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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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eigentlich bereits den Anfang der Action bedeuten. Sofort wird die Aus¬
fuhr aller Kriegsbedürfnisse sistirt, beide Staaten brechen die Vertretung durch
Gesandte oder Consuln ab, und fast in allen Ländern verbieten die Straf¬
gesetze, daß einzelne Unterthanen im Heer des andern Staates Dienste neh¬
men, oder dessen Widerstandskraft in sonst irgend welcher Weise erhöhen oder
unterstützen.

Im Uebrigen ist nicht gestattet, die Angehörigen des bekriegten Staates,
so lange sie sich ruhig verhalten, irgendwie zu behelligen, ebensowenig darf
ihnen jener Rechtszustand, den sie durch internationale Verträge erlangt
haben, entzogen werden, z. B. die Ausübung von Handel und Gewerbe, die
Sicherheit des Privateigenthums, der Schutz der Gerichte. Schon in dieser
Richtung haben die Franzosen gefehlt, indem die Gerichte die Forderung
eines deutschen Hauses (noch ehe das Moratorium bestand) zurückwiesen und
die Zahlungspflicht des französischen Schuldners lediglich auf Grund der
Feindseligkeiten in Abrede stellten. Ich weiß nicht, ob sich der Fall, der
durch zahlreiche deutsche Blätter lief, amtlich bestätigt hat; wenn er sich in
Richtigkeit verhalten sollte, so läge hierin eine schwere Verletzung des Völker¬
rechtes.

Noch empfindlicher aber verstieß hiergegen die Ausweisung sämmtlicher
Deutschen, welche bald nach den ersten Niederlagen erfolgte und auch den
Nimbus der Civilisation von Frankreich nahm, nachdem es den Nimbus der
Waffen verloren hatte. Der Mißgriff, den die französische Regierung damit
beging, war tiefer und principieller Natur; sie dehnte den Krieg, der nur
zwischen den Staaten stattfinden soll, auf die Einzelpersonen aus; sie er¬
öffnete den Angriff nicht blos gegen die Soldaten, sondern gegen die Bürger.

Ganz anders gingen die deutschen Staaten hierbei zu Werke. Obwohl
durch die Ausweisungsordre von Frankreich provocirt, nahm doch keiner aus
dem Unrecht des Gegners das Recht der Wiedervergeltung ab; ja man war
gewissermaßen bemüht, den sämmtlichen in Deutschland lebenden Franzosen
zu zeigen, wie sehr wir ihr Vaterland an Bildung und Gerechtigkeit über¬
treffen.

Die gewissenhafte Begrenzung des Krieges trat bereits in der Prokla¬
mation des Königs zu Tage, in der er verkündete, daß er ihn nicht gegen
die Bürger und gegen das Volk zu führen gedenke. Er verstand unter Bür¬
ger den unbewaffneten Mann, der am Kampfe nicht activ, sondern nur passiv
betheiligt ist. und unter dem Volk die Summe der friedlichen Landesbewohner,
die im Kriege den Gegensatz zur Militärmacht bildet.

Wenn die Franzosen das freilich so verstanden, daß sie den Kampf mit
der Entthronung Napoleon's für beendigt, und deshalb für unberechtigt hielten,
so war diese Folgerung ebenso unlogisch als anmaßend. Denn wenn auch


eigentlich bereits den Anfang der Action bedeuten. Sofort wird die Aus¬
fuhr aller Kriegsbedürfnisse sistirt, beide Staaten brechen die Vertretung durch
Gesandte oder Consuln ab, und fast in allen Ländern verbieten die Straf¬
gesetze, daß einzelne Unterthanen im Heer des andern Staates Dienste neh¬
men, oder dessen Widerstandskraft in sonst irgend welcher Weise erhöhen oder
unterstützen.

Im Uebrigen ist nicht gestattet, die Angehörigen des bekriegten Staates,
so lange sie sich ruhig verhalten, irgendwie zu behelligen, ebensowenig darf
ihnen jener Rechtszustand, den sie durch internationale Verträge erlangt
haben, entzogen werden, z. B. die Ausübung von Handel und Gewerbe, die
Sicherheit des Privateigenthums, der Schutz der Gerichte. Schon in dieser
Richtung haben die Franzosen gefehlt, indem die Gerichte die Forderung
eines deutschen Hauses (noch ehe das Moratorium bestand) zurückwiesen und
die Zahlungspflicht des französischen Schuldners lediglich auf Grund der
Feindseligkeiten in Abrede stellten. Ich weiß nicht, ob sich der Fall, der
durch zahlreiche deutsche Blätter lief, amtlich bestätigt hat; wenn er sich in
Richtigkeit verhalten sollte, so läge hierin eine schwere Verletzung des Völker¬
rechtes.

