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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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und allgemeinen Gesetzen der Staaten festgesetzten Strafen verwirken." Cha¬
rakteristisch ist, daß an vielen Orten im Volke diese Erklärung mit Mißtrauen
ausgenommen wurde. Dasselbe hat sich in Florenz selbst, sowie in Turin.
Genua, Palermo, Piacenza durch Volksdemonstrationen kund gegeben; in
Mailand wurden sehr ernste Ruhestörungen daraus. Bald ließ sich auch Frate
Pantaleo sehen, um den Pöbel mit Jnvectiven gegen die Regierung/ die
Verfassung, den König und den Kaiser Napoleon aufzustacheln. Eine von
der Polizei aufgelöste Versammlung rottete sich bald wieder zusammen, trug
den Mönch wie im Triumphe umher, und vergrößerte sich bald durch einen
Zuzug von Arbeitern, die mit Flinten und Bayonnetten bewaffnet waren.
Ein wiederholter Versuch, die geschlossenen Läden mehrerer Waffenhändler mit
Gewalt zu öffnen, wurde von der öffentlichen Macht vereitelt. Erst nach
mehreren Stunden war die Ruhe wieder hergestellt.

Auch in der Kammer schien Mißtrauen vorzuwalten. Mehrfache Anträge
auf Discussion der Frage gab es, und heftige Scenen, sogar Tumulte, worauf
die Linke ihre Plätze verließ. Je weniger dort Auskunft ertheilt wurde, welche
befriedigte, desto mehr wucherten die verschiedenartigsten Gerüchte, welche oft
die entgegengesetzten Behauptungen enthielten. Den meisten Glauben fand
das Gerücht von der Abreise des ehemaligen italienischen Gesandten in Baden,
Cavaliere Artom, nach Wien in Sachen einer Tripelallianz mit Oestreich und
England. Es war auch nicht ganz unbegründet. Unterhandlungen sind lange
geführt worden, doch führten sie nur dazu, daß die drei Mächte gegenseitig sich
verpflichteten, aufmerksame, aber ganz unbetheiligte Zuschauer bei dem deutsch¬
französischen Kriege zu bleiben, nach keiner Seite hin Partei zu nehmen und
den ersten passenden Moment zu benutzen, mit vereinten Bemühungen den
Frieden zu vermitteln. Eine Consequenz dieser Friedensliga wäre gewesen,
daß, wenn eine dieser Mächte gewaltsam provocirt würde und zum Kampfe
gezwungen werden sollte, die beiden andern sich auf ihre Seite stellen müßten.
Die italienische Regierung legte großen Werth darauf, und sie hatte den Mann
zu den Verhandlungen gewählt, von welchem einst Cavour sagte, daß wenn
er in einer Angelegenheit am Erfolge verzweifle, er sie ihm, dem Eavaliere
Artom. in die Hände gebe, um sie zu einem glücklichen Resultat zu führen.
Bald nachher legte der Finanzminister Sella einen Gesetzentwurf vor, betreffend
einen außerordentlichen Credit von 15 Millionen für das Kriegsbudget und
1 Million für das Marinebudget. Visconti Venosta antwortete auf einige
Fragen Nicoteras über die auswärtige Politik, daß Italien eben so wie an¬
dere Mächte, welche systematisch bei europäischen Fragen nicht unbetheiligt
bleiben können, genau seine Neutralitätspflichten erfülle, und sich seine Activns-
Freiheit wahre, indem es darüber wache, daß seine Interessen niemals com-
promittirt würden. In Bezug auf die römische Frage sagt Visconti Venosta


und allgemeinen Gesetzen der Staaten festgesetzten Strafen verwirken." Cha¬
rakteristisch ist, daß an vielen Orten im Volke diese Erklärung mit Mißtrauen
ausgenommen wurde. Dasselbe hat sich in Florenz selbst, sowie in Turin.
Genua, Palermo, Piacenza durch Volksdemonstrationen kund gegeben; in
Mailand wurden sehr ernste Ruhestörungen daraus. Bald ließ sich auch Frate
Pantaleo sehen, um den Pöbel mit Jnvectiven gegen die Regierung/ die
Verfassung, den König und den Kaiser Napoleon aufzustacheln. Eine von
der Polizei aufgelöste Versammlung rottete sich bald wieder zusammen, trug
den Mönch wie im Triumphe umher, und vergrößerte sich bald durch einen
Zuzug von Arbeitern, die mit Flinten und Bayonnetten bewaffnet waren.
Ein wiederholter Versuch, die geschlossenen Läden mehrerer Waffenhändler mit
Gewalt zu öffnen, wurde von der öffentlichen Macht vereitelt. Erst nach
mehreren Stunden war die Ruhe wieder hergestellt.

