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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Man besann sich deshalb rasch eines Bessern, und schon am 20. November
waren die beiden Minister auf dem Wege nach Berlin zur Unterzeichnung
des Vertrags, welche am 25., nachdem inzwischen die Vollmachten der Ge¬
sandten einer genauen Revision unterworfen worden waren, endlich erfolgte.
Seit diesen Vorgängen soll die Stellung des Herrn von Mittnacht, der schon
bisher bei Hofe mehr gefürchtet als beliebt war, vollends untergraben sein;
es wird ihm nämlich dort, wo man seiner Zeit seine Rede gegen Braun im
Zollparlament mit so großem Beifall aufgenommen hatte, nunmehr vorge¬
worfen, daß er zu sehr bemüht gewesen sei, bei der neuen Reichsgewalt Ver-
zeihung für seine früheren mißliebigen Rencontre's zu erlangen, und daß die
Aussöhnung gleichsam auf Kosten der württembergischen Krone erfolgt sei.

So verlief die Geburt des deutschen Reichs in den officiellen Kreisen
Schwabens; ungleich erfreulicher und erhebender war dagegen das Verhalten
des Volks gegenüber der neuen Phase staatlicher Entwicklung. Der Krieg
hatte alle Voreingenommenheit gegen Preußen, welche wenigstens in den
protestantischen Theilen des Landes von Anfang an ein künstliches Product
der Agitation gewesen, mit einem Schlag verwischt, die Bevölkerung lernte
die norddeutschen Brüder nicht nur im Felde, sondern auch -- durch die
zahlreichen Verwundeten -- zu Hause kennen und 'liebgewinnen. Der
"Beobachter", und die andern demokratischen Organe, wagten nicht mehr
von den "halbgermanischen Völkern der norddeutschen Tiefebene" zu sprechen,
und den Racenhaß zu predigen, und wo sie es ausnahmsweise versuchten,
wie durch den Abdruck der C. Vogt'schen Briefe aus der Wiener Tagespresse,
so ernteten sie nur allgemeine Verachtung. In kurzer Zeit war jenes
bisher tonangebende Blatt so sehr in der öffentlichen Meinung vernichtet, und
sein Absatz so reducirt, daß sein bisheriger Eigenthümer und Redacteur,
K. Mayer, mit Ende des Jahres die Redaction niederlegte, da die bis¬
herigen Mittel der demokratischen Agitation verbraucht seien.

- Die veränderte Stimmung des Landes fand ihren Ausdruck in dem Er¬
gebnisse der Abgeordnetenwahl, welche am 5. December v. I. stattfand. Die
Regierung hatte die im Juli t868, unter dem Einfluß der bekannten drei¬
fachen Coalition gewählte Ständekammer, am 22. Oktober v. I., unter Hin¬
weisung auf die gänzlich veränderte Zeitlage aufgelöst. Noch vor dem
Wahltag war der Inhalt der Verfassungsverträge veröffentlicht worden.
Man wußte also ganz genau, um was es sich bei dieser Wahl handelte.
Demokraten und Ultramontane suchten denn auch alle nur denkbaren Argu¬
mente gegen die Neugestaltung der deutschen Verfassung ins Feld zu führen,
und dieselben Leute, welche im Zollparlament jede Competenzerweiterung aufs
Erbittertste bekämpft hatten, weil hierzu die Einwilligung jedes einzelnen Süd¬
staates nothwendig sei, verlangten jetzt die Berufung eines constituirenden


Man besann sich deshalb rasch eines Bessern, und schon am 20. November
waren die beiden Minister auf dem Wege nach Berlin zur Unterzeichnung
des Vertrags, welche am 25., nachdem inzwischen die Vollmachten der Ge¬
sandten einer genauen Revision unterworfen worden waren, endlich erfolgte.
Seit diesen Vorgängen soll die Stellung des Herrn von Mittnacht, der schon
bisher bei Hofe mehr gefürchtet als beliebt war, vollends untergraben sein;
es wird ihm nämlich dort, wo man seiner Zeit seine Rede gegen Braun im
Zollparlament mit so großem Beifall aufgenommen hatte, nunmehr vorge¬
worfen, daß er zu sehr bemüht gewesen sei, bei der neuen Reichsgewalt Ver-
zeihung für seine früheren mißliebigen Rencontre's zu erlangen, und daß die
Aussöhnung gleichsam auf Kosten der württembergischen Krone erfolgt sei.

So verlief die Geburt des deutschen Reichs in den officiellen Kreisen
Schwabens; ungleich erfreulicher und erhebender war dagegen das Verhalten
des Volks gegenüber der neuen Phase staatlicher Entwicklung. Der Krieg
hatte alle Voreingenommenheit gegen Preußen, welche wenigstens in den
protestantischen Theilen des Landes von Anfang an ein künstliches Product
der Agitation gewesen, mit einem Schlag verwischt, die Bevölkerung lernte
die norddeutschen Brüder nicht nur im Felde, sondern auch — durch die
zahlreichen Verwundeten — zu Hause kennen und 'liebgewinnen. Der
„Beobachter", und die andern demokratischen Organe, wagten nicht mehr
von den „halbgermanischen Völkern der norddeutschen Tiefebene" zu sprechen,
und den Racenhaß zu predigen, und wo sie es ausnahmsweise versuchten,
wie durch den Abdruck der C. Vogt'schen Briefe aus der Wiener Tagespresse,
so ernteten sie nur allgemeine Verachtung. In kurzer Zeit war jenes
bisher tonangebende Blatt so sehr in der öffentlichen Meinung vernichtet, und
sein Absatz so reducirt, daß sein bisheriger Eigenthümer und Redacteur,
K. Mayer, mit Ende des Jahres die Redaction niederlegte, da die bis¬
herigen Mittel der demokratischen Agitation verbraucht seien.

- Die veränderte Stimmung des Landes fand ihren Ausdruck in dem Er¬
gebnisse der Abgeordnetenwahl, welche am 5. December v. I. stattfand. Die
Regierung hatte die im Juli t868, unter dem Einfluß der bekannten drei¬
fachen Coalition gewählte Ständekammer, am 22. Oktober v. I., unter Hin¬
weisung auf die gänzlich veränderte Zeitlage aufgelöst. Noch vor dem
Wahltag war der Inhalt der Verfassungsverträge veröffentlicht worden.
Man wußte also ganz genau, um was es sich bei dieser Wahl handelte.
Demokraten und Ultramontane suchten denn auch alle nur denkbaren Argu¬
mente gegen die Neugestaltung der deutschen Verfassung ins Feld zu führen,
und dieselben Leute, welche im Zollparlament jede Competenzerweiterung aufs
Erbittertste bekämpft hatten, weil hierzu die Einwilligung jedes einzelnen Süd¬
staates nothwendig sei, verlangten jetzt die Berufung eines constituirenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/282>, abgerufen am 26.06.2024.