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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Die Noßkeule, welche der wilde Jäger wirst und die sich, wenn der
Wode gnädig gesinnt ist, zuweilen am anderen Morgen in Gold verwandelt,
ist zunächst wohl eine Erinnerung an die einst dem Wodan gebrachten Roß-
opfer, von denen natürlich auch die Opfernden ihr Theil beim Schmause
erhielten, um durch den Genuß des heiligen Mahls ihre mystische Bereinigung
mit dem Gotte darzustellen. Außerdem aber bedeutet jene herabstürzende
Keule, die immer stark "nach Schwefel" riecht, sowie der durch's Fenster sto¬
ßende Roßhuf jedenfalls den Blitz; und das Geschrei Wodans, das erschüt¬
ternde Gebrüll, das den Wurf begleitet, erklärt sich dadurch von selbst als
der Donner. -- Noch deutlicher aber erkennt man die Reste elementarer
Sturm- und Gewitterbilder, wenn man auch den Gegenstand der
Jagd ins Auge faßt. Dieser ist nämlich bald ein koboldartiges Wesen, das
"Blitzkerlchen", bald ein geisterhaftes nacktes Weib mit schneeweißen Brü¬
sten: die "Windsbraut", (d. h. der dem größeren Sturm vorauffahrende
Wirbel-Wind). Dieser Windsbraut setzt der wilde Jäger sieben Jahre nach
bis er sie ereilt und, quer über das Roß geworfen, heimbringt.

Deutlich tritt auch in Wodans Roß, in Sleipnir, die Vorstellung vom
Sturmrosse hervor, wenn es heißt, der wilde Jäger Pflege sein Pferd an
bestimmten Stellen zu füttern oder grasen zu lassen, und an solchen Orten
wehe ein fortwährender Wind, oder wenn man meint, daß das Wfehern
dieses Rosses Veränderung der Witterung vorhersage.

Es würde über die Gränzen unserer Abhandlung hinausführen, wenn wir
die Reihe mythischer und historischer Gestalten betrachten wollten, die sich an
den wilden Jäger lehnen. Der Samiel der Freischützsage, welcher auch auf
der modernsten Bühne nicht ohne gewaltigen Mantel und Breithut aufzu¬
treten wagen würde, der schon genannte deutsche Se. Hubertus, wie der
schottische Robim Hood (d. i. Ruprecht-Hutträger, also eine ganz genaue
Bezeichnung Wodans), ferner eine lange Reihe unersättlicher Jäger,
welche zur Strafe noch nach ihrem Tode weiter jagen müssen, und endlich
auch eine schöne Folge historischer Gestalten: Herodes und Artus, Karl
der Große und Karl der Quinte, ja sogar Gustav Adolph und der
alte Fritz, sowie viele andere weniger erlauchte Figuren -- sie erscheinen
sämmtlich bald in dieser, bald in jener Gegend als Führer der wilden Jagd,
und sind als solche allemal umgewandelte und getrübte Gestalten des düsteren
Gottes der Herbststürme, Wodans des Weltjägers.

Die Vorstellung von Wodan, als dem wilden Jäger, ist offenbar eine der
ältesten und rohesten, aber darum freilich auch handgreiflichsten und dauer¬
haftesten von diesem Gotte. Sie ist unabhängig geblieben von der Christia?
nisirung desselben in der Gestalt des heiligen Hubertus, der daher unter


Die Noßkeule, welche der wilde Jäger wirst und die sich, wenn der
Wode gnädig gesinnt ist, zuweilen am anderen Morgen in Gold verwandelt,
ist zunächst wohl eine Erinnerung an die einst dem Wodan gebrachten Roß-
opfer, von denen natürlich auch die Opfernden ihr Theil beim Schmause
erhielten, um durch den Genuß des heiligen Mahls ihre mystische Bereinigung
mit dem Gotte darzustellen. Außerdem aber bedeutet jene herabstürzende
Keule, die immer stark „nach Schwefel" riecht, sowie der durch's Fenster sto¬
ßende Roßhuf jedenfalls den Blitz; und das Geschrei Wodans, das erschüt¬
ternde Gebrüll, das den Wurf begleitet, erklärt sich dadurch von selbst als
der Donner. — Noch deutlicher aber erkennt man die Reste elementarer
Sturm- und Gewitterbilder, wenn man auch den Gegenstand der
Jagd ins Auge faßt. Dieser ist nämlich bald ein koboldartiges Wesen, das
„Blitzkerlchen", bald ein geisterhaftes nacktes Weib mit schneeweißen Brü¬
sten: die „Windsbraut", (d. h. der dem größeren Sturm vorauffahrende
Wirbel-Wind). Dieser Windsbraut setzt der wilde Jäger sieben Jahre nach
bis er sie ereilt und, quer über das Roß geworfen, heimbringt.

Deutlich tritt auch in Wodans Roß, in Sleipnir, die Vorstellung vom
Sturmrosse hervor, wenn es heißt, der wilde Jäger Pflege sein Pferd an
bestimmten Stellen zu füttern oder grasen zu lassen, und an solchen Orten
wehe ein fortwährender Wind, oder wenn man meint, daß das Wfehern
dieses Rosses Veränderung der Witterung vorhersage.

