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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Lin neues Keil'verfaljren bei SchWerverwundeten.^)

Ein merkwürdiger Versuch, dessen unerhört glücklicher Ausgang der
Kriegschirurgie selbst für die verzweifeltsten Fälle neue Wege eröffnet hat, ist
in Heidelberg gemacht worden und glauben wir, da der betheiligte Arzt bis
jetzt die Veröffentlichung abgelehnt hat, sowohl den Aerzten als den Ange¬
hörigen, besonders Schwerverwundeter, einen Liebesdienst zu erweisen, indem
wir sie, wenn auch nur kurz, davon in Kenntniß setzen.

Der als glücklicher Operateur bekannte Augenarzt Dr. Roter in Heidelberg,
welcher sein ganzes großartiges Etablissement dem badischen Kriegsministerium
für die Verwundeten dieses Krieges zur Verfügung gestellt hatte, nahm in
dasselbe unter vielen Andern auch einen in der Schlacht von Wörth Schwer¬
verwundeten bayrischen Offizier auf. Demselben hatte eine Mitrailleusenkugel
das linke Knie dergestalt zerstört, daß sowohl die beiden das Gelenk zusammen¬
setzenden Knochen, als auch die Weichtheile, sowie die Kniescheibe total zer¬
splittert und zerrissen waren. Als einzig mögliches Mittel zur Rettung war
von sachkundiger Seite die Amputation des Oberschenkels angegeben und
mehrfach auf das Dringendste empfohlen worden. Der bereits sehr geschwächte
Zustand des Verwundeten, sowie die traurigen Resultate solcher Amputationen,
wenn sie nicht gleich auf dem Schlachtfelde vorgenommen werden, deren tödt-
lichen Ausgang man leider so vielfach zu beobachten Gelegenheit hatte, ver¬
anlaßten den behandelnden Arzt von der besagten Operation Abstand zu
nehmen, wozu als bestärkendes Moment noch die entschiedene Weigerung des
Verwundeten kam, der in Augenblicken klarer Besinnung gegen eine solche
Verstümmelung seines Körpers energisch protestirte.

Mithin erschienen schwere chirurgische Eingriffe auf keine Weise ge¬
rechtfertigt, und so kam der Arzt des genannten Lazareths, ausgehend von
den weiter unten noch zu erörternden Annahmen auf den Gedanken, durch
Anwendung blutwarmer Bäder die Heilung zu erzielen. Da theilweise Bäder,
des Sitzes der Verwundung wegen, nur mit großer Schwierigkeit hätten ge-
geben werden können, da außerdem der fortdauernde Gebrauch des Vollbades
auch noch aus später zu erwähnenden Gründen zweckmäßig erschien, so wurde
ein Badapparat construirt, welcher geeignet war, den ganzen kranken Körper
während Tag und Nacht in sich aufzunehmen, und welcher seinen Zweck in
jeder Beziehung so vollkommen erreichte, daß der Verwundete vier Monate
lang beinahe unausgesetzt in demselben verblieb.

Zu diesem Zwecke wurde eine ungefähr 6 Fuß lange und 3 Fuß



*) Alle Redactionen werden un baldigen Nahdcuck dieses Artikels höf¬
li Die Red. chst ersucht.
Lin neues Keil'verfaljren bei SchWerverwundeten.^)

Ein merkwürdiger Versuch, dessen unerhört glücklicher Ausgang der
Kriegschirurgie selbst für die verzweifeltsten Fälle neue Wege eröffnet hat, ist
in Heidelberg gemacht worden und glauben wir, da der betheiligte Arzt bis
jetzt die Veröffentlichung abgelehnt hat, sowohl den Aerzten als den Ange¬
hörigen, besonders Schwerverwundeter, einen Liebesdienst zu erweisen, indem
wir sie, wenn auch nur kurz, davon in Kenntniß setzen.

Der als glücklicher Operateur bekannte Augenarzt Dr. Roter in Heidelberg,
welcher sein ganzes großartiges Etablissement dem badischen Kriegsministerium
für die Verwundeten dieses Krieges zur Verfügung gestellt hatte, nahm in
dasselbe unter vielen Andern auch einen in der Schlacht von Wörth Schwer¬
verwundeten bayrischen Offizier auf. Demselben hatte eine Mitrailleusenkugel
das linke Knie dergestalt zerstört, daß sowohl die beiden das Gelenk zusammen¬
setzenden Knochen, als auch die Weichtheile, sowie die Kniescheibe total zer¬
splittert und zerrissen waren. Als einzig mögliches Mittel zur Rettung war
von sachkundiger Seite die Amputation des Oberschenkels angegeben und
mehrfach auf das Dringendste empfohlen worden. Der bereits sehr geschwächte
Zustand des Verwundeten, sowie die traurigen Resultate solcher Amputationen,
wenn sie nicht gleich auf dem Schlachtfelde vorgenommen werden, deren tödt-
lichen Ausgang man leider so vielfach zu beobachten Gelegenheit hatte, ver¬
anlaßten den behandelnden Arzt von der besagten Operation Abstand zu
nehmen, wozu als bestärkendes Moment noch die entschiedene Weigerung des
Verwundeten kam, der in Augenblicken klarer Besinnung gegen eine solche
Verstümmelung seines Körpers energisch protestirte.

