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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Franken aufgebracht worden sei. Albert Wolff debütirte im Figaro republicain
mit einem Premier-Paris, der den Styl und den Witz Rochefort's täuschend
nachahmte. Albert Millans parodirte die Antithesen Victor Hugo's in einem
fulminanten Gedichte gegen "les Veuäus ä<z la treffe", Jules Richard tra-
vestirte Felix Pyat und seine Metaphern.... kurz das gesammte Blatt war
das rötheste, was jemals von patentirter Radikalen niedergeschrieben und ge¬
druckt worden war, und die republikanischen Zeitungen, wie Rappel, Re¬
form, Reveil, Marseillaise u. s. w. barsten vor Neid, als sie ihre
Manier so trefflich nachgeahmt und das Kunststück, dessen Mechanismus sie
allein zu kennen wähnten, von republikanischen Eintags - Dilettanten so ohne
Weiteres executire sahen.

Auf dem Ministerium des Innern aber traute man seinen Augen kaum
und im ersten Moment des Schreckens, ehe man noch die Eulenspiegelei be¬
merkt, sandte man Boten über Boten an Herrn de Vilmessant mit dem drin¬
genden Auftrage, ihn zu ersuchen, um jeden Preis den Verkauf rückgängig zu
machen. Figaro, mit dem Erfolge auch sonst zufrieden (die betreffende Nummer
war in mehr als 200,000 Exemplaren verkauft worden!), begnügte sich, bei
Chevandier anzufragen, ob ihm jetzt der Unterschied zwischen guter und schlechter
Presse (im Regierungssinne natürlich) klar geworden sei, und als Antwort er¬
folgte umgehend das Anstellungsdecret, welches Vilmessant für seinen Schutz¬
befohlenen vorher so vergeh!'es nachgesucht hatte.

Dergleichen Geniestreiche stehen übrigens beim Publicum der Pariser
Boulevards in nicht geringen' Ansehen, und einer der eintausend Märtyrer
der republikanischen Partei, der jüngste unter ihnen, der kaum erst noch heilig
gesprochen worden, Victor Noir, verdankte lediglich solchen Dingen das
Bischen Popularität, dessen er genoß. Der Mann ist todt und hier vielleicht
nicht der Platz, den Humbug in seiner ganzen Nacktheit zu enthüllen, den die
Führer der antikaiserlichen Intrigue mit der Todesart dieses dicken, guten,
heftigen und leichtsinnigen Witzboldes getrieben, der, weit entfernt ein Politiker
zu sein, nur eine kindische Freude daran hatte, wenn er den Regierenden einen
Schabernack spielen und gleichzeitig dabei .... einige Franken verdienen
konnte. Letzteres war nicht selten die Hauptsache, denn wenn Victor, dem
die französische Orthographie von jeher mit ihren Winkelzügen ein Greuel ge¬
wesen, auch bereit war, für seine Partei sein Leben zu lassen, so zog er es
doch bei weitem vor, wenn ihn die Letztere bei Bignon und Brsbcmt, d. h.
in guten Restaurants, leben ließ.

Wie Victor Noir, der im Grunde nichts war, als ein kleiner Thea-
ter-Scandal-Reporter des Figaro," unter die Republikaner gekommen, ist
nie recht aufgeklärt worden. Genug, daß in der letzten Periode des Kaiser¬
reichs journalistisch zum guten Ton gehörte, als Oppositionsmann aufzutreten.


Franken aufgebracht worden sei. Albert Wolff debütirte im Figaro republicain
mit einem Premier-Paris, der den Styl und den Witz Rochefort's täuschend
nachahmte. Albert Millans parodirte die Antithesen Victor Hugo's in einem
fulminanten Gedichte gegen „les Veuäus ä<z la treffe", Jules Richard tra-
vestirte Felix Pyat und seine Metaphern.... kurz das gesammte Blatt war
das rötheste, was jemals von patentirter Radikalen niedergeschrieben und ge¬
druckt worden war, und die republikanischen Zeitungen, wie Rappel, Re¬
form, Reveil, Marseillaise u. s. w. barsten vor Neid, als sie ihre
Manier so trefflich nachgeahmt und das Kunststück, dessen Mechanismus sie
allein zu kennen wähnten, von republikanischen Eintags - Dilettanten so ohne
Weiteres executire sahen.

Auf dem Ministerium des Innern aber traute man seinen Augen kaum
und im ersten Moment des Schreckens, ehe man noch die Eulenspiegelei be¬
merkt, sandte man Boten über Boten an Herrn de Vilmessant mit dem drin¬
genden Auftrage, ihn zu ersuchen, um jeden Preis den Verkauf rückgängig zu
machen. Figaro, mit dem Erfolge auch sonst zufrieden (die betreffende Nummer
war in mehr als 200,000 Exemplaren verkauft worden!), begnügte sich, bei
Chevandier anzufragen, ob ihm jetzt der Unterschied zwischen guter und schlechter
Presse (im Regierungssinne natürlich) klar geworden sei, und als Antwort er¬
folgte umgehend das Anstellungsdecret, welches Vilmessant für seinen Schutz¬
befohlenen vorher so vergeh!'es nachgesucht hatte.

Dergleichen Geniestreiche stehen übrigens beim Publicum der Pariser
Boulevards in nicht geringen' Ansehen, und einer der eintausend Märtyrer
der republikanischen Partei, der jüngste unter ihnen, der kaum erst noch heilig
gesprochen worden, Victor Noir, verdankte lediglich solchen Dingen das
Bischen Popularität, dessen er genoß. Der Mann ist todt und hier vielleicht
nicht der Platz, den Humbug in seiner ganzen Nacktheit zu enthüllen, den die
Führer der antikaiserlichen Intrigue mit der Todesart dieses dicken, guten,
heftigen und leichtsinnigen Witzboldes getrieben, der, weit entfernt ein Politiker
zu sein, nur eine kindische Freude daran hatte, wenn er den Regierenden einen
Schabernack spielen und gleichzeitig dabei .... einige Franken verdienen
konnte. Letzteres war nicht selten die Hauptsache, denn wenn Victor, dem
die französische Orthographie von jeher mit ihren Winkelzügen ein Greuel ge¬
wesen, auch bereit war, für seine Partei sein Leben zu lassen, so zog er es
doch bei weitem vor, wenn ihn die Letztere bei Bignon und Brsbcmt, d. h.
in guten Restaurants, leben ließ.

Wie Victor Noir, der im Grunde nichts war, als ein kleiner Thea-
ter-Scandal-Reporter des Figaro," unter die Republikaner gekommen, ist
nie recht aufgeklärt worden. Genug, daß in der letzten Periode des Kaiser¬
reichs journalistisch zum guten Ton gehörte, als Oppositionsmann aufzutreten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/19>, abgerufen am 22.07.2024.