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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Verwaltung aus. Das Ministerium war der lebendige Spiegel des Zwie¬
spalts, der das ganze Land entzweite, und in fortwährenden Parteikämpfen
die Staatsmaschine aufzureiben drohte. Da war der national-gesinnte Kriegs¬
minister neben einem fanatisch großdeutschen Cultusminister, dazwischen die
Männer des periodischen Farbenwechsels von Varnbüler und Mittnachl,
und die völlig farblosen Ressortminister des Innern und der Finanzen. So
fehlte es dem Gesammtministerium an jeder Einheit des politischen Strebens;
ein Mitglied intriguirte hinter den Coulissen gegen das andere, nur im
krampfhaften Festhalten am Portefeuille, und in der Erkenntniß war die
Mehrheit einig, daß kein Theil die genügenden Mittel hatte, um den Andern
über Bord zu werfen. So schwamm das Ministerium wie ein Schiff ohne
Steuer auf den Wogen der Parteikämpfe; man lebte von der Hand in den
Mund, und Niemand wußte, was der kommende Tag bringen werde. Das
ganze Geheimniß der hiernach von selbst gegebenen Politik des Status <zuo bestand
schließlich darin, durch die zahlreichen offenen und versteckten Bestimmungsmittel,
über welche der verhältnißmäßig große Apparat unserer Bureaukratie ge¬
bietet, auf einzelne Ständemitglieder einzuwirken. Dazu leistete gerade die
heterogene Zusammensetzung des Ministeriums den besten Dienst. Seit Jahren
sind nämlich, wie einst die römischen Senatoren zu Gunsten der Provineialen,
unsere Landboten der Regierung gegenüber zu Agenten für alle möglichen
Privatinteressen der Angehörigen ihrer Wahlbezirke geworden. Bald handelt
es sich um eine neue Poststation, eine Aenderung des Eisenbahnfahrplans,
einen Localzug ?c. für eine einzelne Gemeinde; bald um einen Lieferungsaecord
eines einflußreichen Provineialen mit dem Militär- oder Eisenbahn-Fiscus;
von den zahlreichen untergeordneten Stellen, welche namentlich das Verkehrs-
Ministerium ohne jede Controle der Oeffentlichkeit zu vergeben hat, ganz ab¬
gesehen. Ueberall soll der Abgeordnete eintreten, und seine Popularität im
Bezirk hängt wesentlich davon ab, daß er für die Angehörigen desselben mög¬
lichst viel bei der Negierung herauszuschlagen weiß. So drängten sich bisher
nicht nur die eigentlichen Regierungsmänner, sondern auch die Republikaner des
"Beobachters" -- täglich in die Vorzimmer der Minister; denn viele, nament¬
lich der in der Residenz domicilirten Abgeordneten, betrachteten seit langer Zeit
die Sitze im Ständesaal als eine in der Familie ererbte Revenue, und im
Grunde des Herzens galt ihnen diejenige Regierung für die beste, welche die
Stände möglichst lange des Jahres in Stuttgart versammelte. Das Mini¬
sterium kannte die Vortheile dieser Situation genau. Was war natürlicher,
als daß man dem Bezirke oder seinem Vertreter unter der Hand zu erkennen
gab, daß wenn der Abgeordnete in seiner "bockbeinigen" Haltung verharre,
der Bezirk keine Berücksichtigung von der Negierung erwarten könne? Man
wollte keine Verläugnung politischer Grundsätze; es genügte an der plötzlichen


Verwaltung aus. Das Ministerium war der lebendige Spiegel des Zwie¬
spalts, der das ganze Land entzweite, und in fortwährenden Parteikämpfen
die Staatsmaschine aufzureiben drohte. Da war der national-gesinnte Kriegs¬
minister neben einem fanatisch großdeutschen Cultusminister, dazwischen die
Männer des periodischen Farbenwechsels von Varnbüler und Mittnachl,
und die völlig farblosen Ressortminister des Innern und der Finanzen. So
fehlte es dem Gesammtministerium an jeder Einheit des politischen Strebens;
ein Mitglied intriguirte hinter den Coulissen gegen das andere, nur im
krampfhaften Festhalten am Portefeuille, und in der Erkenntniß war die
Mehrheit einig, daß kein Theil die genügenden Mittel hatte, um den Andern
über Bord zu werfen. So schwamm das Ministerium wie ein Schiff ohne
Steuer auf den Wogen der Parteikämpfe; man lebte von der Hand in den
Mund, und Niemand wußte, was der kommende Tag bringen werde. Das
ganze Geheimniß der hiernach von selbst gegebenen Politik des Status <zuo bestand
schließlich darin, durch die zahlreichen offenen und versteckten Bestimmungsmittel,
über welche der verhältnißmäßig große Apparat unserer Bureaukratie ge¬
bietet, auf einzelne Ständemitglieder einzuwirken. Dazu leistete gerade die
heterogene Zusammensetzung des Ministeriums den besten Dienst. Seit Jahren
sind nämlich, wie einst die römischen Senatoren zu Gunsten der Provineialen,
unsere Landboten der Regierung gegenüber zu Agenten für alle möglichen
