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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Was hat Oestreich verloren, als es die alte Krone der Deutschen frei¬
willig vom Haupte seiner Herrscher hob, und niederlegte zu den andern Kleino¬
dien der einstigen Reichsherrlichkeit? Einen Titel, nichts weiter; eine Krone
von Flittergold, welche längst nicht mehr war, was sie bedeutete, längst zu
schwer denen, die sie trugen; die zur rechten Zeit auch dem Namen nach ver¬
schwand, als die meisterlose Ueberhebung der Reichsfürsten im Rheinbund
ihre unwürdigsten Tage feierte. Preußen dagegen, der jüngste Sohn des
gemein-deutschen Erbes, hatte sich zwar seinen Weg gebahnt unter der Mi߬
gunst und in offnem heißen Kampfe gegen die dynastischen Interessen der
letzten Deutschen Kaiser -- aber dasselbe Jahr, welches diese der altheiliger
Würde entkleidete, brachte auch das Bollwerk des Preußischen Staates an
den Abgrund des Verderbens. Der Rheinbund von Napoleon's Gnaden und
der Staat Friedrich's des Großen vertrugen sich nichr auf einem Boden, in
einer Zeit. Bis zum äußersten Osten der Preußischen Monarchie floh, nach
der Schlacht von Jena, das Königshaus vor der Rache und Rohheit des
siegreichen französischen Kaisers. Damals hat die gottbegnadete unvergeßliche
Königin Louise, in ihres Landes und Hauses größter Drangsal, in die Seele
ihrer zarten Söhne jenes stille Selbstvertrauen, jene unwandelbare Zuver-
sicht in Preußens Wiedererhebung zu ganz Deutschlands Frommen gelegt,
welche sie und die Leiter des Preußischen Staates damals wie immer aus¬
zeichnete. Die Königin selbst freilich hat die Erfüllung ihrer heldenmütigen
Hoffnungen nicht mehr erlebt. Sie hat nicht mel>r, neun Jahre später, ihre
jugendlichen Söhne in die Hauptstadt ihres Todfeindes siegreich einziehen sehen.
Ihr ist das Herz gebrochen über dem Jammer ihres Volkes. Aber ihr Sohn,
der König Wilhelm von Preußen hat, am sechzigsten Jahrestage ihres Todes,
der theuren Mutter Vermächtniß kühn und gottvertrauend angetreten. An
diesem Tage, am 19. Juli 1870, nahm er die von Frankreich frech hinge¬
schleuderte Kriegserklärung auf, mit der schneidigen Spitze seines Deutschen
Schwertes. Daß Deutschland nun einmüthig und kraftvoll wie nie zuvor
feinem Heerruf folgen konnte, daß seinem Ruf ein freudig Echo folgte, von
den Höhen, wo feine Stammburg ragt, bis zu den Dünen der Deutschen
Meere, daß alle Deutschen gleich gerüstet und kriegsfertig sich gegen den
Erbfeind stürzten -- das war wiederum vornehmlich sein eigenes Werk. Das
Werk hatte er gewollt und vollendet, unbekümmert um die Gunst oder Un¬
gunst der Tagesmeinung, soviel ihm auch sonst an der Liebe seines Volkes
gelegen war. Seitdem ist dieses Werk allen Kriegsmächten der Erde zum
eigen Vorbild geworden.

Mit ungebeugter Kraft hat sich der König bei Ausbruch des Krieges
selbst an die Spitze der Deutschen Heere gestellt, und alle Mühsal und Ent¬
behrung des harten und ruhelosen Feld- und Kriegslebens mit unermüdlicher


Was hat Oestreich verloren, als es die alte Krone der Deutschen frei¬
willig vom Haupte seiner Herrscher hob, und niederlegte zu den andern Kleino¬
dien der einstigen Reichsherrlichkeit? Einen Titel, nichts weiter; eine Krone
von Flittergold, welche längst nicht mehr war, was sie bedeutete, längst zu
schwer denen, die sie trugen; die zur rechten Zeit auch dem Namen nach ver¬
schwand, als die meisterlose Ueberhebung der Reichsfürsten im Rheinbund
ihre unwürdigsten Tage feierte. Preußen dagegen, der jüngste Sohn des
gemein-deutschen Erbes, hatte sich zwar seinen Weg gebahnt unter der Mi߬
gunst und in offnem heißen Kampfe gegen die dynastischen Interessen der
letzten Deutschen Kaiser — aber dasselbe Jahr, welches diese der altheiliger
Würde entkleidete, brachte auch das Bollwerk des Preußischen Staates an
den Abgrund des Verderbens. Der Rheinbund von Napoleon's Gnaden und
der Staat Friedrich's des Großen vertrugen sich nichr auf einem Boden, in
einer Zeit. Bis zum äußersten Osten der Preußischen Monarchie floh, nach
der Schlacht von Jena, das Königshaus vor der Rache und Rohheit des
siegreichen französischen Kaisers. Damals hat die gottbegnadete unvergeßliche
Königin Louise, in ihres Landes und Hauses größter Drangsal, in die Seele
ihrer zarten Söhne jenes stille Selbstvertrauen, jene unwandelbare Zuver-
sicht in Preußens Wiedererhebung zu ganz Deutschlands Frommen gelegt,
welche sie und die Leiter des Preußischen Staates damals wie immer aus¬
zeichnete. Die Königin selbst freilich hat die Erfüllung ihrer heldenmütigen
Hoffnungen nicht mehr erlebt. Sie hat nicht mel>r, neun Jahre später, ihre
jugendlichen Söhne in die Hauptstadt ihres Todfeindes siegreich einziehen sehen.
Ihr ist das Herz gebrochen über dem Jammer ihres Volkes. Aber ihr Sohn,
der König Wilhelm von Preußen hat, am sechzigsten Jahrestage ihres Todes,
der theuren Mutter Vermächtniß kühn und gottvertrauend angetreten. An
diesem Tage, am 19. Juli 1870, nahm er die von Frankreich frech hinge¬
schleuderte Kriegserklärung auf, mit der schneidigen Spitze seines Deutschen
Schwertes. Daß Deutschland nun einmüthig und kraftvoll wie nie zuvor
feinem Heerruf folgen konnte, daß seinem Ruf ein freudig Echo folgte, von
den Höhen, wo feine Stammburg ragt, bis zu den Dünen der Deutschen
Meere, daß alle Deutschen gleich gerüstet und kriegsfertig sich gegen den
Erbfeind stürzten -- das war wiederum vornehmlich sein eigenes Werk. Das
Werk hatte er gewollt und vollendet, unbekümmert um die Gunst oder Un¬
gunst der Tagesmeinung, soviel ihm auch sonst an der Liebe seines Volkes
gelegen war. Seitdem ist dieses Werk allen Kriegsmächten der Erde zum
eigen Vorbild geworden.

