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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Der Deutsche Kaiser.

Am ersten August achtzehnhundertundsechs verkündete der Kaiser Napoleon:
er erkenne das Deutsche Reich nicht mehr an. Am sechsten desselben Monats
legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder und erklärte das heilige
römische Reich aufgelöst. An demselben Tage, vierundsechszig Jahre später,
donnerten die Kanonen von Wörth und Saarbrücken und begannen ein ander
Kaiserreich zu Grabe zu läuten, das zweite Kaiserreich der Franken.

Wenige Deutsche können aus eigener Erfahrung künden, was unser Volk
in dieser langen Frist erlebt und erstritten, geträumt, gehofft und erduldet
hat. Zwei Geschlechter sind ^ seitdem ins Grab gesunken, und die Besten unter
ihnen konnten den Nachfahren nur verheißen, daß sie den Tag der Deutschen
Einheit erleben würden, der den Scheidenden in ihrem Leben nimmer vergönnt
war. Aber Ein Deutscher hat schon im Jahre achtzehnhundertundsechs die
Schmach unseres Baterlandes bewußt empfunden, und dann im Jahre acht"
zehnhundertundsiebenzig die Erhebung des deutschen Namens und Volkes so
glorreich hinausgeführt: der königliche Bundesfeldherr der Deutschen, König
Wilhelm von Preußen, der nun, am achtzehnten Januar unseres Jahres, die
Annahme der deutschen Kaiserkrone seinem ganzen Deutschen Volke ver¬
kündet hat.

Kein Deutscher Fürst hat jemals das. herrliche strahlende Symbol der
Einigung und Kraft unseres Vaterlandes, das die Liebe und Ehrfurcht des
Volkes und der Regierungen ihm auf das greise Haupt drückt, in so harter
Arbeit, Entbehrung und Ausdauer, in einem so selbstvergessenden Streben
reich verdient wie Er. Wenn wir sie Alle an uns vorüberwandeln lassen, die
Heldenkaiser der alten Tage, die Städteerbauer und die Hunnenbesieger, die
Kreuzfahrer und die Führer der Römerzuge, die Ordner des Gottesfriedens
und die Förderer eigener Hausmacht: wo hat ein Einziger das vollendet, was
unter unsern Augen das Deutsche Schwert unter Führung des königlichen
Feldherrn erreichte, was unter dem milden Einfluß seines Namens und Rathes
die Gegenwart künftigen Jahrhunderten an fester Staatsordnung überliefert?


Grcnzl'oder I. 1871. 21
Der Deutsche Kaiser.

Am ersten August achtzehnhundertundsechs verkündete der Kaiser Napoleon:
er erkenne das Deutsche Reich nicht mehr an. Am sechsten desselben Monats
legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder und erklärte das heilige
römische Reich aufgelöst. An demselben Tage, vierundsechszig Jahre später,
donnerten die Kanonen von Wörth und Saarbrücken und begannen ein ander
Kaiserreich zu Grabe zu läuten, das zweite Kaiserreich der Franken.

Wenige Deutsche können aus eigener Erfahrung künden, was unser Volk
in dieser langen Frist erlebt und erstritten, geträumt, gehofft und erduldet
hat. Zwei Geschlechter sind ^ seitdem ins Grab gesunken, und die Besten unter
ihnen konnten den Nachfahren nur verheißen, daß sie den Tag der Deutschen
Einheit erleben würden, der den Scheidenden in ihrem Leben nimmer vergönnt
war. Aber Ein Deutscher hat schon im Jahre achtzehnhundertundsechs die
Schmach unseres Baterlandes bewußt empfunden, und dann im Jahre acht«
zehnhundertundsiebenzig die Erhebung des deutschen Namens und Volkes so
glorreich hinausgeführt: der königliche Bundesfeldherr der Deutschen, König
Wilhelm von Preußen, der nun, am achtzehnten Januar unseres Jahres, die
Annahme der deutschen Kaiserkrone seinem ganzen Deutschen Volke ver¬
kündet hat.

Kein Deutscher Fürst hat jemals das. herrliche strahlende Symbol der
Einigung und Kraft unseres Vaterlandes, das die Liebe und Ehrfurcht des
Volkes und der Regierungen ihm auf das greise Haupt drückt, in so harter
Arbeit, Entbehrung und Ausdauer, in einem so selbstvergessenden Streben
reich verdient wie Er. Wenn wir sie Alle an uns vorüberwandeln lassen, die
Heldenkaiser der alten Tage, die Städteerbauer und die Hunnenbesieger, die
Kreuzfahrer und die Führer der Römerzuge, die Ordner des Gottesfriedens
und die Förderer eigener Hausmacht: wo hat ein Einziger das vollendet, was
unter unsern Augen das Deutsche Schwert unter Führung des königlichen
Feldherrn erreichte, was unter dem milden Einfluß seines Namens und Rathes
die Gegenwart künftigen Jahrhunderten an fester Staatsordnung überliefert?


Grcnzl'oder I. 1871. 21
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[0169] Der Deutsche Kaiser. Am ersten August achtzehnhundertundsechs verkündete der Kaiser Napoleon: er erkenne das Deutsche Reich nicht mehr an. Am sechsten desselben Monats legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder und erklärte das heilige römische Reich aufgelöst. An demselben Tage, vierundsechszig Jahre später, donnerten die Kanonen von Wörth und Saarbrücken und begannen ein ander Kaiserreich zu Grabe zu läuten, das zweite Kaiserreich der Franken. Wenige Deutsche können aus eigener Erfahrung künden, was unser Volk in dieser langen Frist erlebt und erstritten, geträumt, gehofft und erduldet hat. Zwei Geschlechter sind ^ seitdem ins Grab gesunken, und die Besten unter ihnen konnten den Nachfahren nur verheißen, daß sie den Tag der Deutschen Einheit erleben würden, der den Scheidenden in ihrem Leben nimmer vergönnt war. Aber Ein Deutscher hat schon im Jahre achtzehnhundertundsechs die Schmach unseres Baterlandes bewußt empfunden, und dann im Jahre acht« zehnhundertundsiebenzig die Erhebung des deutschen Namens und Volkes so glorreich hinausgeführt: der königliche Bundesfeldherr der Deutschen, König Wilhelm von Preußen, der nun, am achtzehnten Januar unseres Jahres, die Annahme der deutschen Kaiserkrone seinem ganzen Deutschen Volke ver¬ kündet hat. Kein Deutscher Fürst hat jemals das. herrliche strahlende Symbol der Einigung und Kraft unseres Vaterlandes, das die Liebe und Ehrfurcht des Volkes und der Regierungen ihm auf das greise Haupt drückt, in so harter Arbeit, Entbehrung und Ausdauer, in einem so selbstvergessenden Streben reich verdient wie Er. Wenn wir sie Alle an uns vorüberwandeln lassen, die Heldenkaiser der alten Tage, die Städteerbauer und die Hunnenbesieger, die Kreuzfahrer und die Führer der Römerzuge, die Ordner des Gottesfriedens und die Förderer eigener Hausmacht: wo hat ein Einziger das vollendet, was unter unsern Augen das Deutsche Schwert unter Führung des königlichen Feldherrn erreichte, was unter dem milden Einfluß seines Namens und Rathes die Gegenwart künftigen Jahrhunderten an fester Staatsordnung überliefert? Grcnzl'oder I. 1871. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/169>, abgerufen am 22.07.2024.