Privatinteressen der Angehörigen ihrer Wahlbezirke geworden. Bald handelt
es sich um eine neue Poststation, eine Aenderung des Eisenbahnfahrplans,
einen Localzug ?c. für eine einzelne Gemeinde; bald um einen Lieferungsaecord
eines einflußreichen Provineialen mit dem Militär- oder Eisenbahn-Fiscus;
von den zahlreichen untergeordneten Stellen, welche namentlich das Verkehrs-
Ministerium ohne jede Controle der Oeffentlichkeit zu vergeben hat, ganz ab¬
gesehen. Ueberall soll der Abgeordnete eintreten, und seine Popularität im
Bezirk hängt wesentlich davon ab, daß er für die Angehörigen desselben mög¬
lichst viel bei der Negierung herauszuschlagen weiß. So drängten sich bisher
nicht nur die eigentlichen Regierungsmänner, sondern auch die Republikaner des
„Beobachters" — täglich in die Vorzimmer der Minister; denn viele, nament¬
lich der in der Residenz domicilirten Abgeordneten, betrachteten seit langer Zeit
die Sitze im Ständesaal als eine in der Familie ererbte Revenue, und im
Grunde des Herzens galt ihnen diejenige Regierung für die beste, welche die
Stände möglichst lange des Jahres in Stuttgart versammelte. Das Mini¬
sterium kannte die Vortheile dieser Situation genau. Was war natürlicher,
als daß man dem Bezirke oder seinem Vertreter unter der Hand zu erkennen
gab, daß wenn der Abgeordnete in seiner „bockbeinigen" Haltung verharre,
der Bezirk keine Berücksichtigung von der Negierung erwarten könne? Man
wollte keine Verläugnung politischer Grundsätze; es genügte an der plötzlichen


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[0240] Verwaltung aus. Das Ministerium war der lebendige Spiegel des Zwie¬ spalts, der das ganze Land entzweite, und in fortwährenden Parteikämpfen die Staatsmaschine aufzureiben drohte. Da war der national-gesinnte Kriegs¬ minister neben einem fanatisch großdeutschen Cultusminister, dazwischen die Männer des periodischen Farbenwechsels von Varnbüler und Mittnachl, und die völlig farblosen Ressortminister des Innern und der Finanzen. So fehlte es dem Gesammtministerium an jeder Einheit des politischen Strebens; ein Mitglied intriguirte hinter den Coulissen gegen das andere, nur im krampfhaften Festhalten am Portefeuille, und in der Erkenntniß war die Mehrheit einig, daß kein Theil die genügenden Mittel hatte, um den Andern über Bord zu werfen. So schwamm das Ministerium wie ein Schiff ohne Steuer auf den Wogen der Parteikämpfe; man lebte von der Hand in den Mund, und Niemand wußte, was der kommende Tag bringen werde. Das ganze Geheimniß der hiernach von selbst gegebenen Politik des Status <zuo bestand schließlich darin, durch die zahlreichen offenen und versteckten Bestimmungsmittel, über welche der verhältnißmäßig große Apparat unserer Bureaukratie ge¬ bietet, auf einzelne Ständemitglieder einzuwirken. Dazu leistete gerade die heterogene Zusammensetzung des Ministeriums den besten Dienst. Seit Jahren sind nämlich, wie einst die römischen Senatoren zu Gunsten der Provineialen, unsere Landboten der Regierung gegenüber zu Agenten für alle möglichen Privatinteressen der Angehörigen ihrer Wahlbezirke geworden. Bald handelt es sich um eine neue Poststation, eine Aenderung des Eisenbahnfahrplans, einen Localzug ?c. für eine einzelne Gemeinde; bald um einen Lieferungsaecord eines einflußreichen Provineialen mit dem Militär- oder Eisenbahn-Fiscus; von den zahlreichen untergeordneten Stellen, welche namentlich das Verkehrs- Ministerium ohne jede Controle der Oeffentlichkeit zu vergeben hat, ganz ab¬ gesehen. Ueberall soll der Abgeordnete eintreten, und seine Popularität im Bezirk hängt wesentlich davon ab, daß er für die Angehörigen desselben mög¬ lichst viel bei der Negierung herauszuschlagen weiß. So drängten sich bisher nicht nur die eigentlichen Regierungsmänner, sondern auch die Republikaner des „Beobachters" — täglich in die Vorzimmer der Minister; denn viele, nament¬ lich der in der Residenz domicilirten Abgeordneten, betrachteten seit langer Zeit die Sitze im Ständesaal als eine in der Familie ererbte Revenue, und im Grunde des Herzens galt ihnen diejenige Regierung für die beste, welche die Stände möglichst lange des Jahres in Stuttgart versammelte. Das Mini¬ sterium kannte die Vortheile dieser Situation genau. Was war natürlicher, als daß man dem Bezirke oder seinem Vertreter unter der Hand zu erkennen gab, daß wenn der Abgeordnete in seiner „bockbeinigen" Haltung verharre, der Bezirk keine Berücksichtigung von der Negierung erwarten könne? Man wollte keine Verläugnung politischer Grundsätze; es genügte an der plötzlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/240>, abgerufen am 28.09.2024.