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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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gen Renegaten ist allerdings auf der anderen Seite so groß, daß ein Zusam¬
mengehen des Ministeriums mit dieser Partei in nächster Zeit, namentlich bei
den Neichsparlamentswcchlen, kaum zu befürchten ist.

Die bitterste Pille für die Regierung war unzweifelhaft die am Schluß
der Session von allen Fractionen, mit Ausnahme der Demokraten und Ultra¬
montanen erlassene Dankadresse. Sie war verfaßt von dem Professor Römer
in Tübingen, dem Mann, der in den letzten vier Jahren mit seltener Ueber-
zeugungstreue und Rücksichtslosigkeit die nationale Sache im Süden vertreten
hatte, der stets aufs Genaueste über die Ränke der Minister, Varnbüler und
Golther, instruirt war und sie unbarmherzig ans Tageslicht gezogen hatte.
Auf ihn hatte sich der ganze Haß des bisherigen Regiments concentrirt, und
noch drei Viertel Jahre zuvor war seiner Wahl zum Rector der Universität
(als erstem in Borschlag) die Sanction versagt worden, als einer Person,
welche "unmöglich" sei, und heute überreichte eine Deputation der Ständekam-
mer -- darunter Römer selbst -- dem König die von jenem verfaßte, und
dann ohne Modification angenommene Adresse, in welcher die Stände der
Krone ihren Dank aussprechen "für den hochherzigen Entschluß, die
Herstellung eines deutschen Bundesstaats anzubahnen", und
welche constatirt, "daß die Stände ganz in dem Geiste, welcher die
Krone und das württembergische Volk beseele, den Verträgen
über die Bildung des deutschen Bundesstaats und die Wieder-
aufrichtung der altehrwürdigen Namen Kaiser und Reich ihre
Zustimmung ertheilt haben! -- Wie schon angedeutet worden, wurden
die Stände, nachdem sie noch die erforderlichen Credite für die Fortführung
des Kriegs -- letztere mit allen gegen die Eine Stimme von Hopf's, des
Parteigängers von Kolb, Bebel und Liebknecht -- so wie die Forterhebung
der Steuern bis zum 30. Juni 1871 verwilligt hatten, bis auf Weiteres vertagt.

Sie haben in den 14 Tagen ihres Beisammenseins mehr vollbracht, als,
je eine Ständekammer seit dem 30 jährigen Bestand der jetzigen württembergi¬
schen Verfassung; aber nicht geringer sind die Aufgaben, welche ihrer bei
ihrem Wiederzusammentritt harren.

Jetzt gilt, den neuen Rechtszustand Schwabens im Innern auszu¬
bauen. Hoffen wir, daß dies im Geiste der Freiheit und mit derjenigen
Mäßigung geschehe, welche nothwendig ist, um in dem durch Parteikämpfe
zerrütteten Land endlich wieder den inneren Frieden herzustellen und zu sichern.




gen Renegaten ist allerdings auf der anderen Seite so groß, daß ein Zusam¬
mengehen des Ministeriums mit dieser Partei in nächster Zeit, namentlich bei
den Neichsparlamentswcchlen, kaum zu befürchten ist.

Die bitterste Pille für die Regierung war unzweifelhaft die am Schluß
der Session von allen Fractionen, mit Ausnahme der Demokraten und Ultra¬
montanen erlassene Dankadresse. Sie war verfaßt von dem Professor Römer
in Tübingen, dem Mann, der in den letzten vier Jahren mit seltener Ueber-
zeugungstreue und Rücksichtslosigkeit die nationale Sache im Süden vertreten
hatte, der stets aufs Genaueste über die Ränke der Minister, Varnbüler und
Golther, instruirt war und sie unbarmherzig ans Tageslicht gezogen hatte.
Auf ihn hatte sich der ganze Haß des bisherigen Regiments concentrirt, und
noch drei Viertel Jahre zuvor war seiner Wahl zum Rector der Universität
(als erstem in Borschlag) die Sanction versagt worden, als einer Person,
welche „unmöglich" sei, und heute überreichte eine Deputation der Ständekam-
mer — darunter Römer selbst — dem König die von jenem verfaßte, und
dann ohne Modification angenommene Adresse, in welcher die Stände der
Krone ihren Dank aussprechen „für den hochherzigen Entschluß, die
Herstellung eines deutschen Bundesstaats anzubahnen", und
welche constatirt, „daß die Stände ganz in dem Geiste, welcher die
Krone und das württembergische Volk beseele, den Verträgen
über die Bildung des deutschen Bundesstaats und die Wieder-
aufrichtung der altehrwürdigen Namen Kaiser und Reich ihre
Zustimmung ertheilt haben! — Wie schon angedeutet worden, wurden
die Stände, nachdem sie noch die erforderlichen Credite für die Fortführung
des Kriegs — letztere mit allen gegen die Eine Stimme von Hopf's, des
Parteigängers von Kolb, Bebel und Liebknecht — so wie die Forterhebung
der Steuern bis zum 30. Juni 1871 verwilligt hatten, bis auf Weiteres vertagt.

