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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Damit hatte man seine freien Cntrees in die liberalen Blätter und die mäch¬
tige Camaraderie der Partei war im Stande, auch den unbedeutendsten Schreier
mit dem Nimbus eines verfolgten Aristides zu umkleiden. Allerdings waren
hierzu mindestens 8 Tage Se. Magie, unerläßliche Vorbedingung, jenes Jour¬
nalistengefängniß, dessen Thore gerade in damaliger Zeit am gastfreundlichsten
und am hilfreichsten für die an minorum gentium der Republik geöffnet waren.

Um zu leben, war Victor Noir, seitdem er dem Figaro Valet gegeben,
auf seine reiche Phantasie angewiesen, die ihn auch nirgend im Stich ließ.
Er hatte eine Specialität, diejenige, für seine literarischen Unternehmungen
anziehende Titel zu finden. Die Laterne Rochefort's war eben verboten
worden und in ihrem Gefolge hatten sich Hunderte von Broschüren auf dem
Büchermarkt breit gemacht, die gewöhnlich Samstags publicirt wurden, um
am Sonntag schon wieder vergessen zu sein. Jedenfalls erwartete der Boule-
vardier mit einer gewissen sensationsbegierigen Sehnsucht das jedesmalige
Wochenende, denn man war gewöhnt, am Samstag irgend etwas Neues und
Pikantes in den Zeitungskiosks zu finden. Diese Neugierde des Publikums
erklärte Victor Noir alsbald für seine Domaine, in deren Ausbeutung er sich
unermüdlich zeigte.

Er debütirte eines schönen Samstags mit dem Pilori (Schandpfahl),
einem kleinen Quartblättchen, das er als Wochenblatt herausgab und des
besseren Eindrucks halber mit rothen Lettern drucken ließ. Der Inhalt war
natürlich nicht fünf Centimes, geschweige denn jene fünfzig Centimes werth,
mit denen der schlaue Speculant seine Prosa sich bezahlen ließ. Vom Pi¬
lori erschienen drei Nummern; das Publicum wurde es müde so genasführt
zu werden und am nächsten Samstag erblickte 1s. 6g,"leto Havanaisv das
Licht der Welt. Auf dem Boulevard war eine Art Kauderwälsch fünf Minu¬
ten lang Mode gewesen, die darin bestand, beim. Sprechen, zwischen jede Sylbe
eines Wortes, das Wörtchen ,.Moa" einzuschieben, etwa wie.in Deutschland
die Kinder in der Klippschule sich die B-b-Sprache zurechtlegen und glauben,
Wunder gethan zu haben, wenn sie sich im Respirium zuflüstern: "Deber
Lehbereber ibist heubeut sehber böbesebe". Aehnlicher blödsinniger Sprachfor¬
mation verdankte die Java-Sprache ihre Existenz und das "tout-karis" des
Boulevards war hoch erfreut, diese nichtsnutzige Kinderei durch die (Zweite
Mvallaiss, die aus nilfarbigem, grünbraunen Papier gedruckt war, zu 24stün¬
diger Unsterblichkeit verholfen zu sehen. Victor Noir verkaufte eine ziemliche
Anzahl der beiden Nummern, welche von diesem Machwerk erschienen waren und
konnte vom Gewinn mindestens 4 Wochen lang herrlich und in Freuden leben.

Nun aber galt es einen großen Schlag zu thun. Den blasirten Journal¬
häusern mußte etwas ganz Neues geboten werden. Am Montag brachte
also der Figaro die geheimnißvolle Notiz, daß ein neues Unternehmen in


Damit hatte man seine freien Cntrees in die liberalen Blätter und die mäch¬
tige Camaraderie der Partei war im Stande, auch den unbedeutendsten Schreier
mit dem Nimbus eines verfolgten Aristides zu umkleiden. Allerdings waren
hierzu mindestens 8 Tage Se. Magie, unerläßliche Vorbedingung, jenes Jour¬
nalistengefängniß, dessen Thore gerade in damaliger Zeit am gastfreundlichsten
und am hilfreichsten für die an minorum gentium der Republik geöffnet waren.

Um zu leben, war Victor Noir, seitdem er dem Figaro Valet gegeben,
auf seine reiche Phantasie angewiesen, die ihn auch nirgend im Stich ließ.
Er hatte eine Specialität, diejenige, für seine literarischen Unternehmungen
anziehende Titel zu finden. Die Laterne Rochefort's war eben verboten
worden und in ihrem Gefolge hatten sich Hunderte von Broschüren auf dem
Büchermarkt breit gemacht, die gewöhnlich Samstags publicirt wurden, um
am Sonntag schon wieder vergessen zu sein. Jedenfalls erwartete der Boule-
vardier mit einer gewissen sensationsbegierigen Sehnsucht das jedesmalige
Wochenende, denn man war gewöhnt, am Samstag irgend etwas Neues und
Pikantes in den Zeitungskiosks zu finden. Diese Neugierde des Publikums
erklärte Victor Noir alsbald für seine Domaine, in deren Ausbeutung er sich
unermüdlich zeigte.

Er debütirte eines schönen Samstags mit dem Pilori (Schandpfahl),
einem kleinen Quartblättchen, das er als Wochenblatt herausgab und des
besseren Eindrucks halber mit rothen Lettern drucken ließ. Der Inhalt war
natürlich nicht fünf Centimes, geschweige denn jene fünfzig Centimes werth,
mit denen der schlaue Speculant seine Prosa sich bezahlen ließ. Vom Pi¬
lori erschienen drei Nummern; das Publicum wurde es müde so genasführt
zu werden und am nächsten Samstag erblickte 1s. 6g,«leto Havanaisv das
Licht der Welt. Auf dem Boulevard war eine Art Kauderwälsch fünf Minu¬
ten lang Mode gewesen, die darin bestand, beim. Sprechen, zwischen jede Sylbe
eines Wortes, das Wörtchen ,.Moa" einzuschieben, etwa wie.in Deutschland
die Kinder in der Klippschule sich die B-b-Sprache zurechtlegen und glauben,
Wunder gethan zu haben, wenn sie sich im Respirium zuflüstern: „Deber
Lehbereber ibist heubeut sehber böbesebe". Aehnlicher blödsinniger Sprachfor¬
mation verdankte die Java-Sprache ihre Existenz und das „tout-karis" des
Boulevards war hoch erfreut, diese nichtsnutzige Kinderei durch die (Zweite
Mvallaiss, die aus nilfarbigem, grünbraunen Papier gedruckt war, zu 24stün¬
diger Unsterblichkeit verholfen zu sehen. Victor Noir verkaufte eine ziemliche
Anzahl der beiden Nummern, welche von diesem Machwerk erschienen waren und
konnte vom Gewinn mindestens 4 Wochen lang herrlich und in Freuden leben.

Nun aber galt es einen großen Schlag zu thun. Den blasirten Journal¬
häusern mußte etwas ganz Neues geboten werden. Am Montag brachte
also der Figaro die geheimnißvolle Notiz, daß ein neues Unternehmen in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/20>, abgerufen am 22.07.2024.