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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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unter anderm, es wäre die schlechteste Politik, die gegenwärtige Lage zu be¬
nutzen, um selbst nur indirect an Gewaltsamkeiten von Seiten Italiens in
der römischen Frage glauben zu lassen. Das Ministerium erhielt nach langer
Debatte ein Vertrauensvotum mit 181 gegen 103 Stimmen. Aber die Inter¬
pellationen wiederholten sich nach wenigen Tagen. Am 31. Juli kritisirte
Laporta das Vorgehen der Regierung, indem er ausführte, sie hätte die Sep¬
tember-Convention, welche von Frankreich verletzt wurde, und deren Auf¬
rechterhaltung innere Unruhen verursachen könne, kündigen sollen. Lanza er¬
widert, eine solche Politik würde die von ganz Italien gewünschte Räumung
der römischen Staaten gehindert haben und wäre unwürdig, weil sie Frank¬
reich in dem Augenblicke, wo dieses einen Krieg eingeht, Verlegenheiten be¬
reiten würde. Die Regierung fürchte nicht die angedrohten Unruhen, die,
von welcher Seite sie auch kämen, unterdrückt werden würden. Im Senate
erklärte, auf eine Jnterpellation Scialoja's, Venosta, daß Frankreich freiwillig
zur September-Convention zurückgekehrt sei. Italien stimme diesem Ent¬
schlüsse bei. Gewalt könne eine moralische Frage, wie die römische sei, nicht
lösen. Die Regierung gestatte Niemandem, ihre Intention bei dieser Lösung
vorwegzunehmen. Offenbar glaubte die Negierung noch ein siegreiches Vor¬
rücken Frankreichs gegen Deutschland befürchten zu müssen. Auf Grund die¬
ser Annahme wurde folgender Depeschenwechsel zwischen den Kabinetten von
Paris und Florenz geführt:

"Der französische Minister der auswärtigen Angelegenheiten an den fran¬
zösischen Gesandten in Florenz. Paris, 2. August 1870. Herr Baron! Als
die Ereignisse von 1867 die französischen Truppen, welche im vorhergehenden
Jahre aus den römischen Staaten zurückgezogen worden waren, neuerdings
dahin führten, machte die kaiserl. Regierung kund, daß ihr Zweck nicht der
sei, sich von der Convention vom 15. September 1864 loszumachen. Frank¬
reich intervenirte, um den in diesem Vertrage zu Gunsten des si. Stuhls
stipulirten Schutz herzustellen, erklärte aber zugleich, daß es sich durchaus
nicht als von den mit Italien eingegangenen Verbindlichkeiten gelöst be¬
trachte. Das Cabinet von Florenz hat seinerseits nie die Gültigkeit der
dasselbe uns gegenüber bindenden Verpflichtungen bestritten. Die Erklärungen,
die es uns zukommen ließ, die würdige Sprache, welche letzthin im italieni¬
schen Parlament geführt ward, sind uns dafür Bürgen. Wir haben daher
die Truppen zurückberufen, welche wir bisher in Civita Vecchia belassen hatten.
Die beiden Mächte finden sich also zurückversetzt auf den Boden der sey--
temberconvention, in Kraft deren Italien sich verpflichtet hat, das päpstliche
Gebiet nicht anzugreifen und nöthigenfalls gegen jeden Angriff zu verthei¬
digen. Indem die beiden Cabinette die verschiedenen Bestimmungen dieses Ver¬
trages wieder in Kraft setzen, ertheilen sie demselben eine neue Bestätigung,


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unter anderm, es wäre die schlechteste Politik, die gegenwärtige Lage zu be¬
nutzen, um selbst nur indirect an Gewaltsamkeiten von Seiten Italiens in
der römischen Frage glauben zu lassen. Das Ministerium erhielt nach langer
Debatte ein Vertrauensvotum mit 181 gegen 103 Stimmen. Aber die Inter¬
pellationen wiederholten sich nach wenigen Tagen. Am 31. Juli kritisirte
Laporta das Vorgehen der Regierung, indem er ausführte, sie hätte die Sep¬
tember-Convention, welche von Frankreich verletzt wurde, und deren Auf¬
rechterhaltung innere Unruhen verursachen könne, kündigen sollen. Lanza er¬
widert, eine solche Politik würde die von ganz Italien gewünschte Räumung
der römischen Staaten gehindert haben und wäre unwürdig, weil sie Frank¬
reich in dem Augenblicke, wo dieses einen Krieg eingeht, Verlegenheiten be¬
reiten würde. Die Regierung fürchte nicht die angedrohten Unruhen, die,
von welcher Seite sie auch kämen, unterdrückt werden würden. Im Senate
erklärte, auf eine Jnterpellation Scialoja's, Venosta, daß Frankreich freiwillig
zur September-Convention zurückgekehrt sei. Italien stimme diesem Ent¬
schlüsse bei. Gewalt könne eine moralische Frage, wie die römische sei, nicht
lösen. Die Regierung gestatte Niemandem, ihre Intention bei dieser Lösung
vorwegzunehmen. Offenbar glaubte die Negierung noch ein siegreiches Vor¬
rücken Frankreichs gegen Deutschland befürchten zu müssen. Auf Grund die¬
ser Annahme wurde folgender Depeschenwechsel zwischen den Kabinetten von
Paris und Florenz geführt:

