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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wenig, und selbst die Fürsten des Volkes scheinen mehr den Schlachtengott,
als den milden Gabenspender in dem Heiligen anerkannt zu haben. -- Wenn
die Merowingischen Könige in die Schlacht ziehen wollten, so beteten sie zu¬
nächst am Grabe des heiligen Martin um Sieg, und dann wurde sein Mantel
aus der Kapelle geholt und dem Heere vorgetragen, sodaß Martin Fahnen¬
heiliger ist, wie Michael. Dieser aber für die himmlischen Heerschaaren,
jener für die irdischen.

Der kriegerische Charakter Martins stand also von Alters fest. Nun
kann sich der Deutsche einen Reitersmann ohne eine wackre Kriegsgurgel
gar nicht denken, und da man just um Martini den ersten neuen Wein trinkt,
von dem man einst dem erntespendenden Wodan den ersten Becher geweiht,
seine "Minne", sein Andenken getrunken hatte, so trank man jetzo "Martins¬
minne", und das launige Sprichwort jubelte: "Heb an Martini! Trink Wein
s.Ä circulum anni!" Aber wie einst bei den Wodansfesten, so trinkt sich noch
heut das Volk in manchen Gegenden (z. B. im Böhmerwalde) am Martins¬
tage "Schönheit und Stärke" zu. -- In seinen Göttern spiegelt sich der
Mensch! Daher kam Se. Martin bei den Deutschen gar bald in den Ruf
eines Zechers; wer sein Gut verpraßte und vertrank, wurde ein "Martins¬
mann" gescholten; ja selbst die Freiwilligkeit der Mantelgabe, des Fort-
schenkens der Tunika des Heiligen, wurde nun schelmisch in Zweifel gezogen,
und das Volkslied sang:


"Se. Martin war ein milder Mann,
Trank gerne Ccrcvisiam
Und hatt' doch keinen Pekuniam
Drum mußt er lassen Tunikam!"

Denn so große Milde, wie die der Martinslegende, bleibt ja nun einmal
den meisten Menschen unverständlich, und von ihren Gaben gilt nur allzuoft
das traurige Sprichwort: "Du heiliger Se. Martin! sie opfern Dir einen
Pfennig und stehlen Dir ein Pferd!"*)

Der Martins tag, der 11. November, gilt an vielen Orten auch für
Winter-Anfang und wird durch hellleuchtende Festfeuer verherrlicht").
Wenn's um Martini schneit, sagt man in Schlesien: "Der Marten kommt
auf seinem Schimmel geritten;" wie am Georgstag werden auch zu Martini
vielerorts (namentlich in der Oberpfalz) die Rosse um eine Martinskapelle ge¬
führt und vom Priester gesegnet, und sehr häusig stellt man den Heiligen




"Heiliger Se. Martin! Dies lebendige Opfer geb ich Dir!" sprach die Frau, als ihr
der Falk das Huhn entführte. -- Man vergleiche hiermit auch die an die Martinssage an¬
klingende Anekdote von Münchhausen, der einem nackten Bettler seinen Mantel vom Pferde
herab wirft und dem dafür eine Stimme von Oben zürnst: "Hol mich der Teufel, mein
Sohn, das soll Dir nicht unvergolten bleiben!"
""
) Die Asche dieser "Märtenssener, auf die Felder gestreut, sott sie vor Schneckensraß
fehl'che".
Grenzboten I. 187t. 39

wenig, und selbst die Fürsten des Volkes scheinen mehr den Schlachtengott,
als den milden Gabenspender in dem Heiligen anerkannt zu haben. — Wenn
die Merowingischen Könige in die Schlacht ziehen wollten, so beteten sie zu¬
nächst am Grabe des heiligen Martin um Sieg, und dann wurde sein Mantel
aus der Kapelle geholt und dem Heere vorgetragen, sodaß Martin Fahnen¬
heiliger ist, wie Michael. Dieser aber für die himmlischen Heerschaaren,
jener für die irdischen.

Der kriegerische Charakter Martins stand also von Alters fest. Nun
kann sich der Deutsche einen Reitersmann ohne eine wackre Kriegsgurgel
gar nicht denken, und da man just um Martini den ersten neuen Wein trinkt,
von dem man einst dem erntespendenden Wodan den ersten Becher geweiht,
seine „Minne", sein Andenken getrunken hatte, so trank man jetzo „Martins¬
minne", und das launige Sprichwort jubelte: „Heb an Martini! Trink Wein
s.Ä circulum anni!" Aber wie einst bei den Wodansfesten, so trinkt sich noch
heut das Volk in manchen Gegenden (z. B. im Böhmerwalde) am Martins¬
tage „Schönheit und Stärke" zu. — In seinen Göttern spiegelt sich der
Mensch! Daher kam Se. Martin bei den Deutschen gar bald in den Ruf
eines Zechers; wer sein Gut verpraßte und vertrank, wurde ein „Martins¬
mann" gescholten; ja selbst die Freiwilligkeit der Mantelgabe, des Fort-
schenkens der Tunika des Heiligen, wurde nun schelmisch in Zweifel gezogen,
und das Volkslied sang:


„Se. Martin war ein milder Mann,
Trank gerne Ccrcvisiam
Und hatt' doch keinen Pekuniam
Drum mußt er lassen Tunikam!"

