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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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neuen Licht emporgestiegen war auf die winterliche Erde, in den Kämpfen
der Frühjahrsstürme die Dämonen des Winters besiegt, und als sonniger
Maikönig festlich triumphirt hatte, nachdem er dann der Ernte vorstand und
den Seinen zum Abschied Brot und Wein verlieh, da muß er das Jahr auch
wieder hinabführen in die dunkle Nacht des Winters. Wie das Licht im
Sturm geboren ward, so scheidet es nun auch im Sturm. Und wenn in der
Mythe vom Wodan-Michael als dem Psychopompos, dem Seelenführer des
wüthenden Heeres, der Tod der Natur geistig umgedeutet erschien aus
den Tod der Menschen, so tritt in der Sage vom wilden Jäger unmittelbar
und unverkennbar die Vorstellung jener furchtbaren Herbst-Orkane vor
uns hin, die der Todeskampf des Jahres sind.

Die allgemeine Gestalt der "Sage von der wilden Jagd" ist be¬
kannt. "Ost in rauher finsterer Nacht bellen Hunde der Luft auf öder Haide,
im brausenden Wald; Rosse wiehern und Hüfthörner dröhnen, Peitschenknallen
und Treiber klappern. Der Landmann kennt diese Jagd, kennt ihren wilden
Führer und bedauert den einsamen Wanderer. Um Mitternacht, wenn der
Regen niederprasselt, der Sturm heult und schrankenlos durch die knarren¬
den, knackenden, krachenden Waldungen fährt, um Mitternacht, wenn der
Fuchs im sicheren Bau, der Vogel im warmen Nest, der Mensch im Arm
der Liebe ruht, dann braust der Heljäger in rasender Hast, in wirrem Ge¬
tümmel zu grausiger Jagd heran. Voraus fliegen krächzende Naben, flattert
die Eule "Tutursel", stürmen heulende Wolfshunde mit heiserem Kläffen, und
dann naht der "Wilde Jäger" selbst auf luftigem, grauweißen Rosse, dem
das Feuer aus den Nüstern sprüht. Das Haupt des Reiters bedeckt ein
großer breitkrämpiger Hut; ein mächtiger schwarzer Mantel wallt um seine
Schultern. Sturmgeschwind jagt das Gespenst vorüber, und ihm nach toben
blasse Geisterschaaren (einst die Walkyrien und Einherier). Dann folgen zahl¬
lose Schatten erlegten Wildes, und vier Männer, die einen blutenden Eber
tragen, schließen den wüsten Zug. -- Wer ihm aus dem Wege geht, oder,
noch besser, sich mit dem Antlitz platt auf den Boden wirft, dem widerfährt
selten Uebeles; wehe aber dem, der der Wilden Jagd neckend oder höhnend
nachruft, oder gar Wodans Jagdgeschrei zu wiederholen wagt. Dann stürzt
auf einmal ein ungeheurer Reiter nieder und würgt den Spötter mit kalter
Faust; oder ein Pferdeschinken saust herab, zerquetscht den Unglücklichen
wie ein Meteorstein oder bleibt an ihm kleben, und eine Donnerstimme ruft:


"Hast du mit helfen jagen,
Mußt auch mit helfen tragen!"

Befindet sich der verwegene Spötter im Hause, so fährt ein glänzender
Roßhuf durch's Fenster und erschlägt ihn, während eine schreckliche Stimme
das ganze Gebäude in den Grundfesten erschüttert.


neuen Licht emporgestiegen war auf die winterliche Erde, in den Kämpfen
der Frühjahrsstürme die Dämonen des Winters besiegt, und als sonniger
Maikönig festlich triumphirt hatte, nachdem er dann der Ernte vorstand und
den Seinen zum Abschied Brot und Wein verlieh, da muß er das Jahr auch
wieder hinabführen in die dunkle Nacht des Winters. Wie das Licht im
Sturm geboren ward, so scheidet es nun auch im Sturm. Und wenn in der
Mythe vom Wodan-Michael als dem Psychopompos, dem Seelenführer des
wüthenden Heeres, der Tod der Natur geistig umgedeutet erschien aus
den Tod der Menschen, so tritt in der Sage vom wilden Jäger unmittelbar
und unverkennbar die Vorstellung jener furchtbaren Herbst-Orkane vor
uns hin, die der Todeskampf des Jahres sind.

