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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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genügte nicht, daß die Opfer der Brutalität die Nummer der Uniformen
ihrer Peiniger angaben. Es hieß, man könne nur einschreiten, wenn die
schuldigen Soldaten selbst nachgewiesen würden. Man gab den Klagenden
aber keine Gelegenheit, sie ausfindig zu machen. --

In Frankfurt und Darmstadt hatte die Durchreise der Adreßdeputatiou
des Reichstages keine Aufmerksamkeit erregt, Niemand beachtete uns. Im
Städtchen Weinheim an der Bergstraße brachte uns die versammelte Menge
dagegen zum ersten Male ein "Hurrah", und später wiederholte sich dieses
ans dem Bahnhofe zu Carlsruhe. Auch in dieser unbedeutenden Sache be¬
wiesen die Badenser ihre deutsche Gesinnung, die sich schon oft Anderen als
Vorbild gezeigt hat. Leider aber begann unser Zug nach und nach sich in
bedenklicher Weise zu verspäten, -- den Grund haben wir nie erfahren. An
jeder kleinen Station gab es langen Aufenthalt, und bald begriffen wir, daß
unsre Hoffnung, bei der planmäßig vorherbestimmten Ankunft in Straßburg,
um 4 Uhr 80 Min., noch etwas von der Stadt in ihrem gegenwärtigen Zu¬
stande zu sehen, auf Sand gebaut gewesen sei.

Von Frankfurt ab fuhr ich in einem der Salon-Wagen und hatte sehr
angenehme Reisebegleitung. Es gab mancherlei Unterhaltung unter den acht
Insassen, welche Reiseerfahrungen jeder Art im In- und Auslande gemacht
hatten. Einer von ihnen, Graf N., machte sich ein Vergnügen daraus, da
er selbst bereits während des gegenwärtigen Krieges in Versailles gewesen
war, einen anderen Collegen, der etwas ängstlichen Gemüthes zu sein schien,
obschon er versicherte, das Gefühl der Furcht niemals gekannt zu haben, durch
Räubergeschichten von den Franctireurs, namentlich von Plagiatoren zu er¬
schrecken, welche angesehene Reisende fortgeschleppt und dann je nach deren
Vermögen sehr erhebliche Summen für ihre Freilassung verlangt hätten.
Wahrscheinlich hat unserem ängstlichen Collegen in der nächsten Nacht von
seinen Geldsäcken geträumt, und der Gefahr, die sie in der Person ihres Be¬
sitzers zu laufen hätten.*)

Es fing endlich an Abend zu werden, und wir begannen ungeduldig die
Stationen zu zählen, welche noch bis Straßburg fehlten. Aber das half zu
nichts; weder ihre Anzahl, noch der Aufenthalt an jeder einzelnen wurde da¬
durch verkürzt. Es war schon lange dunkel gewesen, als wir endlich nach
Kehl gelangten. Dort aber harrte unsrer eine neue Geduldsprüfung. Der
Zug hielt eine Viertelstunde, dann noch eine; dann bewegte er sich langsam
eine Strecke vorwärts, hierauf eine noch längere wieder rückwärts, dann stand
er wieder lange Zeit wie angenagelt an den Boden. Einer der Herren,



') Wir erwähnen nur beiläufig, daß Herr v. Rothschild Mitglied der Deputation war.
D. Red.

genügte nicht, daß die Opfer der Brutalität die Nummer der Uniformen
ihrer Peiniger angaben. Es hieß, man könne nur einschreiten, wenn die
schuldigen Soldaten selbst nachgewiesen würden. Man gab den Klagenden
aber keine Gelegenheit, sie ausfindig zu machen. —

In Frankfurt und Darmstadt hatte die Durchreise der Adreßdeputatiou
des Reichstages keine Aufmerksamkeit erregt, Niemand beachtete uns. Im
Städtchen Weinheim an der Bergstraße brachte uns die versammelte Menge
dagegen zum ersten Male ein „Hurrah", und später wiederholte sich dieses
ans dem Bahnhofe zu Carlsruhe. Auch in dieser unbedeutenden Sache be¬
wiesen die Badenser ihre deutsche Gesinnung, die sich schon oft Anderen als
Vorbild gezeigt hat. Leider aber begann unser Zug nach und nach sich in
bedenklicher Weise zu verspäten, — den Grund haben wir nie erfahren. An
jeder kleinen Station gab es langen Aufenthalt, und bald begriffen wir, daß
unsre Hoffnung, bei der planmäßig vorherbestimmten Ankunft in Straßburg,
um 4 Uhr 80 Min., noch etwas von der Stadt in ihrem gegenwärtigen Zu¬
stande zu sehen, auf Sand gebaut gewesen sei.