Denn so große Milde, wie die der Martinslegende, bleibt ja nun einmal
den meisten Menschen unverständlich, und von ihren Gaben gilt nur allzuoft
das traurige Sprichwort: „Du heiliger Se. Martin! sie opfern Dir einen
Pfennig und stehlen Dir ein Pferd!"*)

Der Martins tag, der 11. November, gilt an vielen Orten auch für
Winter-Anfang und wird durch hellleuchtende Festfeuer verherrlicht").
Wenn's um Martini schneit, sagt man in Schlesien: „Der Marten kommt
auf seinem Schimmel geritten;" wie am Georgstag werden auch zu Martini
vielerorts (namentlich in der Oberpfalz) die Rosse um eine Martinskapelle ge¬
führt und vom Priester gesegnet, und sehr häusig stellt man den Heiligen




„Heiliger Se. Martin! Dies lebendige Opfer geb ich Dir!" sprach die Frau, als ihr
der Falk das Huhn entführte. — Man vergleiche hiermit auch die an die Martinssage an¬
klingende Anekdote von Münchhausen, der einem nackten Bettler seinen Mantel vom Pferde
herab wirft und dem dafür eine Stimme von Oben zürnst: „Hol mich der Teufel, mein
Sohn, das soll Dir nicht unvergolten bleiben!"
""
) Die Asche dieser „Märtenssener, auf die Felder gestreut, sott sie vor Schneckensraß
fehl'che».
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[0309] wenig, und selbst die Fürsten des Volkes scheinen mehr den Schlachtengott, als den milden Gabenspender in dem Heiligen anerkannt zu haben. — Wenn die Merowingischen Könige in die Schlacht ziehen wollten, so beteten sie zu¬ nächst am Grabe des heiligen Martin um Sieg, und dann wurde sein Mantel aus der Kapelle geholt und dem Heere vorgetragen, sodaß Martin Fahnen¬ heiliger ist, wie Michael. Dieser aber für die himmlischen Heerschaaren, jener für die irdischen. Der kriegerische Charakter Martins stand also von Alters fest. Nun kann sich der Deutsche einen Reitersmann ohne eine wackre Kriegsgurgel gar nicht denken, und da man just um Martini den ersten neuen Wein trinkt, von dem man einst dem erntespendenden Wodan den ersten Becher geweiht, seine „Minne", sein Andenken getrunken hatte, so trank man jetzo „Martins¬ minne", und das launige Sprichwort jubelte: „Heb an Martini! Trink Wein s.Ä circulum anni!" Aber wie einst bei den Wodansfesten, so trinkt sich noch heut das Volk in manchen Gegenden (z. B. im Böhmerwalde) am Martins¬ tage „Schönheit und Stärke" zu. — In seinen Göttern spiegelt sich der Mensch! Daher kam Se. Martin bei den Deutschen gar bald in den Ruf eines Zechers; wer sein Gut verpraßte und vertrank, wurde ein „Martins¬ mann" gescholten; ja selbst die Freiwilligkeit der Mantelgabe, des Fort- schenkens der Tunika des Heiligen, wurde nun schelmisch in Zweifel gezogen, und das Volkslied sang: „Se. Martin war ein milder Mann, Trank gerne Ccrcvisiam Und hatt' doch keinen Pekuniam Drum mußt er lassen Tunikam!" Denn so große Milde, wie die der Martinslegende, bleibt ja nun einmal den meisten Menschen unverständlich, und von ihren Gaben gilt nur allzuoft das traurige Sprichwort: „Du heiliger Se. Martin! sie opfern Dir einen Pfennig und stehlen Dir ein Pferd!"*) Der Martins tag, der 11. November, gilt an vielen Orten auch für Winter-Anfang und wird durch hellleuchtende Festfeuer verherrlicht"). Wenn's um Martini schneit, sagt man in Schlesien: „Der Marten kommt auf seinem Schimmel geritten;" wie am Georgstag werden auch zu Martini vielerorts (namentlich in der Oberpfalz) die Rosse um eine Martinskapelle ge¬ führt und vom Priester gesegnet, und sehr häusig stellt man den Heiligen „Heiliger Se. Martin! Dies lebendige Opfer geb ich Dir!" sprach die Frau, als ihr der Falk das Huhn entführte. — Man vergleiche hiermit auch die an die Martinssage an¬ klingende Anekdote von Münchhausen, der einem nackten Bettler seinen Mantel vom Pferde herab wirft und dem dafür eine Stimme von Oben zürnst: „Hol mich der Teufel, mein Sohn, das soll Dir nicht unvergolten bleiben!" "" ) Die Asche dieser „Märtenssener, auf die Felder gestreut, sott sie vor Schneckensraß fehl'che». Grenzboten I. 187t. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/309>, abgerufen am 28.09.2024.