Noch empfindlicher aber verstieß hiergegen die Ausweisung sämmtlicher
Deutschen, welche bald nach den ersten Niederlagen erfolgte und auch den
Nimbus der Civilisation von Frankreich nahm, nachdem es den Nimbus der
Waffen verloren hatte. Der Mißgriff, den die französische Regierung damit
beging, war tiefer und principieller Natur; sie dehnte den Krieg, der nur
zwischen den Staaten stattfinden soll, auf die Einzelpersonen aus; sie er¬
öffnete den Angriff nicht blos gegen die Soldaten, sondern gegen die Bürger.

Ganz anders gingen die deutschen Staaten hierbei zu Werke. Obwohl
durch die Ausweisungsordre von Frankreich provocirt, nahm doch keiner aus
dem Unrecht des Gegners das Recht der Wiedervergeltung ab; ja man war
gewissermaßen bemüht, den sämmtlichen in Deutschland lebenden Franzosen
zu zeigen, wie sehr wir ihr Vaterland an Bildung und Gerechtigkeit über¬
treffen.

Die gewissenhafte Begrenzung des Krieges trat bereits in der Prokla¬
mation des Königs zu Tage, in der er verkündete, daß er ihn nicht gegen
die Bürger und gegen das Volk zu führen gedenke. Er verstand unter Bür¬
ger den unbewaffneten Mann, der am Kampfe nicht activ, sondern nur passiv
betheiligt ist. und unter dem Volk die Summe der friedlichen Landesbewohner,
die im Kriege den Gegensatz zur Militärmacht bildet.

Wenn die Franzosen das freilich so verstanden, daß sie den Kampf mit
der Entthronung Napoleon's für beendigt, und deshalb für unberechtigt hielten,
so war diese Folgerung ebenso unlogisch als anmaßend. Denn wenn auch


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[0215] eigentlich bereits den Anfang der Action bedeuten. Sofort wird die Aus¬ fuhr aller Kriegsbedürfnisse sistirt, beide Staaten brechen die Vertretung durch Gesandte oder Consuln ab, und fast in allen Ländern verbieten die Straf¬ gesetze, daß einzelne Unterthanen im Heer des andern Staates Dienste neh¬ men, oder dessen Widerstandskraft in sonst irgend welcher Weise erhöhen oder unterstützen. Im Uebrigen ist nicht gestattet, die Angehörigen des bekriegten Staates, so lange sie sich ruhig verhalten, irgendwie zu behelligen, ebensowenig darf ihnen jener Rechtszustand, den sie durch internationale Verträge erlangt haben, entzogen werden, z. B. die Ausübung von Handel und Gewerbe, die Sicherheit des Privateigenthums, der Schutz der Gerichte. Schon in dieser Richtung haben die Franzosen gefehlt, indem die Gerichte die Forderung eines deutschen Hauses (noch ehe das Moratorium bestand) zurückwiesen und die Zahlungspflicht des französischen Schuldners lediglich auf Grund der Feindseligkeiten in Abrede stellten. Ich weiß nicht, ob sich der Fall, der durch zahlreiche deutsche Blätter lief, amtlich bestätigt hat; wenn er sich in Richtigkeit verhalten sollte, so läge hierin eine schwere Verletzung des Völker¬ rechtes. Noch empfindlicher aber verstieß hiergegen die Ausweisung sämmtlicher Deutschen, welche bald nach den ersten Niederlagen erfolgte und auch den Nimbus der Civilisation von Frankreich nahm, nachdem es den Nimbus der Waffen verloren hatte. Der Mißgriff, den die französische Regierung damit beging, war tiefer und principieller Natur; sie dehnte den Krieg, der nur zwischen den Staaten stattfinden soll, auf die Einzelpersonen aus; sie er¬ öffnete den Angriff nicht blos gegen die Soldaten, sondern gegen die Bürger. Ganz anders gingen die deutschen Staaten hierbei zu Werke. Obwohl durch die Ausweisungsordre von Frankreich provocirt, nahm doch keiner aus dem Unrecht des Gegners das Recht der Wiedervergeltung ab; ja man war gewissermaßen bemüht, den sämmtlichen in Deutschland lebenden Franzosen zu zeigen, wie sehr wir ihr Vaterland an Bildung und Gerechtigkeit über¬ treffen. Die gewissenhafte Begrenzung des Krieges trat bereits in der Prokla¬ mation des Königs zu Tage, in der er verkündete, daß er ihn nicht gegen die Bürger und gegen das Volk zu führen gedenke. Er verstand unter Bür¬ ger den unbewaffneten Mann, der am Kampfe nicht activ, sondern nur passiv betheiligt ist. und unter dem Volk die Summe der friedlichen Landesbewohner, die im Kriege den Gegensatz zur Militärmacht bildet. Wenn die Franzosen das freilich so verstanden, daß sie den Kampf mit der Entthronung Napoleon's für beendigt, und deshalb für unberechtigt hielten, so war diese Folgerung ebenso unlogisch als anmaßend. Denn wenn auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/215>, abgerufen am 29.06.2024.