Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch der anbrechende Tag zeigte uns nur Winterliches; eine weite Schnee¬
landschaft lag vor uns, als zum ersten Male das Fenster geöffnet wurde;
wir aber freuten uns, daß eine lange, unbehagliche Nacht hinter uns lag.
Als wir näher um uns schauten, fand sich, daß während der Nacht Thau¬
wetter eingetreten war. In Frankfurt regnete es, und da die Entfernung
von dem Bebra-Hanauer Bahnhofe nach den übrigen, in deren Nähe das
Hotel Westend-Hall liegt, nicht unbedeutend ist, so hatten wir Ursache, der
Aufmerksamkeit des Polizei-Präsidenten von Madai dankbar zu fein, welchen
das Bureau des Reichstages um Bestellung unsrer Bewirthung im Hotel er¬
sucht hatte, und auf dessen Veranstaltung wir eine genügende Anzahl mehr
oder weniger eleganter Wagen zur Hinfahrt bereit fanden. Unser Frühstück
ließ nichts zu wünschen übrig, und wenn die Lage der öffentlichen Ange¬
legenheiten einen Jeden mehr zum Ernste als zu großer Heiterkeit stimmen
mußte, so hatten wir doch alle Ursache, uns der bisherigen glänzenden Er¬
folge der deutschen Waffen, und als Folge davon unsrer eignen Sendung zu
freuen, welche sich unmittelbar auf die welthistorische Wendung in der poli¬
tischen Stellung Deutschlands bezog, und, wie zu hoffen steht, für eine Reihe
von Jahrhunderten den Beginn der neuen Weltordnung bezeichnen wird, in
der Kaiser und Reich deutscher Nation abermals, und vollständiger als früher,
bestimmend auf die Geschicke der Menschheit einwirken werden.

Um halb elf Uhr Morgens fuhren wir über den Main, welcher, Gott
sei Dank, aufgehört hatte, eine Scheidungslinie zwischen Deutschen und Deut¬
schen zu sein, und bald befanden wir uns in der sandigen Ebene zwischen
Frankfurt und Darmstadt, deren Föhrengehölze Einem unwillkürlich die schönen
Gegenden zwischen Magdeburg und Berlin ins Gedächtniß rufen, wenn auch,
um die heimathlichen Erinnerungen eines Hannoveraners ganz zu befriedigen,
die weiten Haide- und Moorstrecken fehlen.

Jenseit Darmstadts war es mit dein Winter zu Ende. Es war, als
wären wir in ein anderes Land gekommen. Keine Spur mehr von Schnee,
selbst nicht in den Furchen des Ackerlandes oder an den Seiten der Gräben.
Nur hie und da sah man mitten in den Wassergräben eine vereinzelte dünne
Eisdecke, die, rings umher schon von Wasser umgeben, stündlich mehr zu¬
sammen zu schmelzen schien. Die Felder mit grünenden Wintersaaten bedeckt,
die laue, angenehm erfrischende Lust, die Regenwolken, welche nebelartig an
den Höhen der Bergstraße hingen und sich wie graue Schleier um das Ge¬
mäuer der fernen Burgruinen legten. Alles zusammen genommen machte
auf uns, die wir noch vor wenigen Stunden in Nacht und Schnee gefahren
waren, einen erheiternden, frühlingsartigen Eindruck. Die Fruchtbäume, mit
denen alle Saatfelder bedeckt waren, die Menge der friedlich daliegenden Dör¬
fer mit ihren schlanken Kirchthürmen und rauchenden Schornsteinen, geschützt


Auch der anbrechende Tag zeigte uns nur Winterliches; eine weite Schnee¬
landschaft lag vor uns, als zum ersten Male das Fenster geöffnet wurde;
wir aber freuten uns, daß eine lange, unbehagliche Nacht hinter uns lag.
Als wir näher um uns schauten, fand sich, daß während der Nacht Thau¬
wetter eingetreten war. In Frankfurt regnete es, und da die Entfernung
von dem Bebra-Hanauer Bahnhofe nach den übrigen, in deren Nähe das
Hotel Westend-Hall liegt, nicht unbedeutend ist, so hatten wir Ursache, der
Aufmerksamkeit des Polizei-Präsidenten von Madai dankbar zu fein, welchen
das Bureau des Reichstages um Bestellung unsrer Bewirthung im Hotel er¬
sucht hatte, und auf dessen Veranstaltung wir eine genügende Anzahl mehr
oder weniger eleganter Wagen zur Hinfahrt bereit fanden. Unser Frühstück
ließ nichts zu wünschen übrig, und wenn die Lage der öffentlichen Ange¬
legenheiten einen Jeden mehr zum Ernste als zu großer Heiterkeit stimmen
mußte, so hatten wir doch alle Ursache, uns der bisherigen glänzenden Er¬
folge der deutschen Waffen, und als Folge davon unsrer eignen Sendung zu
freuen, welche sich unmittelbar auf die welthistorische Wendung in der poli¬
tischen Stellung Deutschlands bezog, und, wie zu hoffen steht, für eine Reihe
von Jahrhunderten den Beginn der neuen Weltordnung bezeichnen wird, in
der Kaiser und Reich deutscher Nation abermals, und vollständiger als früher,
bestimmend auf die Geschicke der Menschheit einwirken werden.

