Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welche schon während des Krieges im Elsaß gewesen waren, erklärte uns,
daß man zwischen Kehl und Straßburg, namentlich bei Nacht, stets sehr lang¬
sam und vorsichtig auf der Bahn zu Werke gehe, um jede Gefahr zu ver¬
meiden, die durch böswillige Zerstörungsversuche auf der Brücke oder vermit¬
telst Aufnahme der Schienen entstehen könnte. Abermals bewegte sich der
Zug, und abermals stand er still. Endlich nach Verlauf einer Stunde fuhren
wir langsam vorwärts. Es war so dunkel draußen, daß wir nur ungefähr
berechnen, nicht aber wirklich sehen konnten, daß wir uns auf der Rheinbrücke
befanden. Ebenso schrittweise ging es jenseits, so daß wir auf der verhält¬
nißmäßig kurzen Strecke von der Brücke bis nach dem Straßburger Bahn¬
hofe wohl mehr als eine halbe, vielleicht dreiviertel Stunde zubrachten.
Diejenigen unter uns, welche früher in Straßburg gewesen waren, wußten
bereits, daß man, um von der Rheinbrücke nach dem Bahnhofe zu gelangen,
zunächst an der Citadelle vorbei und dann rings um die ganze Stadt fahren
muß. Aber dennoch wurde uns die Zeit gar lang.

Nähert man sich einer einigermaßen bedeutenden Stadt, so pflegt man zuerst
ein der Ferne eine Menge Lichter erscheinen zu sehen, deren Menge zunimmt,
sowie man näher kommt. Wir wußten allerdings, daß nicht allein die Festungswälle
eine Scheidewand zwischen uns und der Stadt bildeten, sondern daß auch bei der
Belagerungdie Gasanstalten zerstört Wordenwaren. Trotzdem hatten wir erwartet,
irgendwo Licht zum Vorschein kommen zu sehen, oder wenigstens jenen mehr
oder weniger hellen Schein, welchen des Nachts die Straßenbeleuchtung über
einer jeden Stadt zu verbreiten pflegt. Aber nichts von der Art wurde sicht¬
bar, Alles blieb still und dunkel, als spräche sich auch darin die Zerstörung
aus, welche über Straßburg gekommen war. Selbst als der Zug endlich am
Bahnhofe hielt, erschienen nur einzelne hin und her getragene Laternen, ob-
schon man eine Menge Menschen umherstehen sah. Wir stiegen aus und
fanden zugleich mit der Nachricht, daß wir beim General-Gouverneur zum
Essen geladen seien, abermals Wagen, welche bereit standen, um uns nach
der Villö alö zu bringen, dem Hotel, worin Quartier für die Adreß-
deputation bestellt war.

Es war 7l/°z Uhr, als wir in der Ville Jo'is eintrafen, wo wir zu¬
nächst erfuhren, daß der General-Gouverneur, Generallieutenant Graf Bis-
marck-Bohlen, eben dort für die Adreßdeputation, als seine Gäste, ein so¬
lennes Mahl hergerichtet habe, und bereits unsrer warte. Nach kurzer Zeit
kamen ein paar Adjutanten in glänzender Uniform, um uns mitzutheilen,
daß Se. Excellenz, de? bereits seit 6 Uhr in Gesellschaft der übrigen Gäste
auf uns warte, uns bitten lasse, keine Umkleidung vorzunehmen, sondern so
wie wir von der Reise kämen, bei Tische zu erscheinen. Es galt also kein
Zögern. Etwas Waschwasser, Bürste und Kamm waren die einzigen Hülff-


welche schon während des Krieges im Elsaß gewesen waren, erklärte uns,
daß man zwischen Kehl und Straßburg, namentlich bei Nacht, stets sehr lang¬
sam und vorsichtig auf der Bahn zu Werke gehe, um jede Gefahr zu ver¬
meiden, die durch böswillige Zerstörungsversuche auf der Brücke oder vermit¬
telst Aufnahme der Schienen entstehen könnte. Abermals bewegte sich der
Zug, und abermals stand er still. Endlich nach Verlauf einer Stunde fuhren
wir langsam vorwärts. Es war so dunkel draußen, daß wir nur ungefähr
berechnen, nicht aber wirklich sehen konnten, daß wir uns auf der Rheinbrücke
befanden. Ebenso schrittweise ging es jenseits, so daß wir auf der verhält¬
nißmäßig kurzen Strecke von der Brücke bis nach dem Straßburger Bahn¬
hofe wohl mehr als eine halbe, vielleicht dreiviertel Stunde zubrachten.
Diejenigen unter uns, welche früher in Straßburg gewesen waren, wußten
bereits, daß man, um von der Rheinbrücke nach dem Bahnhofe zu gelangen,
zunächst an der Citadelle vorbei und dann rings um die ganze Stadt fahren
muß. Aber dennoch wurde uns die Zeit gar lang.