Auch in der Kammer schien Mißtrauen vorzuwalten. Mehrfache Anträge
auf Discussion der Frage gab es, und heftige Scenen, sogar Tumulte, worauf
die Linke ihre Plätze verließ. Je weniger dort Auskunft ertheilt wurde, welche
befriedigte, desto mehr wucherten die verschiedenartigsten Gerüchte, welche oft
die entgegengesetzten Behauptungen enthielten. Den meisten Glauben fand
das Gerücht von der Abreise des ehemaligen italienischen Gesandten in Baden,
Cavaliere Artom, nach Wien in Sachen einer Tripelallianz mit Oestreich und
England. Es war auch nicht ganz unbegründet. Unterhandlungen sind lange
geführt worden, doch führten sie nur dazu, daß die drei Mächte gegenseitig sich
verpflichteten, aufmerksame, aber ganz unbetheiligte Zuschauer bei dem deutsch¬
französischen Kriege zu bleiben, nach keiner Seite hin Partei zu nehmen und
den ersten passenden Moment zu benutzen, mit vereinten Bemühungen den
Frieden zu vermitteln. Eine Consequenz dieser Friedensliga wäre gewesen,
daß, wenn eine dieser Mächte gewaltsam provocirt würde und zum Kampfe
gezwungen werden sollte, die beiden andern sich auf ihre Seite stellen müßten.
Die italienische Regierung legte großen Werth darauf, und sie hatte den Mann
zu den Verhandlungen gewählt, von welchem einst Cavour sagte, daß wenn
er in einer Angelegenheit am Erfolge verzweifle, er sie ihm, dem Eavaliere
Artom. in die Hände gebe, um sie zu einem glücklichen Resultat zu führen.
Bald nachher legte der Finanzminister Sella einen Gesetzentwurf vor, betreffend
einen außerordentlichen Credit von 15 Millionen für das Kriegsbudget und
1 Million für das Marinebudget. Visconti Venosta antwortete auf einige
Fragen Nicoteras über die auswärtige Politik, daß Italien eben so wie an¬
dere Mächte, welche systematisch bei europäischen Fragen nicht unbetheiligt
bleiben können, genau seine Neutralitätspflichten erfülle, und sich seine Activns-
Freiheit wahre, indem es darüber wache, daß seine Interessen niemals com-
promittirt würden. In Bezug auf die römische Frage sagt Visconti Venosta


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[0316] und allgemeinen Gesetzen der Staaten festgesetzten Strafen verwirken." Cha¬ rakteristisch ist, daß an vielen Orten im Volke diese Erklärung mit Mißtrauen ausgenommen wurde. Dasselbe hat sich in Florenz selbst, sowie in Turin. Genua, Palermo, Piacenza durch Volksdemonstrationen kund gegeben; in Mailand wurden sehr ernste Ruhestörungen daraus. Bald ließ sich auch Frate Pantaleo sehen, um den Pöbel mit Jnvectiven gegen die Regierung/ die Verfassung, den König und den Kaiser Napoleon aufzustacheln. Eine von der Polizei aufgelöste Versammlung rottete sich bald wieder zusammen, trug den Mönch wie im Triumphe umher, und vergrößerte sich bald durch einen Zuzug von Arbeitern, die mit Flinten und Bayonnetten bewaffnet waren. Ein wiederholter Versuch, die geschlossenen Läden mehrerer Waffenhändler mit Gewalt zu öffnen, wurde von der öffentlichen Macht vereitelt. Erst nach mehreren Stunden war die Ruhe wieder hergestellt. Auch in der Kammer schien Mißtrauen vorzuwalten. Mehrfache Anträge auf Discussion der Frage gab es, und heftige Scenen, sogar Tumulte, worauf die Linke ihre Plätze verließ. Je weniger dort Auskunft ertheilt wurde, welche befriedigte, desto mehr wucherten die verschiedenartigsten Gerüchte, welche oft die entgegengesetzten Behauptungen enthielten. Den meisten Glauben fand das Gerücht von der Abreise des ehemaligen italienischen Gesandten in Baden, Cavaliere Artom, nach Wien in Sachen einer Tripelallianz mit Oestreich und England. Es war auch nicht ganz unbegründet. Unterhandlungen sind lange geführt worden, doch führten sie nur dazu, daß die drei Mächte gegenseitig sich verpflichteten, aufmerksame, aber ganz unbetheiligte Zuschauer bei dem deutsch¬ französischen Kriege zu bleiben, nach keiner Seite hin Partei zu nehmen und den ersten passenden Moment zu benutzen, mit vereinten Bemühungen den Frieden zu vermitteln. Eine Consequenz dieser Friedensliga wäre gewesen, daß, wenn eine dieser Mächte gewaltsam provocirt würde und zum Kampfe gezwungen werden sollte, die beiden andern sich auf ihre Seite stellen müßten. Die italienische Regierung legte großen Werth darauf, und sie hatte den Mann zu den Verhandlungen gewählt, von welchem einst Cavour sagte, daß wenn er in einer Angelegenheit am Erfolge verzweifle, er sie ihm, dem Eavaliere Artom. in die Hände gebe, um sie zu einem glücklichen Resultat zu führen. Bald nachher legte der Finanzminister Sella einen Gesetzentwurf vor, betreffend einen außerordentlichen Credit von 15 Millionen für das Kriegsbudget und 1 Million für das Marinebudget. Visconti Venosta antwortete auf einige Fragen Nicoteras über die auswärtige Politik, daß Italien eben so wie an¬ dere Mächte, welche systematisch bei europäischen Fragen nicht unbetheiligt bleiben können, genau seine Neutralitätspflichten erfülle, und sich seine Activns- Freiheit wahre, indem es darüber wache, daß seine Interessen niemals com- promittirt würden. In Bezug auf die römische Frage sagt Visconti Venosta

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/316>, abgerufen am 28.09.2024.