Um halb elf Uhr Morgens fuhren wir über den Main, welcher, Gott
sei Dank, aufgehört hatte, eine Scheidungslinie zwischen Deutschen und Deut¬
schen zu sein, und bald befanden wir uns in der sandigen Ebene zwischen
Frankfurt und Darmstadt, deren Föhrengehölze Einem unwillkürlich die schönen
Gegenden zwischen Magdeburg und Berlin ins Gedächtniß rufen, wenn auch,
um die heimathlichen Erinnerungen eines Hannoveraners ganz zu befriedigen,
die weiten Haide- und Moorstrecken fehlen.

Jenseit Darmstadts war es mit dein Winter zu Ende. Es war, als
wären wir in ein anderes Land gekommen. Keine Spur mehr von Schnee,
selbst nicht in den Furchen des Ackerlandes oder an den Seiten der Gräben.
Nur hie und da sah man mitten in den Wassergräben eine vereinzelte dünne
Eisdecke, die, rings umher schon von Wasser umgeben, stündlich mehr zu¬
sammen zu schmelzen schien. Die Felder mit grünenden Wintersaaten bedeckt,
die laue, angenehm erfrischende Lust, die Regenwolken, welche nebelartig an
den Höhen der Bergstraße hingen und sich wie graue Schleier um das Ge¬
mäuer der fernen Burgruinen legten. Alles zusammen genommen machte
auf uns, die wir noch vor wenigen Stunden in Nacht und Schnee gefahren
waren, einen erheiternden, frühlingsartigen Eindruck. Die Fruchtbäume, mit
denen alle Saatfelder bedeckt waren, die Menge der friedlich daliegenden Dör¬
fer mit ihren schlanken Kirchthürmen und rauchenden Schornsteinen, geschützt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125539"/>
          <p xml:id="ID_1065" prev="#ID_1064"> Auch der anbrechende Tag zeigte uns nur Winterliches; eine weite Schnee¬<lb/>
landschaft lag vor uns, als zum ersten Male das Fenster geöffnet wurde;<lb/>
wir aber freuten uns, daß eine lange, unbehagliche Nacht hinter uns lag.<lb/>
Als wir näher um uns schauten, fand sich, daß während der Nacht Thau¬<lb/>
wetter eingetreten war. In Frankfurt regnete es, und da die Entfernung<lb/>
von dem Bebra-Hanauer Bahnhofe nach den übrigen, in deren Nähe das<lb/>
Hotel Westend-Hall liegt, nicht unbedeutend ist, so hatten wir Ursache, der<lb/>
Aufmerksamkeit des Polizei-Präsidenten von Madai dankbar zu fein, welchen<lb/>
das Bureau des Reichstages um Bestellung unsrer Bewirthung im Hotel er¬<lb/>
sucht hatte, und auf dessen Veranstaltung wir eine genügende Anzahl mehr<lb/>
oder weniger eleganter Wagen zur Hinfahrt bereit fanden. Unser Frühstück<lb/>
ließ nichts zu wünschen übrig, und wenn die Lage der öffentlichen Ange¬<lb/>
legenheiten einen Jeden mehr zum Ernste als zu großer Heiterkeit stimmen<lb/>
mußte, so hatten wir doch alle Ursache, uns der bisherigen glänzenden Er¬<lb/>
folge der deutschen Waffen, und als Folge davon unsrer eignen Sendung zu<lb/>
freuen, welche sich unmittelbar auf die welthistorische Wendung in der poli¬<lb/>
tischen Stellung Deutschlands bezog, und, wie zu hoffen steht, für eine Reihe<lb/>
von Jahrhunderten den Beginn der neuen Weltordnung bezeichnen wird, in<lb/>
der Kaiser und Reich deutscher Nation abermals, und vollständiger als früher,<lb/>
bestimmend auf die Geschicke der Menschheit einwirken werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> Um halb elf Uhr Morgens fuhren wir über den Main, welcher, Gott<lb/>
sei Dank, aufgehört hatte, eine Scheidungslinie zwischen Deutschen und Deut¬<lb/>
schen zu sein, und bald befanden wir uns in der sandigen Ebene zwischen<lb/>
Frankfurt und Darmstadt, deren Föhrengehölze Einem unwillkürlich die schönen<lb/>
Gegenden zwischen Magdeburg und Berlin ins Gedächtniß rufen, wenn auch,<lb/>
um die heimathlichen Erinnerungen eines Hannoveraners ganz zu befriedigen,<lb/>
die weiten Haide- und Moorstrecken fehlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067" next="#ID_1068"> Jenseit Darmstadts war es mit dein Winter zu Ende. Es war, als<lb/>
wären wir in ein anderes Land gekommen. Keine Spur mehr von Schnee,<lb/>
