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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Königs einberufene Ndministrationsrath hat als erste Grundlage seiner Stu¬
dien und Arbeiten zunächst den Plan zur Constituirung eines einzigen Hos¬
haushalts in der Hauptstadt des Reiches nach dem Beispiel anderer europäi¬
scher Nationen vorgeschlagen. Demnach sollen die seit 1860 in mehreren
Städten creirten Hofchargen abgeschafft werden, da deren unbedingte Noth¬
wendigkeit nicht durch die Erfahrung nachgewiesen ist. Es sind dies 22 Gou¬
verneure, Vieegouverneure, Jnspectoren und Meeinspectoren der königl. Paläste
und 22 Ceremonienmeister. Der königliche Haushalt in der Hauptstadt soll
aus einem Palastpräfecten, einem ersten und zehn anderen Ceremonienmeistern
bestehen.

Ferner wurden, um der Finanznoth abzuhelfen, verschiedene Gesetzent¬
würfe den Kammern vorgelegt. Ein Gesetz, betreffend die Besteuerung des
beweglichen Besitzes, wurde nach langer Debatte angenommen; der Steuersatz
wurde auf 12 Procent erhöht, und den Provinzen und Communen das Recht,
Zuschlage zu dieser Steuer zu beschließen, entzogen. Der Gesetzentwurf, wel¬
cher der Regierung für das ganze Jahr 1870 das Recht zur EinHebung der
Mahlsteuer verleiht, wurde ebenfalls votirt, nicht minder ein solcher, nach,
welchem sich das Gesetz von 1867 bezüglich der Liquidation der Kirchengüter
auch auf das Vermögen der Kirchenfabriken (tadrieg, evelesiAs) erstreckt, end¬
lich andere finanzielle Vorlagen über Vermehrung der Einnahmen des Staates:
über eine Convention mit der Bank, welche die Mittel liefern sollte zur
Deckung des Deficits. Schon vor der Errichtung des Königreichs Italien
überstiegen in allen damaligen "Staaten" der Halbinsel die Ausgaben bei
Weitem die Ginnahmen, und waren die Schulden in einer fortwährenden
Progression begriffen. Die italienische Regierung begann damit, die Schuld¬
titel der verschiedenen Einzelstaaten zu unificiren und durch eine einheitliche
fünf- und dreiprvcentige Rentenschuld zu ersetzen; eine Operation, welche auch
den Zweck hatte, die Negociirung neuer Anleihen zu erleichtern. Im Jahre
1861 betrug die öffentliche Schuld der einzelnen Staaten 2241 Millionen
Lire, woran Sardinien mit 1170 Millionen participirte; bis 1867 allein
mußte Italien sein Deficit mit 6 neuen Anleihen im Betrage von 2218 Mill.
Lire decken, und veräußerte außerdem noch für 880 Mill. Lire Eisenbahnen
und Domänen. Ende 1866 war durch diese verschiedenen Anlehen bereits,
einschließlich des Zwangsanlehens und der an Oestreich zu zahlenden Summe
von 75 Millionen, die öffentliche Schuld auf einen Nominalwerth von circa
4913 Millionen, Lire angewachsen, und ihre Verzinsung erforderte (gegen
111,646,133 Lire im Jahre 1861) 2S8,S22,885 und Ende 1869 sogar bereits
359,167,030, während die gesammten ordentlichen Staatseinnahmen sich nur
auf 778,5 Millionen belaufen. Die italienischen Finanzmänner haben, um
die immer wachsenden Deficits zu decken, zu einem gefährlichen und kostspieligen


Königs einberufene Ndministrationsrath hat als erste Grundlage seiner Stu¬
dien und Arbeiten zunächst den Plan zur Constituirung eines einzigen Hos¬
haushalts in der Hauptstadt des Reiches nach dem Beispiel anderer europäi¬
scher Nationen vorgeschlagen. Demnach sollen die seit 1860 in mehreren
Städten creirten Hofchargen abgeschafft werden, da deren unbedingte Noth¬
wendigkeit nicht durch die Erfahrung nachgewiesen ist. Es sind dies 22 Gou¬
verneure, Vieegouverneure, Jnspectoren und Meeinspectoren der königl. Paläste
und 22 Ceremonienmeister. Der königliche Haushalt in der Hauptstadt soll
aus einem Palastpräfecten, einem ersten und zehn anderen Ceremonienmeistern
bestehen.