Mithin erschienen schwere chirurgische Eingriffe auf keine Weise ge¬
rechtfertigt, und so kam der Arzt des genannten Lazareths, ausgehend von
den weiter unten noch zu erörternden Annahmen auf den Gedanken, durch
Anwendung blutwarmer Bäder die Heilung zu erzielen. Da theilweise Bäder,
des Sitzes der Verwundung wegen, nur mit großer Schwierigkeit hätten ge-
geben werden können, da außerdem der fortdauernde Gebrauch des Vollbades
auch noch aus später zu erwähnenden Gründen zweckmäßig erschien, so wurde
ein Badapparat construirt, welcher geeignet war, den ganzen kranken Körper
während Tag und Nacht in sich aufzunehmen, und welcher seinen Zweck in
jeder Beziehung so vollkommen erreichte, daß der Verwundete vier Monate
lang beinahe unausgesetzt in demselben verblieb.

Zu diesem Zwecke wurde eine ungefähr 6 Fuß lange und 3 Fuß



*) Alle Redactionen werden un baldigen Nahdcuck dieses Artikels höf¬
li Die Red. chst ersucht.
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[0289] Lin neues Keil'verfaljren bei SchWerverwundeten.^) Ein merkwürdiger Versuch, dessen unerhört glücklicher Ausgang der Kriegschirurgie selbst für die verzweifeltsten Fälle neue Wege eröffnet hat, ist in Heidelberg gemacht worden und glauben wir, da der betheiligte Arzt bis jetzt die Veröffentlichung abgelehnt hat, sowohl den Aerzten als den Ange¬ hörigen, besonders Schwerverwundeter, einen Liebesdienst zu erweisen, indem wir sie, wenn auch nur kurz, davon in Kenntniß setzen. Der als glücklicher Operateur bekannte Augenarzt Dr. Roter in Heidelberg, welcher sein ganzes großartiges Etablissement dem badischen Kriegsministerium für die Verwundeten dieses Krieges zur Verfügung gestellt hatte, nahm in dasselbe unter vielen Andern auch einen in der Schlacht von Wörth Schwer¬ verwundeten bayrischen Offizier auf. Demselben hatte eine Mitrailleusenkugel das linke Knie dergestalt zerstört, daß sowohl die beiden das Gelenk zusammen¬ setzenden Knochen, als auch die Weichtheile, sowie die Kniescheibe total zer¬ splittert und zerrissen waren. Als einzig mögliches Mittel zur Rettung war von sachkundiger Seite die Amputation des Oberschenkels angegeben und mehrfach auf das Dringendste empfohlen worden. Der bereits sehr geschwächte Zustand des Verwundeten, sowie die traurigen Resultate solcher Amputationen, wenn sie nicht gleich auf dem Schlachtfelde vorgenommen werden, deren tödt- lichen Ausgang man leider so vielfach zu beobachten Gelegenheit hatte, ver¬ anlaßten den behandelnden Arzt von der besagten Operation Abstand zu nehmen, wozu als bestärkendes Moment noch die entschiedene Weigerung des Verwundeten kam, der in Augenblicken klarer Besinnung gegen eine solche Verstümmelung seines Körpers energisch protestirte. Mithin erschienen schwere chirurgische Eingriffe auf keine Weise ge¬ rechtfertigt, und so kam der Arzt des genannten Lazareths, ausgehend von den weiter unten noch zu erörternden Annahmen auf den Gedanken, durch Anwendung blutwarmer Bäder die Heilung zu erzielen. Da theilweise Bäder, des Sitzes der Verwundung wegen, nur mit großer Schwierigkeit hätten ge- geben werden können, da außerdem der fortdauernde Gebrauch des Vollbades auch noch aus später zu erwähnenden Gründen zweckmäßig erschien, so wurde ein Badapparat construirt, welcher geeignet war, den ganzen kranken Körper während Tag und Nacht in sich aufzunehmen, und welcher seinen Zweck in jeder Beziehung so vollkommen erreichte, daß der Verwundete vier Monate lang beinahe unausgesetzt in demselben verblieb. Zu diesem Zwecke wurde eine ungefähr 6 Fuß lange und 3 Fuß *) Alle Redactionen werden un baldigen Nahdcuck dieses Artikels höf¬ li Die Red. chst ersucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/289>, abgerufen am 26.06.2024.