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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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lieben Friedens willen sich von Seiten der Ständeversammlung gefallen ließ,
die Politik des -ztg-tus quo nach Innen und Außen nur von kurzer Dauer sein.

Die Majorität der Ultramontanen und Demokraten war sich ihrer Ziele
zu klar bewußt, als daß sie. wollten sie nicht alle Resultate einer mühevollen
Agitation preisgeben, sich auf die Dauer bei einem Stillstand beruhigen konn¬
ten, von welchen sie den, wenn auch langsamen, so doch sicheren Sieg des
"Preußenthums" vorhersahen. Immer mehr wurde das Ministerium vor die
Alternative gestellt, entweder sich der sogen, grvßdeutschen Politik in die Arme
zu werfen und mit Preußen positiv zu brechen, oder aber sich offen der na-
tionalen Sache anzuschließen. Im letzteren Fall glaubte man im großdeut¬
schen Lager einer Revolution von unten sicher zu sein; für beide Fälle aber
rechnete jene Parteicvalitton in Württemberg und Bayern auf eine Unter¬
stützung Oestreichs und Frankreichs in dem als sicher voraus zu sehenden euro¬
päischen Conflict. Wenn etwa trotz der zu Tage liegenden Beziehungen,
welche die Parteiführer so wie die hervorragendsten Organe der süddeutschen
demokratischen und ultramontanen Presse in Wien und Paris angeknüpft
hatten, in diesen Beziehungen noch Zweifel bestehen konnten, so wurden die¬
selben durch die Entdeckungen von Se. Cloud vollends gehoben. Weitere
Aufklärungen hat soeben der französische Gesandte Graf v. Se. Ballier im
Brüsseler Nord angekündigt. d

Die schwache Seite, welche der in dem Festhalten an den Verträgen prä-
eisirte formale Standpunkt der Regierung dem Angriff darbot, hatte die
Demokratie in der Militärfrage richtig erkannt. Zwar waren die Allianz¬
verträge durch die Energie, mit welcher die Minister von Barnbüler und
Mittnacht für dieselben im October 1867 unter Anwendung der bekannten
Mittel eingetreten waren, in der Ständekammer durchgesetzt worden; sie hat¬
ten jedoch zu ihrer Voraussetzung die ehrliche Erfüllung der Militärpflichten,
und es war deshalb schon damals die sofortige Erlassung eines mit dem
norddeutschen im Wesentlichen übereinstimmenden Kriegsdienstgesetzes in Aus¬
sicht genommen worden. Allein noch ehe dieses Gesetz auf Grund der Com-
missionöberathungen zur Verabschiedung kam, war inzwischen der Kaiser Franz
Joseph auf der Rückreise von Paris (5. November) mit Beust in Stuttgart
gewesen, Barnbüler hatte im Einverständniß mit Mittnacht am 11. December
Allen unerwartet seine famose Rede gegen den Nordbund gehalten; und als
nun das Militärgesetz zur Berathung kam, war plötzlich das Interesse dieser
beiden Herren, welche noch am meisten Einfluß auf die Kammer besaßen, für
das Gesetz gänzlich erkaltet. In Folge hiervon war dasselbe in einer Weise
amendirt worden, daß es künftighin ganz von der Majorität der Stände¬
kammer abhing, ob Württemberg die in dem Allianzvertrag übernommenen
Verbindlichkeiten erfüllen konnte, indem nunmehr in jedem Etatsgesetz nicht


lieben Friedens willen sich von Seiten der Ständeversammlung gefallen ließ,
die Politik des -ztg-tus quo nach Innen und Außen nur von kurzer Dauer sein.

Die Majorität der Ultramontanen und Demokraten war sich ihrer Ziele
zu klar bewußt, als daß sie. wollten sie nicht alle Resultate einer mühevollen
Agitation preisgeben, sich auf die Dauer bei einem Stillstand beruhigen konn¬
ten, von welchen sie den, wenn auch langsamen, so doch sicheren Sieg des
„Preußenthums" vorhersahen. Immer mehr wurde das Ministerium vor die
Alternative gestellt, entweder sich der sogen, grvßdeutschen Politik in die Arme
zu werfen und mit Preußen positiv zu brechen, oder aber sich offen der na-
tionalen Sache anzuschließen. Im letzteren Fall glaubte man im großdeut¬
schen Lager einer Revolution von unten sicher zu sein; für beide Fälle aber
rechnete jene Parteicvalitton in Württemberg und Bayern auf eine Unter¬
stützung Oestreichs und Frankreichs in dem als sicher voraus zu sehenden euro¬
päischen Conflict. Wenn etwa trotz der zu Tage liegenden Beziehungen,
welche die Parteiführer so wie die hervorragendsten Organe der süddeutschen
demokratischen und ultramontanen Presse in Wien und Paris angeknüpft
hatten, in diesen Beziehungen noch Zweifel bestehen konnten, so wurden die¬
selben durch die Entdeckungen von Se. Cloud vollends gehoben. Weitere
Aufklärungen hat soeben der französische Gesandte Graf v. Se. Ballier im
Brüsseler Nord angekündigt. d

Die schwache Seite, welche der in dem Festhalten an den Verträgen prä-
eisirte formale Standpunkt der Regierung dem Angriff darbot, hatte die
Demokratie in der Militärfrage richtig erkannt. Zwar waren die Allianz¬
verträge durch die Energie, mit welcher die Minister von Barnbüler und
Mittnacht für dieselben im October 1867 unter Anwendung der bekannten
Mittel eingetreten waren, in der Ständekammer durchgesetzt worden; sie hat¬
ten jedoch zu ihrer Voraussetzung die ehrliche Erfüllung der Militärpflichten,
und es war deshalb schon damals die sofortige Erlassung eines mit dem
norddeutschen im Wesentlichen übereinstimmenden Kriegsdienstgesetzes in Aus¬
sicht genommen worden. Allein noch ehe dieses Gesetz auf Grund der Com-
missionöberathungen zur Verabschiedung kam, war inzwischen der Kaiser Franz
Joseph auf der Rückreise von Paris (5. November) mit Beust in Stuttgart
gewesen, Barnbüler hatte im Einverständniß mit Mittnacht am 11. December
Allen unerwartet seine famose Rede gegen den Nordbund gehalten; und als
nun das Militärgesetz zur Berathung kam, war plötzlich das Interesse dieser
beiden Herren, welche noch am meisten Einfluß auf die Kammer besaßen, für
das Gesetz gänzlich erkaltet. In Folge hiervon war dasselbe in einer Weise
amendirt worden, daß es künftighin ganz von der Majorität der Stände¬
kammer abhing, ob Württemberg die in dem Allianzvertrag übernommenen
Verbindlichkeiten erfüllen konnte, indem nunmehr in jedem Etatsgesetz nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/242>, abgerufen am 28.09.2024.