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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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das "Volk" den Krieg nicht selber führt, so hat es doch an dem Beschlusse,
ihn zu führen, Theil, weil seine gesetzlichen Vertreter ihn sanctionirten, und
weil die ganze Nation ihn mit einem Jubelplebiscite guthieß, das aufrich¬
tiger gemeint war. als jenes vom 8. Mai. Volk und Nation sind in diesem
Sinne verschiedene Begriffe; obgleich das Volk durch diese Gutheißung noch
nicht zum eigentlichen Gegner wurde, so machte sich doch die Nation für
die Durchführung des Kampfes gegen die Militärmacht verant¬
wortlich.

Wir stellten oben fest, daß als Feind nur die beiderseitigen Combattanten
zu betrachten seien; ein anderes Verhältniß tritt indessen ein, sobald Nicht-
combattanten in den Kampf selber einzugreifen suchen. Durch die thatsäch¬
liche Betheiligung am Krieg verhängen diese auch die Normen und das
Recht des Krieges über ihr Haupt, die unter dem Eindruck der Erbitterung
nicht selten verschärft gehandhabt werden. So erging es den Einwohnern
von Bazeilles, um nur ein einziges Beispiel anzuführen; allein nicht nur mit
bewaffneter Hand wird solches Eingreifen verübt. Ein Führer, der die
Truppen in gefährliche Stellungen lockt, ein Quartiergeber, der die Speisen
vergiftet, ist selbstverständlich in der gleichen Weise haftbar. Zum Glück er¬
schienen derartige Vorgänge doch immer noch als Ausnahme; werden sie zum
Princip, (wie es 1809 in Tyrol geschah), dann freilich artet der Krieg zum
Volkskrieg aus, dann kämpfen beide Theile nicht mehr um die Besiegung,
sondern um die Vernichtung des Gegners. Wenn übrigens auch "das
Volk" nicht als activer Feind erscheint, so läßt sich doch nicht vermeiden,
daß es (ohne aggressive Absicht) tausendfach in Mitleidenschaft gezogen wird.
Diebstahl ist den Soldaten bei Todesstrafe verboten, aber daß das letzte Stück
Brod im Hause requirirt wird, ist erlaubt; das Privateigenthum muß ge¬
schont werden, aber daß ein Gebäude niedergerissen wird, weil es der Po¬
sition im Wege steht, kann man täglich inne werden. Das sind die Fälle,
die dem gebildeten Soldaten am tiefsten zu Herzen gehen, in denen der Takt
und die Humanität des Commandanten ihre schwerste Prüfung bestehen. Sie
sind es, von denen der alte Soldatenkaiser achselzuckend sprach: O'est Is,
guerro.

Wir haben in den bisherigen Sätzen das Recht des Krieges erörtert
und hierauf die Maßregeln betont, die mit der Erklärung des Krieges im
Zusammenhang stehen. Wir haben die Frage aufgeworfen, wer eigentlich
als "Feind" zu behandeln sei; und wenn wir als solchen die Combat.
lauten bezeichneten, so erübrigt nunmehr, diesen Begriff selbst ins Klare zu
bringen.

Als Combattanten erscheinen nur diejenigen, die in die Armeen einge¬
theilt sind, um sich mit Waffengewalt am Gefechte zu betheiligen, also nicht


das „Volk" den Krieg nicht selber führt, so hat es doch an dem Beschlusse,
ihn zu führen, Theil, weil seine gesetzlichen Vertreter ihn sanctionirten, und
weil die ganze Nation ihn mit einem Jubelplebiscite guthieß, das aufrich¬
tiger gemeint war. als jenes vom 8. Mai. Volk und Nation sind in diesem
Sinne verschiedene Begriffe; obgleich das Volk durch diese Gutheißung noch
nicht zum eigentlichen Gegner wurde, so machte sich doch die Nation für
die Durchführung des Kampfes gegen die Militärmacht verant¬
wortlich.

