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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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den Maibaum die Ceremonie beschließt: gerade wie einst der sächsische Adel
vorkarolingischer Zeit beim Gottesdienste die der Sonne geheiligte Jrminsul
in feierlicher Cavalcade ceremoniell umritt.

Verwandte Gebräuche finden sich in allen deutschen Gauen*), und sie
fehlen auch weder in Schweden noch in England, wo der "King ok naz^"
und das "Hobb^noi-so" um den Maibaum tanzen; ja selbst in der Bre.
dagr e, also auf altkeltischen Boden führte zu Frühlingsanfang das "Lneval-
NaIIet", welches ähnlich wie der deutsche Schimmelreiter hergestellt wurde,
einen Reigen auf dem Dorfplatz aus.

Auch rituelle processionsartige Umritte, "Königsreiten" um die Fluren,
sind in Deutschland (Flandern und Lothringen eingeschlossen) am Mai- oder
Pfingsttage an sehr vielen Orten gebräuchlich. Es wird ihnen eine segnende,
heiligende Kraft zugeschrieben, welche die Fruchtbarkeit der Aecker steigern ;
und wenn man erwägt, daß es uralter, aber auch noch historisch nachweisbarer
Brauch der Germanen war, daß ihre Könige nach der Schilderhebung oder
Krönung "ihr Land umritten", und es eben durch diesen Act recht eigent¬
lich, ja sogar rechtlich und formell in Besitz nahmen, so ist nicht zu be¬
zweifeln, daß auch der weitverbreitete Maiumritt der Rest eines Cultus¬
spieles sei, welches darstellte, wie der neugekrönte Wodan-Maikönig durch den
Umritt Besitz nahm von dem Lande.

Hie und da tritt der Umritt insofern an die Stelle der Einholung,
als sich an ihn der Wettkampf anknüpft. So z. B. zu Baumgarten in
Niederbayern. Da wird während des Umritts auf dem Schloßhofe ein ganz
mit Reifen beschlagenes Faß um eine Säule befestigt und die heimkehrenden
Reiter, sämmtlich mit Lanzen (Stangen mit scharfen Disteleisen) bewaffnet,
traben beim Klang der Musik heran und stechen nach den Reifen. Sind
alle ausgestochen, so richten sie die Stangen gegen einen zu oberst ausge¬
stellten grünen Busch, die Male, und wer die herabstößt, ist der Sieger.

Solche Kampfspiele erscheinen, aufs Mannigfaltigste gestaltet, aller Orten
in germanischen Landen und zwar ursprünglich, immer als Frühlingsfeste;
denn überall sollte ja durch sie der rossemächtige Wodan verherrlicht werden,
und durch all' den hellen Schall von "Ringelrennen", "Kranzreiten", "Mann¬
stechen", "Rolandfahrten", "Kopfstechen" oder "Pfahlkampf" (lauter Ana¬
logien späterer adliger Carrouselarten) sollte ja des ritterlichen Maikönigs
Sieg gefeiert werden. -- Nicht selten übrigens tritt bei diesen Kampfspielen,



") Etwas verfrüht, nämlich schon um Mitfasten, erscheint der heilige Graf, "de finde Grecs",
der um diese Zeit allerdings noch nicht "Blumengras" heißen kann, in Bravant. Bis vor we¬
nigen Jahren noch ritt zu Antwerpen "Meinherr der Gras vou Halbfasten" mit seiner Gräfin
und Gefolge prächtig ausgeputzt durch die Straßen, begleitet von einer unabsehbaren Kinder-
schaar, denen die Diener allerlei Näschereien zuwarfen.

den Maibaum die Ceremonie beschließt: gerade wie einst der sächsische Adel
vorkarolingischer Zeit beim Gottesdienste die der Sonne geheiligte Jrminsul
in feierlicher Cavalcade ceremoniell umritt.

Verwandte Gebräuche finden sich in allen deutschen Gauen*), und sie
fehlen auch weder in Schweden noch in England, wo der „King ok naz^"
und das „Hobb^noi-so" um den Maibaum tanzen; ja selbst in der Bre.
dagr e, also auf altkeltischen Boden führte zu Frühlingsanfang das „Lneval-
NaIIet", welches ähnlich wie der deutsche Schimmelreiter hergestellt wurde,
einen Reigen auf dem Dorfplatz aus.

Auch rituelle processionsartige Umritte, „Königsreiten" um die Fluren,
sind in Deutschland (Flandern und Lothringen eingeschlossen) am Mai- oder
Pfingsttage an sehr vielen Orten gebräuchlich. Es wird ihnen eine segnende,
heiligende Kraft zugeschrieben, welche die Fruchtbarkeit der Aecker steigern ;
und wenn man erwägt, daß es uralter, aber auch noch historisch nachweisbarer
Brauch der Germanen war, daß ihre Könige nach der Schilderhebung oder
Krönung „ihr Land umritten", und es eben durch diesen Act recht eigent¬
lich, ja sogar rechtlich und formell in Besitz nahmen, so ist nicht zu be¬
zweifeln, daß auch der weitverbreitete Maiumritt der Rest eines Cultus¬
spieles sei, welches darstellte, wie der neugekrönte Wodan-Maikönig durch den
Umritt Besitz nahm von dem Lande.

Hie und da tritt der Umritt insofern an die Stelle der Einholung,
als sich an ihn der Wettkampf anknüpft. So z. B. zu Baumgarten in
Niederbayern. Da wird während des Umritts auf dem Schloßhofe ein ganz
mit Reifen beschlagenes Faß um eine Säule befestigt und die heimkehrenden
Reiter, sämmtlich mit Lanzen (Stangen mit scharfen Disteleisen) bewaffnet,
traben beim Klang der Musik heran und stechen nach den Reifen. Sind
alle ausgestochen, so richten sie die Stangen gegen einen zu oberst ausge¬
stellten grünen Busch, die Male, und wer die herabstößt, ist der Sieger.

Solche Kampfspiele erscheinen, aufs Mannigfaltigste gestaltet, aller Orten
in germanischen Landen und zwar ursprünglich, immer als Frühlingsfeste;
denn überall sollte ja durch sie der rossemächtige Wodan verherrlicht werden,
und durch all' den hellen Schall von „Ringelrennen", „Kranzreiten", „Mann¬
stechen", „Rolandfahrten", „Kopfstechen" oder „Pfahlkampf" (lauter Ana¬
logien späterer adliger Carrouselarten) sollte ja des ritterlichen Maikönigs
Sieg gefeiert werden. — Nicht selten übrigens tritt bei diesen Kampfspielen,



") Etwas verfrüht, nämlich schon um Mitfasten, erscheint der heilige Graf, „de finde Grecs",
der um diese Zeit allerdings noch nicht „Blumengras" heißen kann, in Bravant. Bis vor we¬
nigen Jahren noch ritt zu Antwerpen „Meinherr der Gras vou Halbfasten" mit seiner Gräfin
und Gefolge prächtig ausgeputzt durch die Straßen, begleitet von einer unabsehbaren Kinder-
schaar, denen die Diener allerlei Näschereien zuwarfen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/222>, abgerufen am 29.06.2024.