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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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fordert die Regierung die Befugniß für das Verbot der Pferdeausfuhr/' Natür¬
lich legten solche Rüstungen dem ausgesogenen Lande, das ohnedies mit Schul¬
den belastet war, große Opfer auf. Man wurde mißtrauisch und meinte, die
Regierung dürfe sich der Pflicht nicht entziehen, klaren Aufschluß über die Zwecke
zu geben, zu denen sie die Rüstungen zu verwenden gedenke. Man inter-
pellirte sie wegen der Neutralität und in Betreff ihres Verhältnisses zu Preußen,
das nicht als das freundlichste erschien, nachdem in dem offenen Briefwechsel
zwischen Theodor Mommsen und Terenzo Mammiani von dem Letzteren
Aeußerungen ausgesprochen worden waren, die man für übereinstimmend mit
den Meinungen des italienischen Ministeriums hielt. Mommsen constatirte
Deutschlands Sympathie für Italien und rieth zur Neutralität Italiens; der
Kampf könne sonst zum Nacenknege zwischen den lateinischen und germanischen
Völkern ausarten. Er erinnerte an die internationalen Sünden Napoleons
und schloß mit den Worten: "Deutschland strebe nicht nach dem, was Ita¬
lien rechtlich gebührt. Die Niederlage Napoleons befreie Italien vom fran¬
zösischen Joche und sichere dessen Bestand, so wie dessen Freiheit." Mam¬
miani warf den Deutschen Gelüste nach der Minciogrenze vor und behauptete,
ein einiges großes Deutschland sei eine fortwährende Drohung gegen Italien,
weil -- im Jahre 1848 einmal bei der östreichischen Partei im deutschen Par¬
lament diese Idee aufgetaucht und zur Sprache gebracht worden war, welche
damals wenig Anklang fand, heute wohl keinen Anhänger in Deutschland
mehr haben wird. Für die Sympathien Italiens zu Frankreich gibt er als
Grund die Dienste an, welche ihm dieses geleistet, ohne zu bedenken, daß
nicht Frankreich den Italienern den Dienst geleistet, sondern Napoleon, der sich
dafür auf die verschiedenste Weise bezahlt gemacht hat und noch mehr machen
wollte. -- Natürlich war, daß man die italienische Regierung einverstanden
mit solchen Gedanken hielt, als sie ihre Rüstungen ausdehnte und den Credit
von 40 Millionen verlangte. Andrerseits konnte man nicht annehmen, daß
Italien jetzt noch eine directe Hülfe Frankreich zu leisten beabsichtige, da die
Bemühungen des Prinzen Napoleon, der bei Zeiten dem feindlichen Feuer
entronnen war, so gut als gescheitert angesehen werden konnten. Nur dar¬
über schien man ein Auge zuzudrücken, daß die italienischen Waffenfabriken in
Turin und Brescia Gewehrlieferungen für Frankreich ausführten, wie dies ja
von England und auch von Oestreich geschah. Die Sendungen aus letzterem
wurden freilich in Chur mit Beschlag belegt. Aber man sah doch den guten
Willen.

In vielen Städten des Landes hatte die Agitation zugenommen. Jetzt
werden Volksversammlungen veranstaltet, um die Regierung zur Occupation
Roms zu drängen, und dieselbe zeigt sich nun um so geneigter, dem Drängen
nachzugeben, je mehr die Nachrichten "aus Frankreich eine vollständige Amte-


fordert die Regierung die Befugniß für das Verbot der Pferdeausfuhr/' Natür¬
lich legten solche Rüstungen dem ausgesogenen Lande, das ohnedies mit Schul¬
den belastet war, große Opfer auf. Man wurde mißtrauisch und meinte, die
Regierung dürfe sich der Pflicht nicht entziehen, klaren Aufschluß über die Zwecke
zu geben, zu denen sie die Rüstungen zu verwenden gedenke. Man inter-
pellirte sie wegen der Neutralität und in Betreff ihres Verhältnisses zu Preußen,
das nicht als das freundlichste erschien, nachdem in dem offenen Briefwechsel
zwischen Theodor Mommsen und Terenzo Mammiani von dem Letzteren
Aeußerungen ausgesprochen worden waren, die man für übereinstimmend mit
den Meinungen des italienischen Ministeriums hielt. Mommsen constatirte
Deutschlands Sympathie für Italien und rieth zur Neutralität Italiens; der
Kampf könne sonst zum Nacenknege zwischen den lateinischen und germanischen
Völkern ausarten. Er erinnerte an die internationalen Sünden Napoleons
und schloß mit den Worten: „Deutschland strebe nicht nach dem, was Ita¬
lien rechtlich gebührt. Die Niederlage Napoleons befreie Italien vom fran¬
zösischen Joche und sichere dessen Bestand, so wie dessen Freiheit." Mam¬
miani warf den Deutschen Gelüste nach der Minciogrenze vor und behauptete,
ein einiges großes Deutschland sei eine fortwährende Drohung gegen Italien,
weil — im Jahre 1848 einmal bei der östreichischen Partei im deutschen Par¬
lament diese Idee aufgetaucht und zur Sprache gebracht worden war, welche
damals wenig Anklang fand, heute wohl keinen Anhänger in Deutschland
mehr haben wird. Für die Sympathien Italiens zu Frankreich gibt er als
Grund die Dienste an, welche ihm dieses geleistet, ohne zu bedenken, daß
nicht Frankreich den Italienern den Dienst geleistet, sondern Napoleon, der sich
dafür auf die verschiedenste Weise bezahlt gemacht hat und noch mehr machen
wollte. — Natürlich war, daß man die italienische Regierung einverstanden
mit solchen Gedanken hielt, als sie ihre Rüstungen ausdehnte und den Credit
von 40 Millionen verlangte. Andrerseits konnte man nicht annehmen, daß
Italien jetzt noch eine directe Hülfe Frankreich zu leisten beabsichtige, da die
Bemühungen des Prinzen Napoleon, der bei Zeiten dem feindlichen Feuer
entronnen war, so gut als gescheitert angesehen werden konnten. Nur dar¬
über schien man ein Auge zuzudrücken, daß die italienischen Waffenfabriken in
Turin und Brescia Gewehrlieferungen für Frankreich ausführten, wie dies ja
von England und auch von Oestreich geschah. Die Sendungen aus letzterem
wurden freilich in Chur mit Beschlag belegt. Aber man sah doch den guten
Willen.

In vielen Städten des Landes hatte die Agitation zugenommen. Jetzt
werden Volksversammlungen veranstaltet, um die Regierung zur Occupation
Roms zu drängen, und dieselbe zeigt sich nun um so geneigter, dem Drängen
nachzugeben, je mehr die Nachrichten "aus Frankreich eine vollständige Amte-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/320>, abgerufen am 28.09.2024.