Wir stellten oben fest, daß als Feind nur die beiderseitigen Combattanten
zu betrachten seien; ein anderes Verhältniß tritt indessen ein, sobald Nicht-
combattanten in den Kampf selber einzugreifen suchen. Durch die thatsäch¬
liche Betheiligung am Krieg verhängen diese auch die Normen und das
Recht des Krieges über ihr Haupt, die unter dem Eindruck der Erbitterung
nicht selten verschärft gehandhabt werden. So erging es den Einwohnern
von Bazeilles, um nur ein einziges Beispiel anzuführen; allein nicht nur mit
bewaffneter Hand wird solches Eingreifen verübt. Ein Führer, der die
Truppen in gefährliche Stellungen lockt, ein Quartiergeber, der die Speisen
vergiftet, ist selbstverständlich in der gleichen Weise haftbar. Zum Glück er¬
schienen derartige Vorgänge doch immer noch als Ausnahme; werden sie zum
Princip, (wie es 1809 in Tyrol geschah), dann freilich artet der Krieg zum
Volkskrieg aus, dann kämpfen beide Theile nicht mehr um die Besiegung,
sondern um die Vernichtung des Gegners. Wenn übrigens auch „das
Volk" nicht als activer Feind erscheint, so läßt sich doch nicht vermeiden,
daß es (ohne aggressive Absicht) tausendfach in Mitleidenschaft gezogen wird.
Diebstahl ist den Soldaten bei Todesstrafe verboten, aber daß das letzte Stück
Brod im Hause requirirt wird, ist erlaubt; das Privateigenthum muß ge¬
schont werden, aber daß ein Gebäude niedergerissen wird, weil es der Po¬
sition im Wege steht, kann man täglich inne werden. Das sind die Fälle,
die dem gebildeten Soldaten am tiefsten zu Herzen gehen, in denen der Takt
und die Humanität des Commandanten ihre schwerste Prüfung bestehen. Sie
sind es, von denen der alte Soldatenkaiser achselzuckend sprach: O'est Is,
guerro.

Wir haben in den bisherigen Sätzen das Recht des Krieges erörtert
und hierauf die Maßregeln betont, die mit der Erklärung des Krieges im
Zusammenhang stehen. Wir haben die Frage aufgeworfen, wer eigentlich
als „Feind" zu behandeln sei; und wenn wir als solchen die Combat.
lauten bezeichneten, so erübrigt nunmehr, diesen Begriff selbst ins Klare zu
bringen.

Als Combattanten erscheinen nur diejenigen, die in die Armeen einge¬
theilt sind, um sich mit Waffengewalt am Gefechte zu betheiligen, also nicht


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[0216] das „Volk" den Krieg nicht selber führt, so hat es doch an dem Beschlusse, ihn zu führen, Theil, weil seine gesetzlichen Vertreter ihn sanctionirten, und weil die ganze Nation ihn mit einem Jubelplebiscite guthieß, das aufrich¬ tiger gemeint war. als jenes vom 8. Mai. Volk und Nation sind in diesem Sinne verschiedene Begriffe; obgleich das Volk durch diese Gutheißung noch nicht zum eigentlichen Gegner wurde, so machte sich doch die Nation für die Durchführung des Kampfes gegen die Militärmacht verant¬ wortlich. Wir stellten oben fest, daß als Feind nur die beiderseitigen Combattanten zu betrachten seien; ein anderes Verhältniß tritt indessen ein, sobald Nicht- combattanten in den Kampf selber einzugreifen suchen. Durch die thatsäch¬ liche Betheiligung am Krieg verhängen diese auch die Normen und das Recht des Krieges über ihr Haupt, die unter dem Eindruck der Erbitterung nicht selten verschärft gehandhabt werden. So erging es den Einwohnern von Bazeilles, um nur ein einziges Beispiel anzuführen; allein nicht nur mit bewaffneter Hand wird solches Eingreifen verübt. Ein Führer, der die Truppen in gefährliche Stellungen lockt, ein Quartiergeber, der die Speisen vergiftet, ist selbstverständlich in der gleichen Weise haftbar. Zum Glück er¬ schienen derartige Vorgänge doch immer noch als Ausnahme; werden sie zum Princip, (wie es 1809 in Tyrol geschah), dann freilich artet der Krieg zum Volkskrieg aus, dann kämpfen beide Theile nicht mehr um die Besiegung, sondern um die Vernichtung des Gegners. Wenn übrigens auch „das Volk" nicht als activer Feind erscheint, so läßt sich doch nicht vermeiden, daß es (ohne aggressive Absicht) tausendfach in Mitleidenschaft gezogen wird. Diebstahl ist den Soldaten bei Todesstrafe verboten, aber daß das letzte Stück Brod im Hause requirirt wird, ist erlaubt; das Privateigenthum muß ge¬ schont werden, aber daß ein Gebäude niedergerissen wird, weil es der Po¬ sition im Wege steht, kann man täglich inne werden. Das sind die Fälle, die dem gebildeten Soldaten am tiefsten zu Herzen gehen, in denen der Takt und die Humanität des Commandanten ihre schwerste Prüfung bestehen. Sie sind es, von denen der alte Soldatenkaiser achselzuckend sprach: O'est Is, guerro. Wir haben in den bisherigen Sätzen das Recht des Krieges erörtert und hierauf die Maßregeln betont, die mit der Erklärung des Krieges im Zusammenhang stehen. Wir haben die Frage aufgeworfen, wer eigentlich als „Feind" zu behandeln sei; und wenn wir als solchen die Combat. lauten bezeichneten, so erübrigt nunmehr, diesen Begriff selbst ins Klare zu bringen. Als Combattanten erscheinen nur diejenigen, die in die Armeen einge¬ theilt sind, um sich mit Waffengewalt am Gefechte zu betheiligen, also nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/216>, abgerufen am 28.09.2024.