Die allgemeine Gestalt der „Sage von der wilden Jagd" ist be¬
kannt. „Ost in rauher finsterer Nacht bellen Hunde der Luft auf öder Haide,
im brausenden Wald; Rosse wiehern und Hüfthörner dröhnen, Peitschenknallen
und Treiber klappern. Der Landmann kennt diese Jagd, kennt ihren wilden
Führer und bedauert den einsamen Wanderer. Um Mitternacht, wenn der
Regen niederprasselt, der Sturm heult und schrankenlos durch die knarren¬
den, knackenden, krachenden Waldungen fährt, um Mitternacht, wenn der
Fuchs im sicheren Bau, der Vogel im warmen Nest, der Mensch im Arm
der Liebe ruht, dann braust der Heljäger in rasender Hast, in wirrem Ge¬
tümmel zu grausiger Jagd heran. Voraus fliegen krächzende Naben, flattert
die Eule „Tutursel", stürmen heulende Wolfshunde mit heiserem Kläffen, und
dann naht der „Wilde Jäger" selbst auf luftigem, grauweißen Rosse, dem
das Feuer aus den Nüstern sprüht. Das Haupt des Reiters bedeckt ein
großer breitkrämpiger Hut; ein mächtiger schwarzer Mantel wallt um seine
Schultern. Sturmgeschwind jagt das Gespenst vorüber, und ihm nach toben
blasse Geisterschaaren (einst die Walkyrien und Einherier). Dann folgen zahl¬
lose Schatten erlegten Wildes, und vier Männer, die einen blutenden Eber
tragen, schließen den wüsten Zug. — Wer ihm aus dem Wege geht, oder,
noch besser, sich mit dem Antlitz platt auf den Boden wirft, dem widerfährt
selten Uebeles; wehe aber dem, der der Wilden Jagd neckend oder höhnend
nachruft, oder gar Wodans Jagdgeschrei zu wiederholen wagt. Dann stürzt
auf einmal ein ungeheurer Reiter nieder und würgt den Spötter mit kalter
Faust; oder ein Pferdeschinken saust herab, zerquetscht den Unglücklichen
wie ein Meteorstein oder bleibt an ihm kleben, und eine Donnerstimme ruft:


„Hast du mit helfen jagen,
Mußt auch mit helfen tragen!"

Befindet sich der verwegene Spötter im Hause, so fährt ein glänzender
Roßhuf durch's Fenster und erschlägt ihn, während eine schreckliche Stimme
das ganze Gebäude in den Grundfesten erschüttert.


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[0306] neuen Licht emporgestiegen war auf die winterliche Erde, in den Kämpfen der Frühjahrsstürme die Dämonen des Winters besiegt, und als sonniger Maikönig festlich triumphirt hatte, nachdem er dann der Ernte vorstand und den Seinen zum Abschied Brot und Wein verlieh, da muß er das Jahr auch wieder hinabführen in die dunkle Nacht des Winters. Wie das Licht im Sturm geboren ward, so scheidet es nun auch im Sturm. Und wenn in der Mythe vom Wodan-Michael als dem Psychopompos, dem Seelenführer des wüthenden Heeres, der Tod der Natur geistig umgedeutet erschien aus den Tod der Menschen, so tritt in der Sage vom wilden Jäger unmittelbar und unverkennbar die Vorstellung jener furchtbaren Herbst-Orkane vor uns hin, die der Todeskampf des Jahres sind. Die allgemeine Gestalt der „Sage von der wilden Jagd" ist be¬ kannt. „Ost in rauher finsterer Nacht bellen Hunde der Luft auf öder Haide, im brausenden Wald; Rosse wiehern und Hüfthörner dröhnen, Peitschenknallen und Treiber klappern. Der Landmann kennt diese Jagd, kennt ihren wilden Führer und bedauert den einsamen Wanderer. Um Mitternacht, wenn der Regen niederprasselt, der Sturm heult und schrankenlos durch die knarren¬ den, knackenden, krachenden Waldungen fährt, um Mitternacht, wenn der Fuchs im sicheren Bau, der Vogel im warmen Nest, der Mensch im Arm der Liebe ruht, dann braust der Heljäger in rasender Hast, in wirrem Ge¬ tümmel zu grausiger Jagd heran. Voraus fliegen krächzende Naben, flattert die Eule „Tutursel", stürmen heulende Wolfshunde mit heiserem Kläffen, und dann naht der „Wilde Jäger" selbst auf luftigem, grauweißen Rosse, dem das Feuer aus den Nüstern sprüht. Das Haupt des Reiters bedeckt ein großer breitkrämpiger Hut; ein mächtiger schwarzer Mantel wallt um seine Schultern. Sturmgeschwind jagt das Gespenst vorüber, und ihm nach toben blasse Geisterschaaren (einst die Walkyrien und Einherier). Dann folgen zahl¬ lose Schatten erlegten Wildes, und vier Männer, die einen blutenden Eber tragen, schließen den wüsten Zug. — Wer ihm aus dem Wege geht, oder, noch besser, sich mit dem Antlitz platt auf den Boden wirft, dem widerfährt selten Uebeles; wehe aber dem, der der Wilden Jagd neckend oder höhnend nachruft, oder gar Wodans Jagdgeschrei zu wiederholen wagt. Dann stürzt auf einmal ein ungeheurer Reiter nieder und würgt den Spötter mit kalter Faust; oder ein Pferdeschinken saust herab, zerquetscht den Unglücklichen wie ein Meteorstein oder bleibt an ihm kleben, und eine Donnerstimme ruft: „Hast du mit helfen jagen, Mußt auch mit helfen tragen!" Befindet sich der verwegene Spötter im Hause, so fährt ein glänzender Roßhuf durch's Fenster und erschlägt ihn, während eine schreckliche Stimme das ganze Gebäude in den Grundfesten erschüttert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/306>, abgerufen am 28.09.2024.