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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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in gemeinsamer Conferenz gepflogen wurden, den besten Verlauf; am 12. war
man über die wesentlichen Grundlagen einig, und, am folgenden Tage sollte
die Unterzeichnung des Vertrags durch die beiderseitigen Bevollmächtigten statt¬
finden, da man sich verständigt hatte, daß die weiteren Verhandlungen mit
Bayern, welches noch immer in seiner Sonderstellung beharrte, in München
fortgeführt werden sollten. Da lief am Abend vor der Unterzeichnung das
Telegramm aus Stuttgart bei den Herren v. Mittnacht und Succow ein:
"Nicht unterzeichnen, mit Bayern zusammengehen!"

Während nämlich die bayrischen Bevollmächtigten, namentlich in Folge
der ausweichenden Haltung des Herrn v. Mittnacht, sich in Versailles ziem¬
lich isolirt gefunden hatten, waren inzwischen mit Beihilfe des Herrn von
Beust und seines Botschafters durch den bayrischen Gesandten in Stuttgart,
H. v. Gaffer, alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um bei den in den
dortigen Hofkreisen sich das Gleichgewicht haltenden nationalen und particu-
laristischen Strömungen, durch den Einfluß einer hohen Dame den Ausschlag
für letztere herbeizuführen, und Württemberg für die bayrische Politik zu ge¬
winnen. Die Tochter des Zaaren Nicolaus soll denn auch, so wird ver¬
sichert, ihrem Gemahl erklärt haben: "als ich Majestät die Hand am
Altare reichte, wollte ich eine ganze Königin werden, nicht die
Gemahlin eines mediatisirten Fürsten." Genug, plötzlich erfolgte
ein Umschwung in den höchsten Kreisen, welcher den in Stuttgart ver¬
bliebenen Ministern zu ihrer größten Ueberraschung als vollendete Thatsache
entgegentrat. Sie glaubten, sich der neuen Strömung fügen zu müssen, und
das Telegramm ging ab. Die beiden Adressaten waren über das plötzliche
Dementi, welches sie dem Bundeskanzler gegenüber aufs Höchste bloßstellte,
ganz verblüfft, reisten sofort, ohne eine Ermächtigung ihres Souveräns
abzuwarten, nach Stuttgart zurück, und stellten hier den König vor die Alter¬
native, entweder ihre Demission anzunehmen, oder die von ihnen ihrer In-
struction gemäß vereinbarten Abmachungen zu genehmigen. In den Hof-
kreisen war die Bestürzung über diese Rückkehr nicht gering; man hatte ja
nur gewünscht, daß die Minister mit Bayern im Einvernehmen blieben -- und
nun dieser brüske Abbruch der Verhandlungen vor den Augen von ganz Eu¬
ropa! Dazu kam, daß nicht nur Baden und Hessen inzwischen am 13. die
neuen Verträge unterzeichnet, sondern daß auch Bayern, das eben noch den
Renitenten gespielt, plötzlich eingelenkt hatte. Man mußte auch diesmal
wieder die alte Erfahrung machen, daß Bayern zwar gern Württemberg gegen¬
über die Stellung einer Vormacht eingenommen hätte, daß es aber, sobald man
von dort mit Ansprüchen auf Gleichstellung hervortrat, eine solche Anmaßung
mit Geringschätzung zurückwies und vortheilhafter fand, für sich allein zu
verhandeln. So war man denn in Stuttgart wieder einmal völlig isolirt.


in gemeinsamer Conferenz gepflogen wurden, den besten Verlauf; am 12. war
man über die wesentlichen Grundlagen einig, und, am folgenden Tage sollte
die Unterzeichnung des Vertrags durch die beiderseitigen Bevollmächtigten statt¬
finden, da man sich verständigt hatte, daß die weiteren Verhandlungen mit
Bayern, welches noch immer in seiner Sonderstellung beharrte, in München
fortgeführt werden sollten. Da lief am Abend vor der Unterzeichnung das
Telegramm aus Stuttgart bei den Herren v. Mittnacht und Succow ein:
„Nicht unterzeichnen, mit Bayern zusammengehen!"

Während nämlich die bayrischen Bevollmächtigten, namentlich in Folge
der ausweichenden Haltung des Herrn v. Mittnacht, sich in Versailles ziem¬
lich isolirt gefunden hatten, waren inzwischen mit Beihilfe des Herrn von
Beust und seines Botschafters durch den bayrischen Gesandten in Stuttgart,
H. v. Gaffer, alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um bei den in den
dortigen Hofkreisen sich das Gleichgewicht haltenden nationalen und particu-
laristischen Strömungen, durch den Einfluß einer hohen Dame den Ausschlag
für letztere herbeizuführen, und Württemberg für die bayrische Politik zu ge¬
winnen. Die Tochter des Zaaren Nicolaus soll denn auch, so wird ver¬
sichert, ihrem Gemahl erklärt haben: „als ich Majestät die Hand am
Altare reichte, wollte ich eine ganze Königin werden, nicht die
Gemahlin eines mediatisirten Fürsten." Genug, plötzlich erfolgte
ein Umschwung in den höchsten Kreisen, welcher den in Stuttgart ver¬
bliebenen Ministern zu ihrer größten Ueberraschung als vollendete Thatsache
entgegentrat. Sie glaubten, sich der neuen Strömung fügen zu müssen, und
das Telegramm ging ab. Die beiden Adressaten waren über das plötzliche
Dementi, welches sie dem Bundeskanzler gegenüber aufs Höchste bloßstellte,
ganz verblüfft, reisten sofort, ohne eine Ermächtigung ihres Souveräns
abzuwarten, nach Stuttgart zurück, und stellten hier den König vor die Alter¬
native, entweder ihre Demission anzunehmen, oder die von ihnen ihrer In-
struction gemäß vereinbarten Abmachungen zu genehmigen. In den Hof-
kreisen war die Bestürzung über diese Rückkehr nicht gering; man hatte ja
nur gewünscht, daß die Minister mit Bayern im Einvernehmen blieben — und
nun dieser brüske Abbruch der Verhandlungen vor den Augen von ganz Eu¬
ropa! Dazu kam, daß nicht nur Baden und Hessen inzwischen am 13. die
neuen Verträge unterzeichnet, sondern daß auch Bayern, das eben noch den
Renitenten gespielt, plötzlich eingelenkt hatte. Man mußte auch diesmal
wieder die alte Erfahrung machen, daß Bayern zwar gern Württemberg gegen¬
über die Stellung einer Vormacht eingenommen hätte, daß es aber, sobald man
von dort mit Ansprüchen auf Gleichstellung hervortrat, eine solche Anmaßung
mit Geringschätzung zurückwies und vortheilhafter fand, für sich allein zu
verhandeln. So war man denn in Stuttgart wieder einmal völlig isolirt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/281>, abgerufen am 26.06.2024.