach der Grenze entsendet waren, hatten berichtet, daß in der That- die meisten


tung der Grenzen abzuhalten. Wir find indeß in der Lage, alle Gerüchte
von einer Invasion für rein erfunden zu bezeichnen. Manche mögen sie'
verbreiten, um der päpstlichen Negierung Schwierigkeiten zu bereiten. Die
italienischen Truppen werden aber nie die Grenze Passiren, und den päpstlichen
Truppen niemals die geringste Unannehmlichkeit bereiten u. s. w." Die Auf¬
regung war aber in der That viel schlimmer über andere Dinge, wie z. B.
über die Mordthaten, welche in der Stadt durch fremde Lohnsoldaten verübt
wurden. Ein Zuave erschoß drei Bürger und verwundete noch mehr; ein
Soldat von der Legion d'Antibes ermordete einen schlafenden Mann, und
verwundete eine Frau mit zwei Kindern. Die Regierung erklärte beide für
betrunken! Niemand wagte mehr auszugehen, und die Geduld der Bürger
war erschöpft. Dabei dauerten die Verhaftungen aller halbwegs Verdächtigen
fort. Die Soldaten der Legion fingen an zu tumultuiren, weil sie entlassen
sein wollten, um nach Frankreich in den Kampf zu gehen. Da der General
Kanzler die Bittsteller abschlägig beschied, wendeten sie sich an den französi¬
schen Gesandten, den Marquis de Banneville, um Vermittelung und Unter¬
stützung ihres Gesundes. Der war jedoch in Folge seiner diplomatischen Stel¬
lung nicht in der Lage, diesem Verlangen zu entsprechen. Den etwaigen stür¬
mischen Manifestationen der Legionäre zu begegnen, hatte der Marquis am
21. August (Sonntags) die Thore des Palastes Colonna schließen lassen, was
sonst nur bei tiefer Trauer zu geschehen pflegt. Daraus hatte man in Rom
irrigerweise auf eine Nachricht vom Tode des Kaisers Napoleon geschlossen.
Dieser Irrthum konnte erst am folgenden Tage berichtigt werden, da Sonn¬
tags dort natürlich keine Zeitung erscheinen durfte. Die Stellung des fran¬
zösischen Gesandten war überhaupt keine sonderlich angenehme, seitdem Na¬
poleon den Papst seinem Schicksale überlassen hatte. Ihm mußte also dop¬
pelt peinlich sein, daß seine Landsleute so tumultuarisch ihre Entlassung ver¬
langten. Auf seine Verwendung, und in Folge ihrer Widerspenstigkeit, wurde
später die Legion aufgelöst. Man soll nachher den Marquis dadurch chicanirt
haben, daß man ihm die angekommenen telegraphischen Depeschen 10 bis
12 Stunden lang vorenthielt. Auch zwischen den Legionären und den Cara-
binieri, die meist aus Deutschen bestanden, war es in Folge der Nachrichten
von den deutschen Siegen zu Kämpfen gekommen, wobei 120 Mann ver¬
wundet wurden, von denen mehrere im Militär-Hospital starben.

Als nicht mehr daran gezweifelt werden konnte, daß der Vormarsch der
italienischen Truppen in das römische Gebiet erfolgen werde, ertheilte der
Kriegsminister den außerhalb Roms befindlichen Truppen den Befehl, sich in
Marschbereitschaft zu halten, um auf telegraphische Weisung sich sogleich nach
Rom verfügen zu können. Patrouillen von Infanterie und Cavallerie. die
nach der Grenze entsendet waren, hatten berichtet, daß in der That- die meisten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/323>, abgerufen am 28.09.2024.