Es würde über die Gränzen unserer Abhandlung hinausführen, wenn wir
die Reihe mythischer und historischer Gestalten betrachten wollten, die sich an
den wilden Jäger lehnen. Der Samiel der Freischützsage, welcher auch auf
der modernsten Bühne nicht ohne gewaltigen Mantel und Breithut aufzu¬
treten wagen würde, der schon genannte deutsche Se. Hubertus, wie der
schottische Robim Hood (d. i. Ruprecht-Hutträger, also eine ganz genaue
Bezeichnung Wodans), ferner eine lange Reihe unersättlicher Jäger,
welche zur Strafe noch nach ihrem Tode weiter jagen müssen, und endlich
auch eine schöne Folge historischer Gestalten: Herodes und Artus, Karl
der Große und Karl der Quinte, ja sogar Gustav Adolph und der
alte Fritz, sowie viele andere weniger erlauchte Figuren — sie erscheinen
sämmtlich bald in dieser, bald in jener Gegend als Führer der wilden Jagd,
und sind als solche allemal umgewandelte und getrübte Gestalten des düsteren
Gottes der Herbststürme, Wodans des Weltjägers.

Die Vorstellung von Wodan, als dem wilden Jäger, ist offenbar eine der
ältesten und rohesten, aber darum freilich auch handgreiflichsten und dauer¬
haftesten von diesem Gotte. Sie ist unabhängig geblieben von der Christia?
nisirung desselben in der Gestalt des heiligen Hubertus, der daher unter


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[0307] Die Noßkeule, welche der wilde Jäger wirst und die sich, wenn der Wode gnädig gesinnt ist, zuweilen am anderen Morgen in Gold verwandelt, ist zunächst wohl eine Erinnerung an die einst dem Wodan gebrachten Roß- opfer, von denen natürlich auch die Opfernden ihr Theil beim Schmause erhielten, um durch den Genuß des heiligen Mahls ihre mystische Bereinigung mit dem Gotte darzustellen. Außerdem aber bedeutet jene herabstürzende Keule, die immer stark „nach Schwefel" riecht, sowie der durch's Fenster sto¬ ßende Roßhuf jedenfalls den Blitz; und das Geschrei Wodans, das erschüt¬ ternde Gebrüll, das den Wurf begleitet, erklärt sich dadurch von selbst als der Donner. — Noch deutlicher aber erkennt man die Reste elementarer Sturm- und Gewitterbilder, wenn man auch den Gegenstand der Jagd ins Auge faßt. Dieser ist nämlich bald ein koboldartiges Wesen, das „Blitzkerlchen", bald ein geisterhaftes nacktes Weib mit schneeweißen Brü¬ sten: die „Windsbraut", (d. h. der dem größeren Sturm vorauffahrende Wirbel-Wind). Dieser Windsbraut setzt der wilde Jäger sieben Jahre nach bis er sie ereilt und, quer über das Roß geworfen, heimbringt. Deutlich tritt auch in Wodans Roß, in Sleipnir, die Vorstellung vom Sturmrosse hervor, wenn es heißt, der wilde Jäger Pflege sein Pferd an bestimmten Stellen zu füttern oder grasen zu lassen, und an solchen Orten wehe ein fortwährender Wind, oder wenn man meint, daß das Wfehern dieses Rosses Veränderung der Witterung vorhersage. Es würde über die Gränzen unserer Abhandlung hinausführen, wenn wir die Reihe mythischer und historischer Gestalten betrachten wollten, die sich an den wilden Jäger lehnen. Der Samiel der Freischützsage, welcher auch auf der modernsten Bühne nicht ohne gewaltigen Mantel und Breithut aufzu¬ treten wagen würde, der schon genannte deutsche Se. Hubertus, wie der schottische Robim Hood (d. i. Ruprecht-Hutträger, also eine ganz genaue Bezeichnung Wodans), ferner eine lange Reihe unersättlicher Jäger, welche zur Strafe noch nach ihrem Tode weiter jagen müssen, und endlich auch eine schöne Folge historischer Gestalten: Herodes und Artus, Karl der Große und Karl der Quinte, ja sogar Gustav Adolph und der alte Fritz, sowie viele andere weniger erlauchte Figuren — sie erscheinen sämmtlich bald in dieser, bald in jener Gegend als Führer der wilden Jagd, und sind als solche allemal umgewandelte und getrübte Gestalten des düsteren Gottes der Herbststürme, Wodans des Weltjägers. Die Vorstellung von Wodan, als dem wilden Jäger, ist offenbar eine der ältesten und rohesten, aber darum freilich auch handgreiflichsten und dauer¬ haftesten von diesem Gotte. Sie ist unabhängig geblieben von der Christia? nisirung desselben in der Gestalt des heiligen Hubertus, der daher unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/307>, abgerufen am 28.09.2024.