selbst nicht in den Furchen des Ackerlandes oder an den Seiten der Gräben.<lb/>
Nur hie und da sah man mitten in den Wassergräben eine vereinzelte dünne<lb/>
Eisdecke, die, rings umher schon von Wasser umgeben, stündlich mehr zu¬<lb/>
sammen zu schmelzen schien. Die Felder mit grünenden Wintersaaten bedeckt,<lb/>
die laue, angenehm erfrischende Lust, die Regenwolken, welche nebelartig an<lb/>
den Höhen der Bergstraße hingen und sich wie graue Schleier um das Ge¬<lb/>
mäuer der fernen Burgruinen legten. Alles zusammen genommen machte<lb/>
auf uns, die wir noch vor wenigen Stunden in Nacht und Schnee gefahren<lb/>
waren, einen erheiternden, frühlingsartigen Eindruck. Die Fruchtbäume, mit<lb/>
denen alle Saatfelder bedeckt waren, die Menge der friedlich daliegenden Dör¬<lb/>
fer mit ihren schlanken Kirchthürmen und rauchenden Schornsteinen, geschützt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] Auch der anbrechende Tag zeigte uns nur Winterliches; eine weite Schnee¬ landschaft lag vor uns, als zum ersten Male das Fenster geöffnet wurde; wir aber freuten uns, daß eine lange, unbehagliche Nacht hinter uns lag. Als wir näher um uns schauten, fand sich, daß während der Nacht Thau¬ wetter eingetreten war. In Frankfurt regnete es, und da die Entfernung von dem Bebra-Hanauer Bahnhofe nach den übrigen, in deren Nähe das Hotel Westend-Hall liegt, nicht unbedeutend ist, so hatten wir Ursache, der Aufmerksamkeit des Polizei-Präsidenten von Madai dankbar zu fein, welchen das Bureau des Reichstages um Bestellung unsrer Bewirthung im Hotel er¬ sucht hatte, und auf dessen Veranstaltung wir eine genügende Anzahl mehr oder weniger eleganter Wagen zur Hinfahrt bereit fanden. Unser Frühstück ließ nichts zu wünschen übrig, und wenn die Lage der öffentlichen Ange¬ legenheiten einen Jeden mehr zum Ernste als zu großer Heiterkeit stimmen mußte, so hatten wir doch alle Ursache, uns der bisherigen glänzenden Er¬ folge der deutschen Waffen, und als Folge davon unsrer eignen Sendung zu freuen, welche sich unmittelbar auf die welthistorische Wendung in der poli¬ tischen Stellung Deutschlands bezog, und, wie zu hoffen steht, für eine Reihe von Jahrhunderten den Beginn der neuen Weltordnung bezeichnen wird, in der Kaiser und Reich deutscher Nation abermals, und vollständiger als früher, bestimmend auf die Geschicke der Menschheit einwirken werden. Um halb elf Uhr Morgens fuhren wir über den Main, welcher, Gott sei Dank, aufgehört hatte, eine Scheidungslinie zwischen Deutschen und Deut¬ schen zu sein, und bald befanden wir uns in der sandigen Ebene zwischen Frankfurt und Darmstadt, deren Föhrengehölze Einem unwillkürlich die schönen Gegenden zwischen Magdeburg und Berlin ins Gedächtniß rufen, wenn auch, um die heimathlichen Erinnerungen eines Hannoveraners ganz zu befriedigen, die weiten Haide- und Moorstrecken fehlen. Jenseit Darmstadts war es mit dein Winter zu Ende. Es war, als wären wir in ein anderes Land gekommen. Keine Spur mehr von Schnee, selbst nicht in den Furchen des Ackerlandes oder an den Seiten der Gräben. Nur hie und da sah man mitten in den Wassergräben eine vereinzelte dünne Eisdecke, die, rings umher schon von Wasser umgeben, stündlich mehr zu¬ sammen zu schmelzen schien. Die Felder mit grünenden Wintersaaten bedeckt, die laue, angenehm erfrischende Lust, die Regenwolken, welche nebelartig an den Höhen der Bergstraße hingen und sich wie graue Schleier um das Ge¬ mäuer der fernen Burgruinen legten. Alles zusammen genommen machte auf uns, die wir noch vor wenigen Stunden in Nacht und Schnee gefahren waren, einen erheiternden, frühlingsartigen Eindruck. Die Fruchtbäume, mit denen alle Saatfelder bedeckt waren, die Menge der friedlich daliegenden Dör¬ fer mit ihren schlanken Kirchthürmen und rauchenden Schornsteinen, geschützt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/295>, abgerufen am 26.06.2024.