„Der französische Minister der auswärtigen Angelegenheiten an den fran¬
zösischen Gesandten in Florenz. Paris, 2. August 1870. Herr Baron! Als
die Ereignisse von 1867 die französischen Truppen, welche im vorhergehenden
Jahre aus den römischen Staaten zurückgezogen worden waren, neuerdings
dahin führten, machte die kaiserl. Regierung kund, daß ihr Zweck nicht der
sei, sich von der Convention vom 15. September 1864 loszumachen. Frank¬
reich intervenirte, um den in diesem Vertrage zu Gunsten des si. Stuhls
stipulirten Schutz herzustellen, erklärte aber zugleich, daß es sich durchaus
nicht als von den mit Italien eingegangenen Verbindlichkeiten gelöst be¬
trachte. Das Cabinet von Florenz hat seinerseits nie die Gültigkeit der
dasselbe uns gegenüber bindenden Verpflichtungen bestritten. Die Erklärungen,
die es uns zukommen ließ, die würdige Sprache, welche letzthin im italieni¬
schen Parlament geführt ward, sind uns dafür Bürgen. Wir haben daher
die Truppen zurückberufen, welche wir bisher in Civita Vecchia belassen hatten.
Die beiden Mächte finden sich also zurückversetzt auf den Boden der sey--
temberconvention, in Kraft deren Italien sich verpflichtet hat, das päpstliche
Gebiet nicht anzugreifen und nöthigenfalls gegen jeden Angriff zu verthei¬
digen. Indem die beiden Cabinette die verschiedenen Bestimmungen dieses Ver¬
trages wieder in Kraft setzen, ertheilen sie demselben eine neue Bestätigung,


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[0317] unter anderm, es wäre die schlechteste Politik, die gegenwärtige Lage zu be¬ nutzen, um selbst nur indirect an Gewaltsamkeiten von Seiten Italiens in der römischen Frage glauben zu lassen. Das Ministerium erhielt nach langer Debatte ein Vertrauensvotum mit 181 gegen 103 Stimmen. Aber die Inter¬ pellationen wiederholten sich nach wenigen Tagen. Am 31. Juli kritisirte Laporta das Vorgehen der Regierung, indem er ausführte, sie hätte die Sep¬ tember-Convention, welche von Frankreich verletzt wurde, und deren Auf¬ rechterhaltung innere Unruhen verursachen könne, kündigen sollen. Lanza er¬ widert, eine solche Politik würde die von ganz Italien gewünschte Räumung der römischen Staaten gehindert haben und wäre unwürdig, weil sie Frank¬ reich in dem Augenblicke, wo dieses einen Krieg eingeht, Verlegenheiten be¬ reiten würde. Die Regierung fürchte nicht die angedrohten Unruhen, die, von welcher Seite sie auch kämen, unterdrückt werden würden. Im Senate erklärte, auf eine Jnterpellation Scialoja's, Venosta, daß Frankreich freiwillig zur September-Convention zurückgekehrt sei. Italien stimme diesem Ent¬ schlüsse bei. Gewalt könne eine moralische Frage, wie die römische sei, nicht lösen. Die Regierung gestatte Niemandem, ihre Intention bei dieser Lösung vorwegzunehmen. Offenbar glaubte die Negierung noch ein siegreiches Vor¬ rücken Frankreichs gegen Deutschland befürchten zu müssen. Auf Grund die¬ ser Annahme wurde folgender Depeschenwechsel zwischen den Kabinetten von Paris und Florenz geführt: „Der französische Minister der auswärtigen Angelegenheiten an den fran¬ zösischen Gesandten in Florenz. Paris, 2. August 1870. Herr Baron! Als die Ereignisse von 1867 die französischen Truppen, welche im vorhergehenden Jahre aus den römischen Staaten zurückgezogen worden waren, neuerdings dahin führten, machte die kaiserl. Regierung kund, daß ihr Zweck nicht der sei, sich von der Convention vom 15. September 1864 loszumachen. Frank¬ reich intervenirte, um den in diesem Vertrage zu Gunsten des si. Stuhls stipulirten Schutz herzustellen, erklärte aber zugleich, daß es sich durchaus nicht als von den mit Italien eingegangenen Verbindlichkeiten gelöst be¬ trachte. Das Cabinet von Florenz hat seinerseits nie die Gültigkeit der dasselbe uns gegenüber bindenden Verpflichtungen bestritten. Die Erklärungen, die es uns zukommen ließ, die würdige Sprache, welche letzthin im italieni¬ schen Parlament geführt ward, sind uns dafür Bürgen. Wir haben daher die Truppen zurückberufen, welche wir bisher in Civita Vecchia belassen hatten. Die beiden Mächte finden sich also zurückversetzt auf den Boden der sey-- temberconvention, in Kraft deren Italien sich verpflichtet hat, das päpstliche Gebiet nicht anzugreifen und nöthigenfalls gegen jeden Angriff zu verthei¬ digen. Indem die beiden Cabinette die verschiedenen Bestimmungen dieses Ver¬ trages wieder in Kraft setzen, ertheilen sie demselben eine neue Bestätigung, Greiijlwten I. 1»7l. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/317>, abgerufen am 29.06.2024.