Ferner wurden, um der Finanznoth abzuhelfen, verschiedene Gesetzent¬
würfe den Kammern vorgelegt. Ein Gesetz, betreffend die Besteuerung des
beweglichen Besitzes, wurde nach langer Debatte angenommen; der Steuersatz
wurde auf 12 Procent erhöht, und den Provinzen und Communen das Recht,
Zuschlage zu dieser Steuer zu beschließen, entzogen. Der Gesetzentwurf, wel¬
cher der Regierung für das ganze Jahr 1870 das Recht zur EinHebung der
Mahlsteuer verleiht, wurde ebenfalls votirt, nicht minder ein solcher, nach,
welchem sich das Gesetz von 1867 bezüglich der Liquidation der Kirchengüter
auch auf das Vermögen der Kirchenfabriken (tadrieg, evelesiAs) erstreckt, end¬
lich andere finanzielle Vorlagen über Vermehrung der Einnahmen des Staates:
über eine Convention mit der Bank, welche die Mittel liefern sollte zur
Deckung des Deficits. Schon vor der Errichtung des Königreichs Italien
überstiegen in allen damaligen „Staaten" der Halbinsel die Ausgaben bei
Weitem die Ginnahmen, und waren die Schulden in einer fortwährenden
Progression begriffen. Die italienische Regierung begann damit, die Schuld¬
titel der verschiedenen Einzelstaaten zu unificiren und durch eine einheitliche
fünf- und dreiprvcentige Rentenschuld zu ersetzen; eine Operation, welche auch
den Zweck hatte, die Negociirung neuer Anleihen zu erleichtern. Im Jahre
1861 betrug die öffentliche Schuld der einzelnen Staaten 2241 Millionen
Lire, woran Sardinien mit 1170 Millionen participirte; bis 1867 allein
mußte Italien sein Deficit mit 6 neuen Anleihen im Betrage von 2218 Mill.
Lire decken, und veräußerte außerdem noch für 880 Mill. Lire Eisenbahnen
und Domänen. Ende 1866 war durch diese verschiedenen Anlehen bereits,
einschließlich des Zwangsanlehens und der an Oestreich zu zahlenden Summe
von 75 Millionen, die öffentliche Schuld auf einen Nominalwerth von circa
4913 Millionen, Lire angewachsen, und ihre Verzinsung erforderte (gegen
111,646,133 Lire im Jahre 1861) 2S8,S22,885 und Ende 1869 sogar bereits
359,167,030, während die gesammten ordentlichen Staatseinnahmen sich nur
auf 778,5 Millionen belaufen. Die italienischen Finanzmänner haben, um
die immer wachsenden Deficits zu decken, zu einem gefährlichen und kostspieligen


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[0258] Königs einberufene Ndministrationsrath hat als erste Grundlage seiner Stu¬ dien und Arbeiten zunächst den Plan zur Constituirung eines einzigen Hos¬ haushalts in der Hauptstadt des Reiches nach dem Beispiel anderer europäi¬ scher Nationen vorgeschlagen. Demnach sollen die seit 1860 in mehreren Städten creirten Hofchargen abgeschafft werden, da deren unbedingte Noth¬ wendigkeit nicht durch die Erfahrung nachgewiesen ist. Es sind dies 22 Gou¬ verneure, Vieegouverneure, Jnspectoren und Meeinspectoren der königl. Paläste und 22 Ceremonienmeister. Der königliche Haushalt in der Hauptstadt soll aus einem Palastpräfecten, einem ersten und zehn anderen Ceremonienmeistern bestehen. Ferner wurden, um der Finanznoth abzuhelfen, verschiedene Gesetzent¬ würfe den Kammern vorgelegt. Ein Gesetz, betreffend die Besteuerung des beweglichen Besitzes, wurde nach langer Debatte angenommen; der Steuersatz wurde auf 12 Procent erhöht, und den Provinzen und Communen das Recht, Zuschlage zu dieser Steuer zu beschließen, entzogen. Der Gesetzentwurf, wel¬ cher der Regierung für das ganze Jahr 1870 das Recht zur EinHebung der Mahlsteuer verleiht, wurde ebenfalls votirt, nicht minder ein solcher, nach, welchem sich das Gesetz von 1867 bezüglich der Liquidation der Kirchengüter auch auf das Vermögen der Kirchenfabriken (tadrieg, evelesiAs) erstreckt, end¬ lich andere finanzielle Vorlagen über Vermehrung der Einnahmen des Staates: über eine Convention mit der Bank, welche die Mittel liefern sollte zur Deckung des Deficits. Schon vor der Errichtung des Königreichs Italien überstiegen in allen damaligen „Staaten" der Halbinsel die Ausgaben bei Weitem die Ginnahmen, und waren die Schulden in einer fortwährenden Progression begriffen. Die italienische Regierung begann damit, die Schuld¬ titel der verschiedenen Einzelstaaten zu unificiren und durch eine einheitliche fünf- und dreiprvcentige Rentenschuld zu ersetzen; eine Operation, welche auch den Zweck hatte, die Negociirung neuer Anleihen zu erleichtern. Im Jahre 1861 betrug die öffentliche Schuld der einzelnen Staaten 2241 Millionen Lire, woran Sardinien mit 1170 Millionen participirte; bis 1867 allein mußte Italien sein Deficit mit 6 neuen Anleihen im Betrage von 2218 Mill. Lire decken, und veräußerte außerdem noch für 880 Mill. Lire Eisenbahnen und Domänen. Ende 1866 war durch diese verschiedenen Anlehen bereits, einschließlich des Zwangsanlehens und der an Oestreich zu zahlenden Summe von 75 Millionen, die öffentliche Schuld auf einen Nominalwerth von circa 4913 Millionen, Lire angewachsen, und ihre Verzinsung erforderte (gegen 111,646,133 Lire im Jahre 1861) 2S8,S22,885 und Ende 1869 sogar bereits 359,167,030, während die gesammten ordentlichen Staatseinnahmen sich nur auf 778,5 Millionen belaufen. Die italienischen Finanzmänner haben, um die immer wachsenden Deficits zu decken, zu einem gefährlichen und kostspieligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/258>, abgerufen am 26.06.2024.