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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Bahn praktischer Politik zu betreten, und nicht durch pathetische Phrasen, son¬
dern durch die That die längst der Reform bedürftigen schwäbischen Rechts¬
zustände zu verbessern. Rasch und sicher wickelten sich jetzt alle Geschäfte ab;
die Commissionen wurden von den ultramontanen Elementen gründlich ge¬
säubert und ein einheitliches Zusammenwirken hergestellt. Die erste Vorlage
an die neue Kammer bildeten die Verträge über die Constituirung des deut¬
schen Reichs; nicht weniger als 30 Gesetze des bisherigen Norddeutschen Bundes
sollten neben der Reichsverfassung auf einmal zur Einführung gelangen
Gesetze, welche in alle Lebensverhältnisse eingreifen und die wichtigsten Ein¬
richtungen des Landes von Grund aus zu ändern geeignet sind. Was die
nationale Partei ihren Gegnern seit vier Jahren bei jeder Gelegenheit voraus¬
gesagt hatte, war jetzt eingetroffen; man mußte nun ohne Debatte alle die
Gesetze annehmen, an welchen man, bei richtigem Verständniß der Situation,
s. Z. hätte mitberathen können. Freilich, die Ueberreste jener Männer, welche
einst so kleinlich über die Grenzen der zollparlamentlichen Competenz gewacht
hatten, die Mohl, Probst, Oesterlen, machten auch jetzt noch einen Versuch,
die Entscheidung wenigstens zu verzögern, indem sie auf Grund der Geschäfts¬
ordnung einen gedruckten Bericht der Commission verlangten. Welche Ge¬
legenheit zu jahrelanger Ausarbeitung eines Berichts in Mohl'scher Manier!
Eine Mehrheit von 67 gegen 17 Stimmen beschloß aber Berathung auf
Grund eines ungedruckten Berichtes. Am 22. und 23. Dezember fand die
Debatte statt. Obgleich man des Resultats sicher war, wurde dieselbe erst ge¬
schlossen, nachdem alle Redner von gegnerischer Seite gesprochen hatten. Den
Reden der Großdeutschen fehlte diesmal jeder Schwung der Begeiste¬
rung, sie fühlten, daß sie für eine verlorene Sache kämpften. Mohl "der
Schreckliche", welcher durch eine zweistündige mit unheilvollen Prophezeihungen
angefüllte Rede die Kammer langweilte, konnte aus dem Gelächter der
Gallerie wie der Kammer entnehmen, daß seine Zeit auch in Schwaben vor¬
über ist (in seiner Wahlrede in Aalen hatte dieses Unicum erklärt, daß er dem
Eintritt in den neuen Bund nimmermehr zustimmen werde, zugleich aber sich
zum Abgeordneten für den künftigen Reichstag empfohlen); Probst aber kam
auf das oben erwähnte easturum censeo zurück, und verlangte, der preußische
Staat müsse erst in seine einzelnen Provinzen zerschlagen werden, ehe man
in das Reich eintreten könne. Interessant war eigentlich nur die Abstimmung.
Während die Hauptverträge mit 74 gegen 14 Stimmen angenommen wurden, fan¬
den sich bei dem Nachtrag, betreffend die Annahme der Kaiserwürde, nur noch
7 Opponenten gegen 81 Zustimmende. Die Namen dieser merkwürdigen
7 Schwaben sind: Mohl, Probst, Steller, Hopf, Gutheinz, Kühle
und Egel Hof. Damit war das Hauptgeschäft dieser Session erledigt. In
der Kammer der Standesherrn stießen die Verträge nur auf 3 Widersacher:


Bahn praktischer Politik zu betreten, und nicht durch pathetische Phrasen, son¬
dern durch die That die längst der Reform bedürftigen schwäbischen Rechts¬
zustände zu verbessern. Rasch und sicher wickelten sich jetzt alle Geschäfte ab;
die Commissionen wurden von den ultramontanen Elementen gründlich ge¬
säubert und ein einheitliches Zusammenwirken hergestellt. Die erste Vorlage
an die neue Kammer bildeten die Verträge über die Constituirung des deut¬
schen Reichs; nicht weniger als 30 Gesetze des bisherigen Norddeutschen Bundes
sollten neben der Reichsverfassung auf einmal zur Einführung gelangen
Gesetze, welche in alle Lebensverhältnisse eingreifen und die wichtigsten Ein¬
richtungen des Landes von Grund aus zu ändern geeignet sind. Was die
nationale Partei ihren Gegnern seit vier Jahren bei jeder Gelegenheit voraus¬
gesagt hatte, war jetzt eingetroffen; man mußte nun ohne Debatte alle die
Gesetze annehmen, an welchen man, bei richtigem Verständniß der Situation,
s. Z. hätte mitberathen können. Freilich, die Ueberreste jener Männer, welche
einst so kleinlich über die Grenzen der zollparlamentlichen Competenz gewacht
hatten, die Mohl, Probst, Oesterlen, machten auch jetzt noch einen Versuch,
die Entscheidung wenigstens zu verzögern, indem sie auf Grund der Geschäfts¬
ordnung einen gedruckten Bericht der Commission verlangten. Welche Ge¬
legenheit zu jahrelanger Ausarbeitung eines Berichts in Mohl'scher Manier!
Eine Mehrheit von 67 gegen 17 Stimmen beschloß aber Berathung auf
Grund eines ungedruckten Berichtes. Am 22. und 23. Dezember fand die
Debatte statt. Obgleich man des Resultats sicher war, wurde dieselbe erst ge¬
schlossen, nachdem alle Redner von gegnerischer Seite gesprochen hatten. Den
Reden der Großdeutschen fehlte diesmal jeder Schwung der Begeiste¬
rung, sie fühlten, daß sie für eine verlorene Sache kämpften. Mohl „der
Schreckliche", welcher durch eine zweistündige mit unheilvollen Prophezeihungen
angefüllte Rede die Kammer langweilte, konnte aus dem Gelächter der
Gallerie wie der Kammer entnehmen, daß seine Zeit auch in Schwaben vor¬
über ist (in seiner Wahlrede in Aalen hatte dieses Unicum erklärt, daß er dem
Eintritt in den neuen Bund nimmermehr zustimmen werde, zugleich aber sich
zum Abgeordneten für den künftigen Reichstag empfohlen); Probst aber kam
auf das oben erwähnte easturum censeo zurück, und verlangte, der preußische
Staat müsse erst in seine einzelnen Provinzen zerschlagen werden, ehe man
in das Reich eintreten könne. Interessant war eigentlich nur die Abstimmung.
Während die Hauptverträge mit 74 gegen 14 Stimmen angenommen wurden, fan¬
den sich bei dem Nachtrag, betreffend die Annahme der Kaiserwürde, nur noch
7 Opponenten gegen 81 Zustimmende. Die Namen dieser merkwürdigen
7 Schwaben sind: Mohl, Probst, Steller, Hopf, Gutheinz, Kühle
und Egel Hof. Damit war das Hauptgeschäft dieser Session erledigt. In
der Kammer der Standesherrn stießen die Verträge nur auf 3 Widersacher:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/284>, abgerufen am 26.06.2024.