Sie haben in den 14 Tagen ihres Beisammenseins mehr vollbracht, als,
je eine Ständekammer seit dem 30 jährigen Bestand der jetzigen württembergi¬
schen Verfassung; aber nicht geringer sind die Aufgaben, welche ihrer bei
ihrem Wiederzusammentritt harren.

Jetzt gilt, den neuen Rechtszustand Schwabens im Innern auszu¬
bauen. Hoffen wir, daß dies im Geiste der Freiheit und mit derjenigen
Mäßigung geschehe, welche nothwendig ist, um in dem durch Parteikämpfe
zerrütteten Land endlich wieder den inneren Frieden herzustellen und zu sichern.




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[0288] gen Renegaten ist allerdings auf der anderen Seite so groß, daß ein Zusam¬ mengehen des Ministeriums mit dieser Partei in nächster Zeit, namentlich bei den Neichsparlamentswcchlen, kaum zu befürchten ist. Die bitterste Pille für die Regierung war unzweifelhaft die am Schluß der Session von allen Fractionen, mit Ausnahme der Demokraten und Ultra¬ montanen erlassene Dankadresse. Sie war verfaßt von dem Professor Römer in Tübingen, dem Mann, der in den letzten vier Jahren mit seltener Ueber- zeugungstreue und Rücksichtslosigkeit die nationale Sache im Süden vertreten hatte, der stets aufs Genaueste über die Ränke der Minister, Varnbüler und Golther, instruirt war und sie unbarmherzig ans Tageslicht gezogen hatte. Auf ihn hatte sich der ganze Haß des bisherigen Regiments concentrirt, und noch drei Viertel Jahre zuvor war seiner Wahl zum Rector der Universität (als erstem in Borschlag) die Sanction versagt worden, als einer Person, welche „unmöglich" sei, und heute überreichte eine Deputation der Ständekam- mer — darunter Römer selbst — dem König die von jenem verfaßte, und dann ohne Modification angenommene Adresse, in welcher die Stände der Krone ihren Dank aussprechen „für den hochherzigen Entschluß, die Herstellung eines deutschen Bundesstaats anzubahnen", und welche constatirt, „daß die Stände ganz in dem Geiste, welcher die Krone und das württembergische Volk beseele, den Verträgen über die Bildung des deutschen Bundesstaats und die Wieder- aufrichtung der altehrwürdigen Namen Kaiser und Reich ihre Zustimmung ertheilt haben! — Wie schon angedeutet worden, wurden die Stände, nachdem sie noch die erforderlichen Credite für die Fortführung des Kriegs — letztere mit allen gegen die Eine Stimme von Hopf's, des Parteigängers von Kolb, Bebel und Liebknecht — so wie die Forterhebung der Steuern bis zum 30. Juni 1871 verwilligt hatten, bis auf Weiteres vertagt. Sie haben in den 14 Tagen ihres Beisammenseins mehr vollbracht, als, je eine Ständekammer seit dem 30 jährigen Bestand der jetzigen württembergi¬ schen Verfassung; aber nicht geringer sind die Aufgaben, welche ihrer bei ihrem Wiederzusammentritt harren. Jetzt gilt, den neuen Rechtszustand Schwabens im Innern auszu¬ bauen. Hoffen wir, daß dies im Geiste der Freiheit und mit derjenigen Mäßigung geschehe, welche nothwendig ist, um in dem durch Parteikämpfe zerrütteten Land endlich wieder den inneren Frieden herzustellen und zu sichern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/288>, abgerufen am 26.06.2024.