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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Nöthe Fahnen festlich wallen
Sah der König vom Balkone;
In Lanzensvielcn die Ritter alle fielen
Vor des Königs starkem Sohne."

Den Maispielen des Adels, den ritterlichen Speerkämpfen Tjost und Bu-
hurt, stellte sich in der Sitte des Volks eine mannigfaltige Fülle von
Wettspielen zur Seite, Lenzspiele, die gleich jenen einst die Feier des rosse¬
mächtigen Wodan-Maikönig verherrlicht hatten und aus denen sich später das
Carrousel der Renaissancezeit, ebenso wie das moderne Wettrennen mehr oder
minder direct entwickelt haben.

Die mythologische Bedeutung freilich ging früh verloren. Bald kam es
nicht mehr darauf an: in dramatischer Kampffeier den Sieg des Maikönigs
über den Winterfürsten darzustellen, sondern das Wettspiel begann um seiner
selbst willen zu gelten, es wurde nicht mehr als Cultushandlung aufgefaßt,
sondern ernsthaft genommen, und der wirkliche Sieger im Spiel wurde:
König, welcher übrigens den Namen "Maikönig" oder "Blumengraf" noch
vielerorten behalten hat.

Wer unter den Burschen als Maikönig prangen soll, das entscheidet sich
in der Altmark z. B. durch ein Wettrennen zu Pferde, wobei man im Bor¬
beijagen mit Stangen nach einem Hute, einem Kranze oder nach einem
auf einer Tanne aufgesteckten Pferdeschädel sticht. Der Sieger reitet, von
allen Genossen zu Rosse begleitet, als König ins Dorf; sein Gaul wird mit
Maien geschmückt und drei Vorreiter sprengen ihm voraus. Hierauf folgt
gewöhnlich Vogelschießen und Tanz unter der Dorflinde, während dessen die
typische Figur des "Schimmelreiters" in der jauchzenden Menge umher trabt.
Ein lebendiges Bild dieser Feier gibt das folgende lustige altmärkische
Gedicht:


To Pfingsten, ehr in Höhnerstall
De Hoahn kraiht morgens froh,
Doa sitten ook die Pcerjungs all
stramm up dät Krakenvcch,
Und jackeln los, dät dampft man so
Und krischen: Hujuhuh!
Wer up den Anger kümmt vor to
Is Maienkönig nu!
Drnp schniedern se den Könnigsrock
Und frische Maien an,
Sust uut, just als en Jmmenstock,
Nund um Pajangen dran.
Doa müde Peerjungs Könnig rin;

Nöthe Fahnen festlich wallen
Sah der König vom Balkone;
In Lanzensvielcn die Ritter alle fielen
Vor des Königs starkem Sohne."

Den Maispielen des Adels, den ritterlichen Speerkämpfen Tjost und Bu-
hurt, stellte sich in der Sitte des Volks eine mannigfaltige Fülle von
Wettspielen zur Seite, Lenzspiele, die gleich jenen einst die Feier des rosse¬
mächtigen Wodan-Maikönig verherrlicht hatten und aus denen sich später das
Carrousel der Renaissancezeit, ebenso wie das moderne Wettrennen mehr oder
minder direct entwickelt haben.

Die mythologische Bedeutung freilich ging früh verloren. Bald kam es
nicht mehr darauf an: in dramatischer Kampffeier den Sieg des Maikönigs
über den Winterfürsten darzustellen, sondern das Wettspiel begann um seiner
selbst willen zu gelten, es wurde nicht mehr als Cultushandlung aufgefaßt,
sondern ernsthaft genommen, und der wirkliche Sieger im Spiel wurde:
König, welcher übrigens den Namen „Maikönig" oder „Blumengraf" noch
vielerorten behalten hat.

Wer unter den Burschen als Maikönig prangen soll, das entscheidet sich
in der Altmark z. B. durch ein Wettrennen zu Pferde, wobei man im Bor¬
beijagen mit Stangen nach einem Hute, einem Kranze oder nach einem
auf einer Tanne aufgesteckten Pferdeschädel sticht. Der Sieger reitet, von
allen Genossen zu Rosse begleitet, als König ins Dorf; sein Gaul wird mit
Maien geschmückt und drei Vorreiter sprengen ihm voraus. Hierauf folgt
gewöhnlich Vogelschießen und Tanz unter der Dorflinde, während dessen die
typische Figur des „Schimmelreiters" in der jauchzenden Menge umher trabt.
Ein lebendiges Bild dieser Feier gibt das folgende lustige altmärkische
Gedicht:


To Pfingsten, ehr in Höhnerstall
De Hoahn kraiht morgens froh,
Doa sitten ook die Pcerjungs all
stramm up dät Krakenvcch,
Und jackeln los, dät dampft man so
Und krischen: Hujuhuh!
Wer up den Anger kümmt vor to
Is Maienkönig nu!
Drnp schniedern se den Könnigsrock
Und frische Maien an,
Sust uut, just als en Jmmenstock,
Nund um Pajangen dran.
Doa müde Peerjungs Könnig rin;

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[0220] Nöthe Fahnen festlich wallen Sah der König vom Balkone; In Lanzensvielcn die Ritter alle fielen Vor des Königs starkem Sohne." Den Maispielen des Adels, den ritterlichen Speerkämpfen Tjost und Bu- hurt, stellte sich in der Sitte des Volks eine mannigfaltige Fülle von Wettspielen zur Seite, Lenzspiele, die gleich jenen einst die Feier des rosse¬ mächtigen Wodan-Maikönig verherrlicht hatten und aus denen sich später das Carrousel der Renaissancezeit, ebenso wie das moderne Wettrennen mehr oder minder direct entwickelt haben. Die mythologische Bedeutung freilich ging früh verloren. Bald kam es nicht mehr darauf an: in dramatischer Kampffeier den Sieg des Maikönigs über den Winterfürsten darzustellen, sondern das Wettspiel begann um seiner selbst willen zu gelten, es wurde nicht mehr als Cultushandlung aufgefaßt, sondern ernsthaft genommen, und der wirkliche Sieger im Spiel wurde: König, welcher übrigens den Namen „Maikönig" oder „Blumengraf" noch vielerorten behalten hat. Wer unter den Burschen als Maikönig prangen soll, das entscheidet sich in der Altmark z. B. durch ein Wettrennen zu Pferde, wobei man im Bor¬ beijagen mit Stangen nach einem Hute, einem Kranze oder nach einem auf einer Tanne aufgesteckten Pferdeschädel sticht. Der Sieger reitet, von allen Genossen zu Rosse begleitet, als König ins Dorf; sein Gaul wird mit Maien geschmückt und drei Vorreiter sprengen ihm voraus. Hierauf folgt gewöhnlich Vogelschießen und Tanz unter der Dorflinde, während dessen die typische Figur des „Schimmelreiters" in der jauchzenden Menge umher trabt. Ein lebendiges Bild dieser Feier gibt das folgende lustige altmärkische Gedicht: To Pfingsten, ehr in Höhnerstall De Hoahn kraiht morgens froh, Doa sitten ook die Pcerjungs all stramm up dät Krakenvcch, Und jackeln los, dät dampft man so Und krischen: Hujuhuh! Wer up den Anger kümmt vor to Is Maienkönig nu! Drnp schniedern se den Könnigsrock Und frische Maien an, Sust uut, just als en Jmmenstock, Nund um Pajangen dran. Doa müde Peerjungs Könnig rin;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/220>, abgerufen am 28.09.2024.