Mit ungebeugter Kraft hat sich der König bei Ausbruch des Krieges
selbst an die Spitze der Deutschen Heere gestellt, und alle Mühsal und Ent¬
behrung des harten und ruhelosen Feld- und Kriegslebens mit unermüdlicher


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[0170] Was hat Oestreich verloren, als es die alte Krone der Deutschen frei¬ willig vom Haupte seiner Herrscher hob, und niederlegte zu den andern Kleino¬ dien der einstigen Reichsherrlichkeit? Einen Titel, nichts weiter; eine Krone von Flittergold, welche längst nicht mehr war, was sie bedeutete, längst zu schwer denen, die sie trugen; die zur rechten Zeit auch dem Namen nach ver¬ schwand, als die meisterlose Ueberhebung der Reichsfürsten im Rheinbund ihre unwürdigsten Tage feierte. Preußen dagegen, der jüngste Sohn des gemein-deutschen Erbes, hatte sich zwar seinen Weg gebahnt unter der Mi߬ gunst und in offnem heißen Kampfe gegen die dynastischen Interessen der letzten Deutschen Kaiser — aber dasselbe Jahr, welches diese der altheiliger Würde entkleidete, brachte auch das Bollwerk des Preußischen Staates an den Abgrund des Verderbens. Der Rheinbund von Napoleon's Gnaden und der Staat Friedrich's des Großen vertrugen sich nichr auf einem Boden, in einer Zeit. Bis zum äußersten Osten der Preußischen Monarchie floh, nach der Schlacht von Jena, das Königshaus vor der Rache und Rohheit des siegreichen französischen Kaisers. Damals hat die gottbegnadete unvergeßliche Königin Louise, in ihres Landes und Hauses größter Drangsal, in die Seele ihrer zarten Söhne jenes stille Selbstvertrauen, jene unwandelbare Zuver- sicht in Preußens Wiedererhebung zu ganz Deutschlands Frommen gelegt, welche sie und die Leiter des Preußischen Staates damals wie immer aus¬ zeichnete. Die Königin selbst freilich hat die Erfüllung ihrer heldenmütigen Hoffnungen nicht mehr erlebt. Sie hat nicht mel>r, neun Jahre später, ihre jugendlichen Söhne in die Hauptstadt ihres Todfeindes siegreich einziehen sehen. Ihr ist das Herz gebrochen über dem Jammer ihres Volkes. Aber ihr Sohn, der König Wilhelm von Preußen hat, am sechzigsten Jahrestage ihres Todes, der theuren Mutter Vermächtniß kühn und gottvertrauend angetreten. An diesem Tage, am 19. Juli 1870, nahm er die von Frankreich frech hinge¬ schleuderte Kriegserklärung auf, mit der schneidigen Spitze seines Deutschen Schwertes. Daß Deutschland nun einmüthig und kraftvoll wie nie zuvor feinem Heerruf folgen konnte, daß seinem Ruf ein freudig Echo folgte, von den Höhen, wo feine Stammburg ragt, bis zu den Dünen der Deutschen Meere, daß alle Deutschen gleich gerüstet und kriegsfertig sich gegen den Erbfeind stürzten -- das war wiederum vornehmlich sein eigenes Werk. Das Werk hatte er gewollt und vollendet, unbekümmert um die Gunst oder Un¬ gunst der Tagesmeinung, soviel ihm auch sonst an der Liebe seines Volkes gelegen war. Seitdem ist dieses Werk allen Kriegsmächten der Erde zum eigen Vorbild geworden. Mit ungebeugter Kraft hat sich der König bei Ausbruch des Krieges selbst an die Spitze der Deutschen Heere gestellt, und alle Mühsal und Ent¬ behrung des harten und ruhelosen Feld- und Kriegslebens mit unermüdlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/170>, abgerufen am 22.07.2024.