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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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alle Prätension dieser geschraubten Machwerke zum Bewußtsein ; man braucht sie
gar nicht erst zu hören. Weber's Lieder, herausgegeben von dem bekannten
Kenner und verdienstvollen Förderer der Edition der Werke des Meisters, I. W.
Jähns, sind bei Schlesinger in Berlin in 2 Bänden, die 100 Nummern
enthalten, erschienen. Die Ausstattung ist schön, die Redaction eine äußerst
sorgfältige. Zugleich mit dieser sogenannten "Gesammtausgabe" wurde eine
Auswahl edirt, die 46 Nummern enthält. So sehr man nun Ursache hat,
das neue Verlagsunternehmen mit Freude zu begrüßen, so bleiben doch noch
einige Wünsche auszusprechen. Die Sammlung ist zunächst nicht vollständig ;
manche der kleineren Weber'schen Compositionen fehlen noch, man hätte, da
man nun einmal eine Gesammtausgabe geben wollte, sämmtliche Lieder in ihrer
Originalgestalt, so weit sie noch erreichbar sind, bringen und dafür die Arrange¬
ments ausscheiden sollen: auch der Preis ist noch zu hoch. Es ist eine un¬
erläßliche Bedingung solcher Ausgaben, daß sie billig, sehr billig sind, wenn
sie die wünschenswerte allgemeinste Verbreitung finden sollen. In der Aus¬
wahl fehlen einige der zugänglichsten Lieder, während man andere gern
missen würde. Aber immerhin sind wir für die köstliche Gabe, wie sie nun
vorliegt, zu großem Danke verpflichtet. Und nun ihr Sänger und Sänge¬
rinnen deutscher Zunge heran zu diesem frischen Liederquell; erlabt und er¬
frischt euch selbst daran und macht Andern eine Freude damit!

Weber's großer Rivale war Spohr. Mehr als jeden anderen Tonsetzer
befähigt ihn sein ganzes Wesen zum Liedergesange. Seine (74) bekannt gewordenen
Lieder zählen zu dem Vorzüglichsten unter dem auf dem ganzen Gebiete Vor¬
handenen. Wird sich auch für diesen edlen Meister eine ordnende und sichtende
Hand einst finden und ihn in seinen meisterhaften Leistungen der musi¬
kalischen Welt wieder zurückgeben? Zum Schlüsse sei nun noch auf einen
jener musikalischen Kleinmeister hingewiesen, der eben nur Lieder schrieb, aber
viele gute, treffliche und der allgemeinsten Aufmerksamkeit würdige. Sein
Name findet sich in keinem Universallexieon der Tonkunst, aber von seinen
Liedern ist eine Auswahl in 6 Heften (Ebner in Stuttgart) erschienen. Alle
Schwaben, soweit sie über den Erdkreis verbreitet sind, kennen den wackern
E. F. Kauffmann, welchen Schreiber dieses Aufsatzes vor Jahren als
Präzeptor in Heilbronn a. N. persönlich kennen lernte. Seine Gesänge ver¬
dienen, wie die seines Genossen Silcher, weit über Schwabens Grenzen
hinaufzubringen, sie verdienen Gemeingut des ganzen deutschen Volkes zu
werden. Es sind nicht nur gute Arbeiten, sondern auch warme Ergüsse, an
und in denen Jedermann Freude haben und Erhebung finden kann.


H. M. Schletterer.


alle Prätension dieser geschraubten Machwerke zum Bewußtsein ; man braucht sie
gar nicht erst zu hören. Weber's Lieder, herausgegeben von dem bekannten
Kenner und verdienstvollen Förderer der Edition der Werke des Meisters, I. W.
Jähns, sind bei Schlesinger in Berlin in 2 Bänden, die 100 Nummern
enthalten, erschienen. Die Ausstattung ist schön, die Redaction eine äußerst
sorgfältige. Zugleich mit dieser sogenannten „Gesammtausgabe" wurde eine
Auswahl edirt, die 46 Nummern enthält. So sehr man nun Ursache hat,
das neue Verlagsunternehmen mit Freude zu begrüßen, so bleiben doch noch
einige Wünsche auszusprechen. Die Sammlung ist zunächst nicht vollständig ;
manche der kleineren Weber'schen Compositionen fehlen noch, man hätte, da
man nun einmal eine Gesammtausgabe geben wollte, sämmtliche Lieder in ihrer
Originalgestalt, so weit sie noch erreichbar sind, bringen und dafür die Arrange¬
ments ausscheiden sollen: auch der Preis ist noch zu hoch. Es ist eine un¬
erläßliche Bedingung solcher Ausgaben, daß sie billig, sehr billig sind, wenn
sie die wünschenswerte allgemeinste Verbreitung finden sollen. In der Aus¬
wahl fehlen einige der zugänglichsten Lieder, während man andere gern
missen würde. Aber immerhin sind wir für die köstliche Gabe, wie sie nun
vorliegt, zu großem Danke verpflichtet. Und nun ihr Sänger und Sänge¬
rinnen deutscher Zunge heran zu diesem frischen Liederquell; erlabt und er¬
frischt euch selbst daran und macht Andern eine Freude damit!

Weber's großer Rivale war Spohr. Mehr als jeden anderen Tonsetzer
befähigt ihn sein ganzes Wesen zum Liedergesange. Seine (74) bekannt gewordenen
Lieder zählen zu dem Vorzüglichsten unter dem auf dem ganzen Gebiete Vor¬
handenen. Wird sich auch für diesen edlen Meister eine ordnende und sichtende
Hand einst finden und ihn in seinen meisterhaften Leistungen der musi¬
kalischen Welt wieder zurückgeben? Zum Schlüsse sei nun noch auf einen
jener musikalischen Kleinmeister hingewiesen, der eben nur Lieder schrieb, aber
viele gute, treffliche und der allgemeinsten Aufmerksamkeit würdige. Sein
Name findet sich in keinem Universallexieon der Tonkunst, aber von seinen
Liedern ist eine Auswahl in 6 Heften (Ebner in Stuttgart) erschienen. Alle
Schwaben, soweit sie über den Erdkreis verbreitet sind, kennen den wackern
E. F. Kauffmann, welchen Schreiber dieses Aufsatzes vor Jahren als
Präzeptor in Heilbronn a. N. persönlich kennen lernte. Seine Gesänge ver¬
dienen, wie die seines Genossen Silcher, weit über Schwabens Grenzen
hinaufzubringen, sie verdienen Gemeingut des ganzen deutschen Volkes zu
werden. Es sind nicht nur gute Arbeiten, sondern auch warme Ergüsse, an
und in denen Jedermann Freude haben und Erhebung finden kann.


H. M. Schletterer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/270>, abgerufen am 26.06.2024.