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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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den Herbstheiligen eine zwar vornehme, aber doch nicht die erste Stelle ein¬
nimmt.

Tiefer als Se. Hubertus, ja tiefer noch als des Erzengels Michael er¬
habene Gestalt, hat sich vielmehr die des heiligen Martin in das Gemüth
des Volkes eingeprägt, das auch in ihm eine Form des altheimischen Wodan
liebt und verehrt. ^

Se. Martin gilt meist als der eigentliche Schutzheilige der Reiter. Das
Volksräthsel fragt: "Welches sind die vornehmsten Heiligen?" und
antwortet: "Se. Georg und Se. Martin, denn sie reiten, während
die andern zu Fuße gehn!" Die Legende, daß Se. Martin Krieger
gewesen, ist freilich sicherlich aus seinem Namen entsprungen, welcher "der
Ritterliche" bedeutet, und Martinus, der zuerst auf romanischem Boden
zu Hause war, ist dort nichts als ein christianifirter "Mars."

Wie Se. Georz in Franken, so wurde Se. Martin am Rhein, nament¬
lich in Mainz, als dessen Schutzheiliger er gilt, Patron eines ritter¬
lichen Bundes. Er hatte ja, der Legende nach, als wackerer Krieger unter
zwei römischen Kaisern gedient und wird stets zu Pferde dargestellt, wie
er seinen Mantel mit dem Schwerte zerschneidet, um ihn mit einem frierenden
Bettler zu theilen; er eignete sich also ganz vortrefflich zum Beschützer und
Vorbilde ritterlicher Hingebung und Selbstaufopferung.

Die Beziehungen zu Wodan liegen nah. Zunächst ist Wodan, wie
wir erwähnt haben, als Gott des Sturms auch Schlachtengott; und ein
Heiliger, der den Mars vertrat, konnte daher auch sehr wohl an seine
Stelle treten. Aber es gab auch noch feinere und nähere Beziehungen. Schon
die erwähnte Mantellegende mußte ja an den "Mantelträger", den'
"Hakelbärend" des alten Glaubens mahnen, und die Jdentificirung des "Rei¬
ters Martin" mit dem reitenden Wodan einleiten, der selber, vielen und
weitverbreiteten Mythen zufolge, auch seinen Mantel Bittenden als "Wunsch¬
mantel" verlieh").

Durch Gründung vieler Martinskirchen gewöhnte sich das Volk an die
Gleichstellung beider Gestalten, und manch alter Heidenglaube verlor sich in
die Legende. Noch jetzt werden die Krähen und Raben, Wodans weise
Vögel, welche fast allein noch im Herbste die Felder bevölkern, "Martins¬
vogel" und in demselben Athem "Godeshähner " genannt. Im Jahre
590 wurde "heidnischer Unfug" bei der Martinsfeier verboten; aber das half



5) Solch ein Wunschmantel ist z. B. der des Faust. Immer ist der Begriff zauber-
schnellcr Ortsveränderung mit ihm verbunden, ganz entsprechend der ursprünglichen mythischen
Bedeutung des Göttermantels als der umhüllenden und doch so schnell dahin eilenden
Wolken. "Ellende Wolken, Segler der Lüfte, wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!"

den Herbstheiligen eine zwar vornehme, aber doch nicht die erste Stelle ein¬
nimmt.

Tiefer als Se. Hubertus, ja tiefer noch als des Erzengels Michael er¬
habene Gestalt, hat sich vielmehr die des heiligen Martin in das Gemüth
des Volkes eingeprägt, das auch in ihm eine Form des altheimischen Wodan
liebt und verehrt. ^

Se. Martin gilt meist als der eigentliche Schutzheilige der Reiter. Das
Volksräthsel fragt: „Welches sind die vornehmsten Heiligen?" und
antwortet: „Se. Georg und Se. Martin, denn sie reiten, während
die andern zu Fuße gehn!" Die Legende, daß Se. Martin Krieger
gewesen, ist freilich sicherlich aus seinem Namen entsprungen, welcher „der
Ritterliche" bedeutet, und Martinus, der zuerst auf romanischem Boden
zu Hause war, ist dort nichts als ein christianifirter „Mars."

Wie Se. Georz in Franken, so wurde Se. Martin am Rhein, nament¬
lich in Mainz, als dessen Schutzheiliger er gilt, Patron eines ritter¬
lichen Bundes. Er hatte ja, der Legende nach, als wackerer Krieger unter
zwei römischen Kaisern gedient und wird stets zu Pferde dargestellt, wie
er seinen Mantel mit dem Schwerte zerschneidet, um ihn mit einem frierenden
Bettler zu theilen; er eignete sich also ganz vortrefflich zum Beschützer und
Vorbilde ritterlicher Hingebung und Selbstaufopferung.

