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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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die deutsche Partei in der Kammer im Verein mit den nationalgesinnten "Pri-
vilegirten" (Ritterschaft, Prälaten und Universitätskanzler) unbedingt über die
Mehrheit verfügt. Die Regierung legte ihre Verstimmung über dieses Wahl¬
ergebniß dadurch an den Tag, daß sie die Ernennung des Präsidenten länger
als gewöhnlich verzögerte.

Aehnlich war das Stimmverhältniß bei dem Elben'schen Antrag. Be¬
kanntlich hatte das Ministerium Barnbüler-Mittnacht im Frühjahr 1868 bei
den Zollparlamentswahlen den Sieg der demokratisch-ultramontanen und par-
ticularistischen Coalition wesentlich durch die wahrhaft monströse Zusammen¬
setzung der Wahlbezirke herbeigeführt, welche es unmöglich machte, selbst in
ganz nationalgesinnten Orten einen Candidaten der deutschen Partei durchzu¬
setzen. Die Bezirke waren sogar mit Rücksicht auf bestimmte einzelne Candi¬
daten und deren Chancen gefertigt worden. Einer erstreckte sich wie ein schma¬
les Band durch die ganze Breite des Königreichs von der bayrischen bis zur
badischen Grenze: die ultramontanen Elemente sollten überall den Ausschlag
geben. Da nun das Reichswahlgesetz eine definitive Abgrenzung der Wahl¬
bezirke durch die Gesetzgebung vorbehält, bis dahin aber die gegenwärtigen
Wahlkreise beibehalten werden sollen, während bis jetzt eine Regulirung solcher
Kreise nur für die Zollparlamentswahlen vorliegt, wurde von Elben die
Bitte an die Regierung beantragt, die Wahlkreise für die bevorstehenden
Reichstagswahlen so abzugrenzen, daß unter räumlichem Zusammenhang der
Kreise die einzelnen Oberämter (politische Verwaltungsbezirke) nicht zerrissen
werden, ein Antrag, welcher um so mehr gerechtfertigt war, als die Verordnung
des Jahres 1868 den Voraussetzungen des Reichswahlgesetzes über die örtliche
Abgrenzung der Wahlbezirke jedenfalls nicht entspricht. Auch dieser Antrag,
welchem natürlich die Zollparlamentsmänner Mohl und Probst Widerspruch
entgegensetzten, während die Regierung unter Bezugnahme auf die maßgebende
Stimme des Bundesraths eine ausweichende Antwort gab, wurde mit 46
gegen 35 Stimmen angenommen; wiederum bestand die Minderheit aus dem
gesammten Regierungsklub und der demokratischen Partei.

Im Allgemeinen ließ sich während dieser kurzen Session die Beobachtung
machen, daß dem Ministerium auch jetzt noch sehr schwer wird, mit seiner
großdeutschen Vergangenheit zu brechen. Vernunft und Berechnung, um nicht
zu sagen Egoismus, hat die Minister zwar genöthigt, wollten sie nicht durch
den Strom der Ereignisse fortgerissen werden, sich zur nationalen Farbe
äußerlich zu bekennen, die Sympathien der meisten aber sind immer noch
im particularistischen Lager und das Mißtrauen gegen die "Hoch- und
Landesverräther", welche den Eintritt in den Nordbund bisher schon erstrebt
hatten, ist trotz aller Versuche der Aussöhnung noch nicht beseitigt. Die Er.
bitterung der Großdeutschen gegen ihre früheren Wortführer und nunmehri-


die deutsche Partei in der Kammer im Verein mit den nationalgesinnten „Pri-
vilegirten" (Ritterschaft, Prälaten und Universitätskanzler) unbedingt über die
Mehrheit verfügt. Die Regierung legte ihre Verstimmung über dieses Wahl¬
ergebniß dadurch an den Tag, daß sie die Ernennung des Präsidenten länger
als gewöhnlich verzögerte.

Aehnlich war das Stimmverhältniß bei dem Elben'schen Antrag. Be¬
kanntlich hatte das Ministerium Barnbüler-Mittnacht im Frühjahr 1868 bei
den Zollparlamentswahlen den Sieg der demokratisch-ultramontanen und par-
ticularistischen Coalition wesentlich durch die wahrhaft monströse Zusammen¬
setzung der Wahlbezirke herbeigeführt, welche es unmöglich machte, selbst in
ganz nationalgesinnten Orten einen Candidaten der deutschen Partei durchzu¬
setzen. Die Bezirke waren sogar mit Rücksicht auf bestimmte einzelne Candi¬
daten und deren Chancen gefertigt worden. Einer erstreckte sich wie ein schma¬
les Band durch die ganze Breite des Königreichs von der bayrischen bis zur
badischen Grenze: die ultramontanen Elemente sollten überall den Ausschlag
geben. Da nun das Reichswahlgesetz eine definitive Abgrenzung der Wahl¬
bezirke durch die Gesetzgebung vorbehält, bis dahin aber die gegenwärtigen
Wahlkreise beibehalten werden sollen, während bis jetzt eine Regulirung solcher
Kreise nur für die Zollparlamentswahlen vorliegt, wurde von Elben die
Bitte an die Regierung beantragt, die Wahlkreise für die bevorstehenden
Reichstagswahlen so abzugrenzen, daß unter räumlichem Zusammenhang der
Kreise die einzelnen Oberämter (politische Verwaltungsbezirke) nicht zerrissen
werden, ein Antrag, welcher um so mehr gerechtfertigt war, als die Verordnung
des Jahres 1868 den Voraussetzungen des Reichswahlgesetzes über die örtliche
Abgrenzung der Wahlbezirke jedenfalls nicht entspricht. Auch dieser Antrag,
welchem natürlich die Zollparlamentsmänner Mohl und Probst Widerspruch
entgegensetzten, während die Regierung unter Bezugnahme auf die maßgebende
Stimme des Bundesraths eine ausweichende Antwort gab, wurde mit 46
gegen 35 Stimmen angenommen; wiederum bestand die Minderheit aus dem
gesammten Regierungsklub und der demokratischen Partei.