Von Frankfurt ab fuhr ich in einem der Salon-Wagen und hatte sehr
angenehme Reisebegleitung. Es gab mancherlei Unterhaltung unter den acht
Insassen, welche Reiseerfahrungen jeder Art im In- und Auslande gemacht
hatten. Einer von ihnen, Graf N., machte sich ein Vergnügen daraus, da
er selbst bereits während des gegenwärtigen Krieges in Versailles gewesen
war, einen anderen Collegen, der etwas ängstlichen Gemüthes zu sein schien,
obschon er versicherte, das Gefühl der Furcht niemals gekannt zu haben, durch
Räubergeschichten von den Franctireurs, namentlich von Plagiatoren zu er¬
schrecken, welche angesehene Reisende fortgeschleppt und dann je nach deren
Vermögen sehr erhebliche Summen für ihre Freilassung verlangt hätten.
Wahrscheinlich hat unserem ängstlichen Collegen in der nächsten Nacht von
seinen Geldsäcken geträumt, und der Gefahr, die sie in der Person ihres Be¬
sitzers zu laufen hätten.*)

Es fing endlich an Abend zu werden, und wir begannen ungeduldig die
Stationen zu zählen, welche noch bis Straßburg fehlten. Aber das half zu
nichts; weder ihre Anzahl, noch der Aufenthalt an jeder einzelnen wurde da¬
durch verkürzt. Es war schon lange dunkel gewesen, als wir endlich nach
Kehl gelangten. Dort aber harrte unsrer eine neue Geduldsprüfung. Der
Zug hielt eine Viertelstunde, dann noch eine; dann bewegte er sich langsam
eine Strecke vorwärts, hierauf eine noch längere wieder rückwärts, dann stand
er wieder lange Zeit wie angenagelt an den Boden. Einer der Herren,



') Wir erwähnen nur beiläufig, daß Herr v. Rothschild Mitglied der Deputation war.
D. Red.
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[0297] genügte nicht, daß die Opfer der Brutalität die Nummer der Uniformen ihrer Peiniger angaben. Es hieß, man könne nur einschreiten, wenn die schuldigen Soldaten selbst nachgewiesen würden. Man gab den Klagenden aber keine Gelegenheit, sie ausfindig zu machen. — In Frankfurt und Darmstadt hatte die Durchreise der Adreßdeputatiou des Reichstages keine Aufmerksamkeit erregt, Niemand beachtete uns. Im Städtchen Weinheim an der Bergstraße brachte uns die versammelte Menge dagegen zum ersten Male ein „Hurrah", und später wiederholte sich dieses ans dem Bahnhofe zu Carlsruhe. Auch in dieser unbedeutenden Sache be¬ wiesen die Badenser ihre deutsche Gesinnung, die sich schon oft Anderen als Vorbild gezeigt hat. Leider aber begann unser Zug nach und nach sich in bedenklicher Weise zu verspäten, — den Grund haben wir nie erfahren. An jeder kleinen Station gab es langen Aufenthalt, und bald begriffen wir, daß unsre Hoffnung, bei der planmäßig vorherbestimmten Ankunft in Straßburg, um 4 Uhr 80 Min., noch etwas von der Stadt in ihrem gegenwärtigen Zu¬ stande zu sehen, auf Sand gebaut gewesen sei. Von Frankfurt ab fuhr ich in einem der Salon-Wagen und hatte sehr angenehme Reisebegleitung. Es gab mancherlei Unterhaltung unter den acht Insassen, welche Reiseerfahrungen jeder Art im In- und Auslande gemacht hatten. Einer von ihnen, Graf N., machte sich ein Vergnügen daraus, da er selbst bereits während des gegenwärtigen Krieges in Versailles gewesen war, einen anderen Collegen, der etwas ängstlichen Gemüthes zu sein schien, obschon er versicherte, das Gefühl der Furcht niemals gekannt zu haben, durch Räubergeschichten von den Franctireurs, namentlich von Plagiatoren zu er¬ schrecken, welche angesehene Reisende fortgeschleppt und dann je nach deren Vermögen sehr erhebliche Summen für ihre Freilassung verlangt hätten. Wahrscheinlich hat unserem ängstlichen Collegen in der nächsten Nacht von seinen Geldsäcken geträumt, und der Gefahr, die sie in der Person ihres Be¬ sitzers zu laufen hätten.*) Es fing endlich an Abend zu werden, und wir begannen ungeduldig die Stationen zu zählen, welche noch bis Straßburg fehlten. Aber das half zu nichts; weder ihre Anzahl, noch der Aufenthalt an jeder einzelnen wurde da¬ durch verkürzt. Es war schon lange dunkel gewesen, als wir endlich nach Kehl gelangten. Dort aber harrte unsrer eine neue Geduldsprüfung. Der Zug hielt eine Viertelstunde, dann noch eine; dann bewegte er sich langsam eine Strecke vorwärts, hierauf eine noch längere wieder rückwärts, dann stand er wieder lange Zeit wie angenagelt an den Boden. Einer der Herren, ') Wir erwähnen nur beiläufig, daß Herr v. Rothschild Mitglied der Deputation war. D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/297>, abgerufen am 26.06.2024.