Die Beziehungen zu Wodan liegen nah. Zunächst ist Wodan, wie
wir erwähnt haben, als Gott des Sturms auch Schlachtengott; und ein
Heiliger, der den Mars vertrat, konnte daher auch sehr wohl an seine
Stelle treten. Aber es gab auch noch feinere und nähere Beziehungen. Schon
die erwähnte Mantellegende mußte ja an den „Mantelträger", den'
„Hakelbärend" des alten Glaubens mahnen, und die Jdentificirung des „Rei¬
ters Martin" mit dem reitenden Wodan einleiten, der selber, vielen und
weitverbreiteten Mythen zufolge, auch seinen Mantel Bittenden als „Wunsch¬
mantel" verlieh").

Durch Gründung vieler Martinskirchen gewöhnte sich das Volk an die
Gleichstellung beider Gestalten, und manch alter Heidenglaube verlor sich in
die Legende. Noch jetzt werden die Krähen und Raben, Wodans weise
Vögel, welche fast allein noch im Herbste die Felder bevölkern, „Martins¬
vogel" und in demselben Athem „Godeshähner " genannt. Im Jahre
590 wurde „heidnischer Unfug" bei der Martinsfeier verboten; aber das half



5) Solch ein Wunschmantel ist z. B. der des Faust. Immer ist der Begriff zauber-
schnellcr Ortsveränderung mit ihm verbunden, ganz entsprechend der ursprünglichen mythischen
Bedeutung des Göttermantels als der umhüllenden und doch so schnell dahin eilenden
Wolken. „Ellende Wolken, Segler der Lüfte, wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!"
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[0308] den Herbstheiligen eine zwar vornehme, aber doch nicht die erste Stelle ein¬ nimmt. Tiefer als Se. Hubertus, ja tiefer noch als des Erzengels Michael er¬ habene Gestalt, hat sich vielmehr die des heiligen Martin in das Gemüth des Volkes eingeprägt, das auch in ihm eine Form des altheimischen Wodan liebt und verehrt. ^ Se. Martin gilt meist als der eigentliche Schutzheilige der Reiter. Das Volksräthsel fragt: „Welches sind die vornehmsten Heiligen?" und antwortet: „Se. Georg und Se. Martin, denn sie reiten, während die andern zu Fuße gehn!" Die Legende, daß Se. Martin Krieger gewesen, ist freilich sicherlich aus seinem Namen entsprungen, welcher „der Ritterliche" bedeutet, und Martinus, der zuerst auf romanischem Boden zu Hause war, ist dort nichts als ein christianifirter „Mars." Wie Se. Georz in Franken, so wurde Se. Martin am Rhein, nament¬ lich in Mainz, als dessen Schutzheiliger er gilt, Patron eines ritter¬ lichen Bundes. Er hatte ja, der Legende nach, als wackerer Krieger unter zwei römischen Kaisern gedient und wird stets zu Pferde dargestellt, wie er seinen Mantel mit dem Schwerte zerschneidet, um ihn mit einem frierenden Bettler zu theilen; er eignete sich also ganz vortrefflich zum Beschützer und Vorbilde ritterlicher Hingebung und Selbstaufopferung. Die Beziehungen zu Wodan liegen nah. Zunächst ist Wodan, wie wir erwähnt haben, als Gott des Sturms auch Schlachtengott; und ein Heiliger, der den Mars vertrat, konnte daher auch sehr wohl an seine Stelle treten. Aber es gab auch noch feinere und nähere Beziehungen. Schon die erwähnte Mantellegende mußte ja an den „Mantelträger", den' „Hakelbärend" des alten Glaubens mahnen, und die Jdentificirung des „Rei¬ ters Martin" mit dem reitenden Wodan einleiten, der selber, vielen und weitverbreiteten Mythen zufolge, auch seinen Mantel Bittenden als „Wunsch¬ mantel" verlieh"). Durch Gründung vieler Martinskirchen gewöhnte sich das Volk an die Gleichstellung beider Gestalten, und manch alter Heidenglaube verlor sich in die Legende. Noch jetzt werden die Krähen und Raben, Wodans weise Vögel, welche fast allein noch im Herbste die Felder bevölkern, „Martins¬ vogel" und in demselben Athem „Godeshähner " genannt. Im Jahre 590 wurde „heidnischer Unfug" bei der Martinsfeier verboten; aber das half 5) Solch ein Wunschmantel ist z. B. der des Faust. Immer ist der Begriff zauber- schnellcr Ortsveränderung mit ihm verbunden, ganz entsprechend der ursprünglichen mythischen Bedeutung des Göttermantels als der umhüllenden und doch so schnell dahin eilenden Wolken. „Ellende Wolken, Segler der Lüfte, wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/308>, abgerufen am 29.06.2024.