Im Allgemeinen ließ sich während dieser kurzen Session die Beobachtung
machen, daß dem Ministerium auch jetzt noch sehr schwer wird, mit seiner
großdeutschen Vergangenheit zu brechen. Vernunft und Berechnung, um nicht
zu sagen Egoismus, hat die Minister zwar genöthigt, wollten sie nicht durch
den Strom der Ereignisse fortgerissen werden, sich zur nationalen Farbe
äußerlich zu bekennen, die Sympathien der meisten aber sind immer noch
im particularistischen Lager und das Mißtrauen gegen die „Hoch- und
Landesverräther", welche den Eintritt in den Nordbund bisher schon erstrebt
hatten, ist trotz aller Versuche der Aussöhnung noch nicht beseitigt. Die Er.
bitterung der Großdeutschen gegen ihre früheren Wortführer und nunmehri-


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[0287] die deutsche Partei in der Kammer im Verein mit den nationalgesinnten „Pri- vilegirten" (Ritterschaft, Prälaten und Universitätskanzler) unbedingt über die Mehrheit verfügt. Die Regierung legte ihre Verstimmung über dieses Wahl¬ ergebniß dadurch an den Tag, daß sie die Ernennung des Präsidenten länger als gewöhnlich verzögerte. Aehnlich war das Stimmverhältniß bei dem Elben'schen Antrag. Be¬ kanntlich hatte das Ministerium Barnbüler-Mittnacht im Frühjahr 1868 bei den Zollparlamentswahlen den Sieg der demokratisch-ultramontanen und par- ticularistischen Coalition wesentlich durch die wahrhaft monströse Zusammen¬ setzung der Wahlbezirke herbeigeführt, welche es unmöglich machte, selbst in ganz nationalgesinnten Orten einen Candidaten der deutschen Partei durchzu¬ setzen. Die Bezirke waren sogar mit Rücksicht auf bestimmte einzelne Candi¬ daten und deren Chancen gefertigt worden. Einer erstreckte sich wie ein schma¬ les Band durch die ganze Breite des Königreichs von der bayrischen bis zur badischen Grenze: die ultramontanen Elemente sollten überall den Ausschlag geben. Da nun das Reichswahlgesetz eine definitive Abgrenzung der Wahl¬ bezirke durch die Gesetzgebung vorbehält, bis dahin aber die gegenwärtigen Wahlkreise beibehalten werden sollen, während bis jetzt eine Regulirung solcher Kreise nur für die Zollparlamentswahlen vorliegt, wurde von Elben die Bitte an die Regierung beantragt, die Wahlkreise für die bevorstehenden Reichstagswahlen so abzugrenzen, daß unter räumlichem Zusammenhang der Kreise die einzelnen Oberämter (politische Verwaltungsbezirke) nicht zerrissen werden, ein Antrag, welcher um so mehr gerechtfertigt war, als die Verordnung des Jahres 1868 den Voraussetzungen des Reichswahlgesetzes über die örtliche Abgrenzung der Wahlbezirke jedenfalls nicht entspricht. Auch dieser Antrag, welchem natürlich die Zollparlamentsmänner Mohl und Probst Widerspruch entgegensetzten, während die Regierung unter Bezugnahme auf die maßgebende Stimme des Bundesraths eine ausweichende Antwort gab, wurde mit 46 gegen 35 Stimmen angenommen; wiederum bestand die Minderheit aus dem gesammten Regierungsklub und der demokratischen Partei. Im Allgemeinen ließ sich während dieser kurzen Session die Beobachtung machen, daß dem Ministerium auch jetzt noch sehr schwer wird, mit seiner großdeutschen Vergangenheit zu brechen. Vernunft und Berechnung, um nicht zu sagen Egoismus, hat die Minister zwar genöthigt, wollten sie nicht durch den Strom der Ereignisse fortgerissen werden, sich zur nationalen Farbe äußerlich zu bekennen, die Sympathien der meisten aber sind immer noch im particularistischen Lager und das Mißtrauen gegen die „Hoch- und Landesverräther", welche den Eintritt in den Nordbund bisher schon erstrebt hatten, ist trotz aller Versuche der Aussöhnung noch nicht beseitigt. Die Er. bitterung der Großdeutschen gegen ihre früheren Wortführer und nunmehri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/287>, abgerufen am 26.06.2024.