Nähert man sich einer einigermaßen bedeutenden Stadt, so pflegt man zuerst
ein der Ferne eine Menge Lichter erscheinen zu sehen, deren Menge zunimmt,
sowie man näher kommt. Wir wußten allerdings, daß nicht allein die Festungswälle
eine Scheidewand zwischen uns und der Stadt bildeten, sondern daß auch bei der
Belagerungdie Gasanstalten zerstört Wordenwaren. Trotzdem hatten wir erwartet,
irgendwo Licht zum Vorschein kommen zu sehen, oder wenigstens jenen mehr
oder weniger hellen Schein, welchen des Nachts die Straßenbeleuchtung über
einer jeden Stadt zu verbreiten pflegt. Aber nichts von der Art wurde sicht¬
bar, Alles blieb still und dunkel, als spräche sich auch darin die Zerstörung
aus, welche über Straßburg gekommen war. Selbst als der Zug endlich am
Bahnhofe hielt, erschienen nur einzelne hin und her getragene Laternen, ob-
schon man eine Menge Menschen umherstehen sah. Wir stiegen aus und
fanden zugleich mit der Nachricht, daß wir beim General-Gouverneur zum
Essen geladen seien, abermals Wagen, welche bereit standen, um uns nach
der Villö alö zu bringen, dem Hotel, worin Quartier für die Adreß-
deputation bestellt war.

