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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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ich würde nicht unterlassen haben, meinen Revolver mitzunehmen, welcher
mehr als einen Sturm mit mir erlebt hatte. Eine neue, mir ungewohnte
Waffe für die Reise zu kaufen, schien mir dagegen nicht angemessen, und ich
beschränkte meine Vorsichtsmaßregeln darauf, alle unnöthigen Werthsachen
direct von Berlin nach Hause zu senden, anstatt sie mit mir nach Versailles
zu nehmen.

Als wir uns Abends auf dem Bahnhofe versammelten, jeder nach Mög¬
lichkeit gegen das kalte Wetter gerüstet, sah man manche etwas abenteuerliche
Gestalten unter uns, die keineswegs parlamentarisch erschienen: neben mo¬
dernen Ueberziehern, Pelzen, Reisedecken u. s. w. auch ungeheure Pelzstiesel,
mit denen sich die Reiterstiefel unserer Cürassiere nicht vergleichen konnten;
Pelzmützen mit Iltisfell, deren sich kein Roßkamm geschämt hätte, neben
ihnen wieder Militärmantel; kurz Costüme jeder Art. Einer unserer Collegen
hatte übernommen, einer Dame Schutz zu gewähren, welche sich der Depu¬
tation auf der Reise anzuschließen wünschte, und mit deren Familie er be¬
kannt war. Sie war die Gemahlin eines in Frankreich kämpfenden Obersten
N., hatte auch bereits einen Sohn im Felde, und da beide verwundet waren,
so reiste sie zu ihrer Pflege ins feindliche Land. Hoffentlich hat sie die Be¬
friedigung gehabt, beide, den Gatten und den Sohn, bald hergestellt zu sehen.

Es war 8^/2 Uhr; man rief zum Einsteigen, und wir nahmen unsere
Plätze ein. Unsre Wagen erster Classe sind bekanntlich ganz bequem zum
Schlafen eingerichtet. Wir saßen unsrer Vier in dem erwärmten Coupe und
versuchten schon bald nach der Abfahrt uns die erste Langeweile mit Schlafen
zu vertreiben; denn die ersten Stunden einer längeren Reise haben stets et¬
was Ungemüthliches. Die ganze Zahl der Tage und Stunden, welche die
Reise zu dauern hat, liegt noch vor uns, und drückt wie ein bleiernes Ge¬
wicht auf unsere Stimmung. Nacht war es aber, dunkle, kalte Nacht; und
suchte das Auge einmal die vom Froste angehauchten Wagenfenster zu durch¬
dringen, so fand es draußen nichts als die öde Schneedecke, welche sich weit
über das Land gelegt.hatte. Um IIV2 Uhr kamen wir über Wittenberg
nach Halle, um 12^ Uhr nach Weißenfels, bald darauf nach Naumburg.
So oft der Schaffner die Thür öffnete, drang die Winterluft erkältend auf
uns ein, und da wir uns das mehr als durchaus erforderlich wiederholte
Oeffnen verbaten, so versprach der Mann, wir sollten nun nicht weiter ge¬
stört werden; er werde auch seinen Amtsgenossen in Bebra, wohin wir um
4^/2 Uhr in der Frühe kommen mußten, aufmerksam machen, daß man die
Herren vom Reichstage in Ruhe lasse, bis der Zug um 8 Uhr Morgens
in Hanau sei. So fuhren wir durch Thüringen und Kurhessen, ohne auch
nur die Bahnhöfe beim Lichte der Lampen zu sehen, und wie uns versprochen
war, fragte man erst in der Nähe von Frankfurt a/M. nach unseren Karten-


ich würde nicht unterlassen haben, meinen Revolver mitzunehmen, welcher
mehr als einen Sturm mit mir erlebt hatte. Eine neue, mir ungewohnte
Waffe für die Reise zu kaufen, schien mir dagegen nicht angemessen, und ich
beschränkte meine Vorsichtsmaßregeln darauf, alle unnöthigen Werthsachen
direct von Berlin nach Hause zu senden, anstatt sie mit mir nach Versailles
zu nehmen.

Als wir uns Abends auf dem Bahnhofe versammelten, jeder nach Mög¬
lichkeit gegen das kalte Wetter gerüstet, sah man manche etwas abenteuerliche
Gestalten unter uns, die keineswegs parlamentarisch erschienen: neben mo¬
dernen Ueberziehern, Pelzen, Reisedecken u. s. w. auch ungeheure Pelzstiesel,
mit denen sich die Reiterstiefel unserer Cürassiere nicht vergleichen konnten;
Pelzmützen mit Iltisfell, deren sich kein Roßkamm geschämt hätte, neben
ihnen wieder Militärmantel; kurz Costüme jeder Art. Einer unserer Collegen
hatte übernommen, einer Dame Schutz zu gewähren, welche sich der Depu¬
tation auf der Reise anzuschließen wünschte, und mit deren Familie er be¬
kannt war. Sie war die Gemahlin eines in Frankreich kämpfenden Obersten
N., hatte auch bereits einen Sohn im Felde, und da beide verwundet waren,
so reiste sie zu ihrer Pflege ins feindliche Land. Hoffentlich hat sie die Be¬
friedigung gehabt, beide, den Gatten und den Sohn, bald hergestellt zu sehen.

Es war 8^/2 Uhr; man rief zum Einsteigen, und wir nahmen unsere
Plätze ein. Unsre Wagen erster Classe sind bekanntlich ganz bequem zum
Schlafen eingerichtet. Wir saßen unsrer Vier in dem erwärmten Coupe und
versuchten schon bald nach der Abfahrt uns die erste Langeweile mit Schlafen
zu vertreiben; denn die ersten Stunden einer längeren Reise haben stets et¬
was Ungemüthliches. Die ganze Zahl der Tage und Stunden, welche die
Reise zu dauern hat, liegt noch vor uns, und drückt wie ein bleiernes Ge¬
wicht auf unsere Stimmung. Nacht war es aber, dunkle, kalte Nacht; und
suchte das Auge einmal die vom Froste angehauchten Wagenfenster zu durch¬
dringen, so fand es draußen nichts als die öde Schneedecke, welche sich weit
über das Land gelegt.hatte. Um IIV2 Uhr kamen wir über Wittenberg
nach Halle, um 12^ Uhr nach Weißenfels, bald darauf nach Naumburg.
So oft der Schaffner die Thür öffnete, drang die Winterluft erkältend auf
uns ein, und da wir uns das mehr als durchaus erforderlich wiederholte
Oeffnen verbaten, so versprach der Mann, wir sollten nun nicht weiter ge¬
stört werden; er werde auch seinen Amtsgenossen in Bebra, wohin wir um
4^/2 Uhr in der Frühe kommen mußten, aufmerksam machen, daß man die
Herren vom Reichstage in Ruhe lasse, bis der Zug um 8 Uhr Morgens
in Hanau sei. So fuhren wir durch Thüringen und Kurhessen, ohne auch
nur die Bahnhöfe beim Lichte der Lampen zu sehen, und wie uns versprochen
war, fragte man erst in der Nähe von Frankfurt a/M. nach unseren Karten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/294>, abgerufen am 26.06.2024.