Es war 7l/°z Uhr, als wir in der Ville Jo'is eintrafen, wo wir zu¬
nächst erfuhren, daß der General-Gouverneur, Generallieutenant Graf Bis-
marck-Bohlen, eben dort für die Adreßdeputation, als seine Gäste, ein so¬
lennes Mahl hergerichtet habe, und bereits unsrer warte. Nach kurzer Zeit
kamen ein paar Adjutanten in glänzender Uniform, um uns mitzutheilen,
daß Se. Excellenz, de? bereits seit 6 Uhr in Gesellschaft der übrigen Gäste
auf uns warte, uns bitten lasse, keine Umkleidung vorzunehmen, sondern so
wie wir von der Reise kämen, bei Tische zu erscheinen. Es galt also kein
Zögern. Etwas Waschwasser, Bürste und Kamm waren die einzigen Hülff-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125542"/>
          <p xml:id="ID_1073" prev="#ID_1072"> welche schon während des Krieges im Elsaß gewesen waren, erklärte uns,<lb/>
daß man zwischen Kehl und Straßburg, namentlich bei Nacht, stets sehr lang¬<lb/>
sam und vorsichtig auf der Bahn zu Werke gehe, um jede Gefahr zu ver¬<lb/>
meiden, die durch böswillige Zerstörungsversuche auf der Brücke oder vermit¬<lb/>
telst Aufnahme der Schienen entstehen könnte. Abermals bewegte sich der<lb/>
Zug, und abermals stand er still. Endlich nach Verlauf einer Stunde fuhren<lb/>
wir langsam vorwärts. Es war so dunkel draußen, daß wir nur ungefähr<lb/>
berechnen, nicht aber wirklich sehen konnten, daß wir uns auf der Rheinbrücke<lb/>
befanden. Ebenso schrittweise ging es jenseits, so daß wir auf der verhält¬<lb/>
nißmäßig kurzen Strecke von der Brücke bis nach dem Straßburger Bahn¬<lb/>
hofe wohl mehr als eine halbe, vielleicht dreiviertel Stunde zubrachten.<lb/>
Diejenigen unter uns, welche früher in Straßburg gewesen waren, wußten<lb/>
bereits, daß man, um von der Rheinbrücke nach dem Bahnhofe zu gelangen,<lb/>
zunächst an der Citadelle vorbei und dann rings um die ganze Stadt fahren<lb/>
muß.  Aber dennoch wurde uns die Zeit gar lang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Nähert man sich einer einigermaßen bedeutenden Stadt, so pflegt man zuerst<lb/>
ein der Ferne eine Menge Lichter erscheinen zu sehen, deren Menge zunimmt,<lb/>
sowie man näher kommt. Wir wußten allerdings, daß nicht allein die Festungswälle<lb/>
eine Scheidewand zwischen uns und der Stadt bildeten, sondern daß auch bei der<lb/>
Belagerungdie Gasanstalten zerstört Wordenwaren. Trotzdem hatten wir erwartet,<lb/>
irgendwo Licht zum Vorschein kommen zu sehen, oder wenigstens jenen mehr<lb/>
oder weniger hellen Schein, welchen des Nachts die Straßenbeleuchtung über<lb/>
einer jeden Stadt zu verbreiten pflegt. Aber nichts von der Art wurde sicht¬<lb/>
bar, Alles blieb still und dunkel, als spräche sich auch darin die Zerstörung<lb/>
aus, welche über Straßburg gekommen war. Selbst als der Zug endlich am<lb/>
Bahnhofe hielt, erschienen nur einzelne hin und her getragene Laternen, ob-<lb/>
schon man eine Menge Menschen umherstehen sah. Wir stiegen aus und<lb/>
fanden zugleich mit der Nachricht, daß wir beim General-Gouverneur zum<lb/>
Essen geladen seien, abermals Wagen, welche bereit standen, um uns nach<lb/>
der Villö alö zu bringen, dem Hotel, worin Quartier für die Adreß-<lb/>
deputation bestellt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" next="#ID_1076"> Es war 7l/°z Uhr, als wir in der Ville Jo'is eintrafen, wo wir zu¬<lb/>
nächst erfuhren, daß der General-Gouverneur, Generallieutenant Graf Bis-<lb/>
marck-Bohlen, eben dort für die Adreßdeputation, als seine Gäste, ein so¬<lb/>
lennes Mahl hergerichtet habe, und bereits unsrer warte. Nach kurzer Zeit<lb/>
kamen ein paar Adjutanten in glänzender Uniform, um uns mitzutheilen,<lb/>
daß Se. Excellenz, de? bereits seit 6 Uhr in Gesellschaft der übrigen Gäste<lb/>
auf uns warte, uns bitten lasse, keine Umkleidung vorzunehmen, sondern so<lb/>
wie wir von der Reise kämen, bei Tische zu erscheinen. Es galt also kein<lb/>
Zögern. Etwas Waschwasser, Bürste und Kamm waren die einzigen Hülff-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] welche schon während des Krieges im Elsaß gewesen waren, erklärte uns, daß man zwischen Kehl und Straßburg, namentlich bei Nacht, stets sehr lang¬ sam und vorsichtig auf der Bahn zu Werke gehe, um jede Gefahr zu ver¬ meiden, die durch böswillige Zerstörungsversuche auf der Brücke oder vermit¬ telst Aufnahme der Schienen entstehen könnte. Abermals bewegte sich der Zug, und abermals stand er still. Endlich nach Verlauf einer Stunde fuhren wir langsam vorwärts. Es war so dunkel draußen, daß wir nur ungefähr berechnen, nicht aber wirklich sehen konnten, daß wir uns auf der Rheinbrücke befanden. Ebenso schrittweise ging es jenseits, so daß wir auf der verhält¬ nißmäßig kurzen Strecke von der Brücke bis nach dem Straßburger Bahn¬ hofe wohl mehr als eine halbe, vielleicht dreiviertel Stunde zubrachten. Diejenigen unter uns, welche früher in Straßburg gewesen waren, wußten bereits, daß man, um von der Rheinbrücke nach dem Bahnhofe zu gelangen, zunächst an der Citadelle vorbei und dann rings um die ganze Stadt fahren muß. Aber dennoch wurde uns die Zeit gar lang. Nähert man sich einer einigermaßen bedeutenden Stadt, so pflegt man zuerst ein der Ferne eine Menge Lichter erscheinen zu sehen, deren Menge zunimmt, sowie man näher kommt. Wir wußten allerdings, daß nicht allein die Festungswälle eine Scheidewand zwischen uns und der Stadt bildeten, sondern daß auch bei der Belagerungdie Gasanstalten zerstört Wordenwaren. Trotzdem hatten wir erwartet, irgendwo Licht zum Vorschein kommen zu sehen, oder wenigstens jenen mehr oder weniger hellen Schein, welchen des Nachts die Straßenbeleuchtung über einer jeden Stadt zu verbreiten pflegt. Aber nichts von der Art wurde sicht¬ bar, Alles blieb still und dunkel, als spräche sich auch darin die Zerstörung aus, welche über Straßburg gekommen war. Selbst als der Zug endlich am Bahnhofe hielt, erschienen nur einzelne hin und her getragene Laternen, ob- schon man eine Menge Menschen umherstehen sah. Wir stiegen aus und fanden zugleich mit der Nachricht, daß wir beim General-Gouverneur zum Essen geladen seien, abermals Wagen, welche bereit standen, um uns nach der Villö alö zu bringen, dem Hotel, worin Quartier für die Adreß- deputation bestellt war. Es war 7l/°z Uhr, als wir in der Ville Jo'is eintrafen, wo wir zu¬ nächst erfuhren, daß der General-Gouverneur, Generallieutenant Graf Bis- marck-Bohlen, eben dort für die Adreßdeputation, als seine Gäste, ein so¬ lennes Mahl hergerichtet habe, und bereits unsrer warte. Nach kurzer Zeit kamen ein paar Adjutanten in glänzender Uniform, um uns mitzutheilen, daß Se. Excellenz, de? bereits seit 6 Uhr in Gesellschaft der übrigen Gäste auf uns warte, uns bitten lasse, keine Umkleidung vorzunehmen, sondern so wie wir von der Reise kämen, bei Tische zu erscheinen. Es galt also kein Zögern. Etwas Waschwasser, Bürste und Kamm waren die einzigen Hülff-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/298>, abgerufen am 26.06.2024.